»Ich war in der ›Hellebarde‹. Da verkehren die Leute jetzt. Es sind dieselben wie vor sieben Jahren. Sie sind in ihrer Art zuverlassig. Das billigste Papier kostet allerdings vierhundert Schilling.«
»Was gibt es dafur?«
»Den Pa? eines toten Osterreichers. Noch ein Jahr gultig.«
»Ein Jahr. Und dann?«
Tschernikoff sah Steiner an. »Im Ausland vielleicht verlangerbar. Oder von einer geschickten Hand im Datum zu andern.« Steiner nickte.
»Es gibt noch zwei Passe von gestorbenen deutschen Fluchtlingen. Die kosten aber achthundert Schilling jeder. Vollig falsche sind nicht unter funfzehnhundert zu haben. Die wurde ich – Ihnen auch nicht empfehlen.«
Tschernikoff klopfte seine Zigarette ab. »Vom Volkerbund ist fur Sie ja vorlau?g auf nichts zu hoffen. Fur illegal ohne Pa? Eingereiste schon gar nicht. Nansen ist tot, der uns unsere Passe durchgesetzt hat.«
»Vierhundert Schilling«, sagte Steiner. »Ich habe funfundzwanzig.«
»Man wird handeln konnen. Auf dreihundertfunfzig, schatze ich.«
»Das ist gegen funfundzwanzig dasselbe. Aber es hilft nichts; ich mu? sehen, da? ich das Geld bekomme. Wo ist die ›Hellebarde‹?«
Der Russe zog einen Zettel aus der Tasche. »Hier ist die Adresse. Auch der Name des Kellners, der die Sache vermittelt. Er ruft die Leute an, wenn Sie ihm Bescheid sagen. Er bekommt funf Schilling dafur.«
»Gut. Ich will sehen, wie ich es mache.« Steiner steckte den Zettel sorgfaltig weg. »Herzlichen Dank fur Ihre Muhe, Tschernikoff!«
»Aber ich bitte Sie!« Der Russe hob abwehrend die Hand. »Man hilft sich doch, wenn es moglich ist. Man kann ja jeden Tag in dieselbe Lage kommen.«
»Ja.« Steiner stand auf. »Ich suche mal wieder nach Ihnen hier und sage Ihnen Bescheid.«
»Gut. Ich bin oft um diese Zeit hier. Spiele Schach mit dem suddeutschen Meister. Druben der Mann mit den Locken. Hatte nie gedacht, das Gluck mit einer solchen Autoritat in normalen Zeiten zu haben.« Tschernikoff lachelte. »Schach ist eine Leidenschaft von mir…«
Steiner nickte ihm zu. Dann stieg er uber ein paar schlafende junge Leute weg, die mit offenen Mundern an der Wand lagen, und ging zur Tur. Am Tisch des Landgerichtsrats Epstein sa? eine gedunsene Judin. Sie hielt die Hande gefaltet und starrte Epstein, der salbungsvoll dozierte, an wie einen unzuverlassigen Gott. Vor ihr auf dem Tisch lagen funfzig Groschen. Epsteins haarige linke Hand lag dicht daneben wie eine gro?e lauernde Spinne.
DRAUSSENATMETESTEINER tief auf. Die weiche Nachtluft erschien ihm wie Wein nach dem toten Rauch und dem grauen Jammer des Cafes. Ich mu? da ’raus, dachte er, ich mu? ’raus um jeden Preis! Er sah nach der Uhr. Es war schon spat. Er beschlo?, trotzdem noch zu versuchen, den Falschspieler zu treffen.
Die kleine Bar, die der Falschspieler ihm als sein Stammlokal genannt hatte, war fast leer. Nur aufgedonnerte Madchen hockten wie Papageien an der Nickelstange auf den hohen Stuhlen.
»War Fred hier?« fragte Steiner den Mixer.
»Fred?« Der Mixer sah ihn scharf an. »Was wollen Sie denn von Fred?«
»Das Vaterunser mit ihm beten, Bruder. Was sonst?«
Der Mixer dachte eine Zeitlang nach. »Er ist vor einer Stunde gegangen«, sagte er dann.
»Kommt er nochmals wieder?«
»Keine Ahnung.«
»Schon. Da werde ich warten. Geben Sie mir einen Wodka.«
Steiner wartete ungefahr eine Stunde. Er uberlegte, was er alles zu Geld machen konne. Aber er kam nicht hoher als auf etwa siebzig Schilling.
