»Wir spielen noch eine Runde«, wiederholte der Schwarze und schob das Kinn vor.
Steiner stand auf. »Das nachstemal.«
Er ging zur Theke und zahlte. Dann schob er dem Wirt eine zusammengefaltete Hundertschillingnote hin. »Geben Sie das bitte Fred.«
Der Wirt hob uberrascht die Brauen. »Fred?«
»Ja.«
»Gut.« Der Wirt grinste,»’reingefallen, die Bruder! Wollten einen Schell?sch fangen und sind an einen Hai gekommen.«
Die drei standen an der Tur. »Wir spielen noch eine Runde«, sagte der Schwarze und versperrte den Ausgang. – Steiner sah ihn an.
»So geht das nicht, Herr Nachbar«, meckerte der Schmachtige. »Ausgeschlossen, Sir!«
»Wir brauchen uns wohl nichts vorzumachen«, sagte Steiner. »Krieg ist Krieg. Man mu? auch mal verlieren konnen.«
»Wir nicht«, erwiderte der Schwarze. »Wir spielen noch eine Runde.«
»Oder Sie geben ’raus, was Sie gewonnen haben«, fugte der Dicke hinzu.
Steiner schuttelte den Kopf. »Es war ein ehrliches Spiel«, sagte er mit einem ironischen Lacheln. »Sie wu?ten, was Sie wollten, und ich wu?te, was ich wollte. Guten Abend.«
Er versuchte, zwischen dem Schwarzen und dem Schmachtigen hindurchzukommen. Dabei fuhlte er die Muskelstrange des Schwarzen.
In diesem Augenblick kam der Wirt. »Keinen Radau in meinem Lokal, meine Herren!«
»Ich will auch keinen«, sagte Steiner. »Ich will gehen.«
»Wir gehen mit«, sagte der Schwarze.
Der Schmachtige und der Schwarze gingen voran, dann kam Steiner und hinter ihm der Dicke. Steiner wu?te, da? nur der Schwarze gefahrlich war. Es war ein Fehler, da? er voranging. Im Moment, als er die Tur passierte, trat Steiner nach hinten aus, dem Dicken in den Bauch, und schlug dem Schwarzen die geballte Faust mit aller Kraft wie einen Hammer ins Genick, so da? er die Stufen hinunter gegen den Schmachtigen taumelte. Mit einem Satz sprang er dann hinaus und raste die Stra?e entlang, ehe die andern sich erholt hatten. Er wu?te, da? es seine einzige Chance war, denn auf der Stra?e hatte er gegen drei Mann nichts mehr machen konnen. Er horte Geschrei und sah sich im Laufen um – aber niemand folgte ihm. Sie waren zu uberrascht gewesen.
Er ging langsamer und kam allmahlich in belebtere Stra?en. Vor dem Spiegel eines Modegeschaftes blieb er stehen und sah sich an. Falschspieler und Betruger, dachte er. Aber ein halber Pa?… Er nickte sich zu und ging weiter.
5
Kern sa? auf der Mauer des alten judischen Friedhofs und zahlte im Schein einer Stra?enlaterne sein Geld. Er hatte den ganzen Tag in der Gegend des Heiligenkreuzberges gehandelt. Es war ein armes Viertel; – aber Kern wu?te, da? Armut mildtatig ist und nicht nach Polizei ruft. Er hatte achtundrei?ig Kronen verdient. Es war ein guter Tag gewesen.
Er steckte sein Geld ein und versuchte, auf dem verwitterten Grabstein, der schief neben ihm an der Mauer lehnte, den Namen zu entziffern. »Rabbi Israel Low«, sagte er dann,»gestorben in verwischten Zeiten, sicher hochgelehrt einst und nun ein bi?chen Knochenerde da unten – was meinst du, was soll ich jetzt tun? Nach Hause gehen, zufrieden sein oder versuchen, zu spekulieren und auf funfzig Kronen Verdienst zu kommen?«
Er zog ein Funfkronenstuck hervor. »Es ist dir ziemlich gleichgultig, Alter, was? Fragen wir also das Schicksal der Emigranten, den Zufall. Kopf ist Zufriedenheit, Schrift Weiterhandeln.«
Er wirbelte das Geldstuck hoch und ?ng es auf. Es rollte aus seiner Hand und ?el auf das Grab. Kern kletterte uber die Mauer und hob es vorsichtig hoch. »Schrift! Auf deinem Grab! Du selbst ratst mir also ebenfalls dazu, Rabbi! Dann aber los!« Er ging auf das nachste Haus zu, als wollte er eine Festung sturmen.
Im Parterre offnete niemand. Kern wartete eine Zeitlang, dann stieg er die Treppen hinauf. In der ersten Etage kam ein hubsches Dienstmadchen heraus. Es sah seine Tasche, verzog die Lippen und machte schweigend die Tur wieder zu.
Kern stieg zur zweiten Etage empor. Nach zweimaligem Klingeln erschien dort ein Mann mit offenstehender Weste in der Tur. Kern hatte kaum angefangen zu sprechen, als der Mann ihn emport unterbrach. »Toilettewasser? Parfum? So eine Frechheit! Konnen Sie nicht lesen, Mensch? Mir, dem Generalvertreter von Andrea-Parfumerieartikeln, ausgerechnet mir wagen Sie Ihren Mist anzubieten? ’raus!«
Er schmi? die Tur zu. Kern zundete ein Streichholz an und studierte das Messingschild an der Tur. Es war Tatsache; Josef Schimek handelte selbst en gros mit Parfum, Toilettewasser und Seife. Kern schuttelte den Kopf. »Rabbi Israel Low«, murmelte er. »Was hei?t das? Sollten wir uns mi?verstanden haben?«
Er klingelte in der dritten Etage. Eine freundliche, dicke Frau offnete. »Kommen Sie nur herein«, sagte sie gutmutig, als sie ihn sah. »Deutscher, nicht wahr? Fluchtling? Kommen Sie nur herein!«
Kern folgte ihr in die Kuche. »Setzen Sie sich«, sagte die Frau,»Sie sind doch sicher mude.«
»Nicht sehr.«
Es war das erstemal in Prag, da? man Kern einen Stuhl anbot. Er nutzte die seltene Gelegenheit aus und setzte sich. Entschuldige, Rabbi, dachte er, ich war voreilig. Entschuldige, ich bin jung, Rabbi Israel. Dann packte er seine Tasche aus.
Die dicke Frau stand behabig, mit uber dem Magen gekreuzten Armen, vor ihm und sah ihm zu. »Ist das Parfum?« fragte sie und zeigte auf eine kleine Flasche.
»Ja.« Kern hatte eigentlich erwartet, da? sie sich fur Seife interessieren wurde. Er hielt die Flasche hoch wie einen kostbaren Edelstein. »Das hier ist das beruhmte Farr-Parfum der Firma Kern. Etwas ganz Besonderes! Nicht so eine Lauge wie zum Beispiel die Produkte der Andreawerke, die Herr Schimek unter uns vertritt.«
»Soso…«
Kern offnete die Flasche und lie? die Frau riechen. Dann nahm er ein Glasstabchen und strich es uber ihre fette Hand. »Versuchen Sie selbst…«
Die Frau schnupperte ihre Hand ab und nickte. »Scheint gut zu sein. Aber haben Sie nur so kleine Flaschen?«
»Hier ist eine gro?ere. Dann habe ich noch eine, die ist sehr gro?. Die hier. Sie kostet allerdings vierzig Kronen.«
»Das macht nichts. Die gro?e ist richtig, die behalte ich.«
Kern glaubte seinen Ohren nicht trauen zu durfen. Das waren bare achtzehn Kronen Verdienst. »Wenn Sie die gro?e Flasche nehmen, gebe ich Ihnen noch ein Stuck Mandelseife gratis dazu«, erklarte er begeistert.
»Schon, Seife kann man immer gebrauchen.«
Die Frau nahm die Flasche und die Seife und ging in ein Nebenzimmer. Kern packte inzwischen seine Sachen wieder ein. Aus der halboffenen Tur drang der Geruch von gekochtem Fleisch. Er beschlo?, sich nachher ein erstklassiges Abendessen zu gonnen. Die Suppe aus der Mensa am Wenzelsplatz machte nicht satt.
Die Frau kam zuruck. »Also schonen Dank und auf Wiedersehen«, sagte sie freundlich. »Hier haben Sie auch ein Butterbrot auf den Weg!«
»Danke.« Kern blieb stehen und wartete.
»Ist noch was?« fragte die Frau.
»Ja, naturlich,« Kern lachte,»Sie haben mir das Geld noch nicht gegeben.«
»Das Geld? Was fur Geld?«
»Die vierzig Kronen«, sagte Kern erstaunt.
»Ach so! Anton!« rief die Frau ins Nebenzimmer hinein. »Komm doch mal her! Hier fragt einer nach Geld!«
Ein Mann in Hosentragern kam aus dem Nebenzimmer. Er wischte sich den Schnurrbart und kaute. Kern sah, da? er uber dem verschwitzten Hemd eine Hose mit Litzen trug, und eine bose Ahnung stieg plotzlich in ihm auf. »Geld?« fragte der Mann heiser und bohrte in seinem Ohr.
»Vierzig Kronen«, erwiderte Kern. »Aber geben Sie mir lieber einfach die Flasche zuruck, wenn es Ihnen