Die Madchen hatten ihn nur ?uchtig gemustert. Sie sa?en noch einige Zeit herum, dann stelzten sie hinaus. Der Mixer begann mit einem Knobelbecher vor sich hin zu wurfeln. »Wollen wir einen austrudeln?« fragte Steiner.
»Von mir aus.«
Sie wurfelten und Steiner gewann. Sie spielten weiter. Steiner warf zweimal nacheinander in zwei Wurfen vier Asse. »Mit Assen scheine ich Gluck zu haben«, sagte er.
»Sie haben uberhaupt Gluck«, erwiderte der Mixer. »Was sind Sie astrologisch?«
»Das wei? ich nicht.«
»Sie scheinen ein Lowe zu sein. Mindestens haben Sie die Sonne im Lowen. Ich verstehe ein bi?chen davon. Letzte Runde, was? Fred kommt doch nicht mehr. Er ist noch nie um diese Zeit gekommen. Braucht Schlaf und ruhige Hande.«
Sie knobelten, und Steiner gewann wieder. »Sehen Sie«, sagte der Mixer befriedigt und schob ihm funf Schilling hinuber,»Sie sind bestimmt ein Lowe. Mit starkem Neptun, denke ich. In welchem Monat sind Sie geboren?«
»August.«
»Dann sind Sie ein typischer Lowe. Glanzende Chancen dieses Jahr!«
»Dafur nehme ich einen ganzen Urwald voll Lowen auf mich.« Steiner trank sein Glas aus. »Wollen Sie Fred sagen, da? ich hier war? Steiner hatte nach ihm gefragt. Ich komme morgen wieder vorbei.«
»Schon.«
Steiner ging zur Pension zuruck. Der Weg war lang, und die Stra?en waren leer. Der Himmel hing voller Sterne, und uber die Mauern kam ab und zu der schwere Geruch bluhenden Flieders. Mein Gort, Marie, dachte er, es kann doch nicht ewig dauern…
4
Kern stand in einer Drogerie in der Nahe des Wenzelplatzes
»Farr-Toilettewasser!« Kern drehte die Flasche, die der Drogist vom Regal geholt hatte, in der Hand. »Wo haben Sie denn das her?«
Der Drogist zuckte die Achseln. »Das wei? ich nicht mehr. Es kommt aus Deutschland. Wir haben es schon lange. Wollen Sie die Flasche kaufen?«
»Nicht nur die eine. Sechs…«
»Sechs?«
»Ja, sechs zunachst. Spater noch mehr. Ich handle damit. Naturlich mu? ich Prozente haben.«
Der Drogist sah Kern an. »Emigrant?« fragte er.
Kern stellte die Flasche auf den Ladentisch. »Wissen Sie«, sagte er argerlich,»diese Frage langweilt mich allmahlich, wenn sie von Zivilisten gestellt wird. Besonders, wenn ich eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche habe. Sagen Sie mir lieber, wieviel Prozent Sie mir geben wollen?«
»Zehn.«
»Das ist lacherlich. Wie soll ich da etwas verdienen?«
»Sie konnen die Flaschen mit funfundzwanzig Prozent haben«, sagte der Besitzer des Ladens, der herangekommen war. »Wenn Sie zehn nehmen, sogar mit drei?ig. Wir sind froh, wenn wir den alten Kram loswerden.«
»Alten Kram?« Kern blickte den Mann beleidigt an. »Das ist ein ganz hervorragendes Toilettewasser, wissen Sie das?«
Der Besitzer des Ladens bohrte sich gleichgultig einen Finger ins Ohr. »Mag sein. Dann sind Sie sicher auch mit zwanzig Prozent zufrieden.«
»Drei?ig ist das mindeste. Das hat doch nichts mit der Qualitat zu tun. Sie konnen mir drei?ig Prozent geben, und das Toilettewasser kann trotzdem gut sein, oder nicht?«
Der Drogist verzog die Lippen. »Alle Toilettewasser sind gleich. Gut sind nur die, fur die Reklame gemacht wird. Das ist das ganze Geheimnis.«
Kern sah ihn an. »Reklame wird fur dieses bestimmt nicht mehr gemacht. Danach ist es allerdings sehr