Sie ubten etwa eine halbe Stunde den Trick mit den Assen. Dann war der Taschendieb zufrieden und stand auf. Er war im Smoking. »Ich mu? jetzt los. Oper. Gro?e Premiere. Die Lehmann singt. Bei wirklich gro?er Kunst ist immer was zu tun fur uns. Macht die Leute geistesabwesend, verstehen Sie?« Er gab Steiner die Hand. »Ubrigens – da fallt mir noch ein – wieviel Geld haben Sie?«
»Zweiunddrei?ig Schilling.«
»Das ist zuwenig. Die Bruder mussen gro?eres Geld sehen, sonst bei?en sie nicht an.« Er griff in die Tasche und zog einen Hundertschillingschein heraus.
»Hier, damit zahlen Sie Ihren Kaffee; dann wird schon einer kommen. Geben Sie das Geld dem Wirt zuruck fur mich; er kennt mich. Und nun: kurz spielen und aufpassen, wenn die vier Damen kommen! Hals- und Beinbruch!«
Steiner nahm den Schein. »Wenn ich das Geld verliere, kann ich es Ihnen nie zuruckgeben.«
Der Taschendieb zuckte die Achseln. »Dann ist es eben weg. Kunstlerpech. Aber Sie werden es nicht verlieren. Ich kenne die Leute. Einfache Bauernfanger. Keine Klasse. Sind Sie nervos?«
»Ich glaube nicht.«
»Auch dann haben Sie noch eine Chance. Die druben wissen nicht, da? Sie was wissen. Bis sie es merken, sind sie schon eingeseift und konnen nicht mehr viel machen. Also Servus.«
»Servus.«
Steiner ging zu der Kneipe hinuber. Er uberlegte unterwegs, da? es sonderbar war: kein anderer Mensch hatte ihm auch nur ein Viertel des Geldes anvertraut, das ihm der Falschspieler bedenkenlos gegeben hatte. Immer dasselbe. Gott sei Dank!
Im vorderen Raum der Kneipe waren ein paar Tarockpartien im Gang. Steiner setzte sich ans Fenster und bestellte einen Schnaps. Umstandlich zog er seine Brieftasche, in die er noch ein paar Bogen Papier gesteckt hatte, damit sie voller aussah, und zahlte mit dem Hunderter.
Eine Minute spater sprach ihn ein schmachtiger Mann an und forderte ihn auf, bei einem kleinen Poker mitzuspielen. Steiner lehnte gelangweilt ab. Der Mann redete ihm zu.
»Ich habe zuwenig Zeit«, erklarte Steiner. »Hochstens eine halbe Stunde, das ist zum Spielen doch zuwenig.«
»Aber wo, aber wo!« Der Schmachtige zeigte ein sehr schadhaftes Gebi?. »In einer halben Stunde hat schon mancher sein Gluck gemacht, Herr Nachbar!«
Steiner sah die beiden andern am Nebentisch an. Einer hatte ein dickes Gesicht und eine Glatze, der andere war schwarz, stark behaart und hatte eine zu gro?e Nase. Beide blickten ihn gleichgultig an. »Wenn es wirklich nur fur eine halbe Stunde ist«, sagte Steiner scheinbar zogernd,»konnte man es ja mal versuchen.«
»Aber naturlich, naturlich«, erwiderte der Schmachtige herzlich.
»Und ich kann aufhoren, wann ich will?«
»Aber klar, Herr Nachbar, wann Sie wollen.«
»Auch wenn ich gewonnen habe.«
Die Lippen des Dicken am Tisch verzogen sich etwas. Er sah zu dem Schwarzen hinuber: da schien man ein richtiges Spie?burgerhuhnchen im Netz zu haben. »Aber gerade, dann gerade, Herr Nachbar!« meckerte der Schmachtige frohlich.
»Also gut.«
Steiner setzte sich an den Tisch. Der Dicke mischte und gab. Steiner gewann ein paar Schilling. Als er selbst mischte, fuhlte er die Kartenrander ab. Dann mischte er noch einmal, hob fur sich an der Stelle ab, wo er etwas spurte, bestellte einen Sliwowitz, blickte dabei unter den oberen Pack und sah, da? es die Konige waren, die etwas beschnitten waren. Dann mischte er wieder gut und gab.
Nach einer Viertelstunde hatte er ungefahr drei?ig Schilling gewonnen. »Ganz gut!« meckerte der Schmachtige. »Wollen wir nicht mal etwas hoher ’rangehen?«
Steiner nickte. Er gewann auch den nachsten Satz, der hoher gereizt war. Dann gab der Dicke. Er hatte rosa Patschhandchen, die eigentlich zu klein fur die Volte waren. Steiner sah, da? er sie trotzdem sehr geschickt machte. Er hob seine Karten auf. Er hatte drei Damen.
»Wieviel?« fragte der Dicke und kaute an seiner Zigarre.
»Vier«, sagte Steiner. Er merkte, da? der Dicke stutzte, denn er hatte nur zwei Karten kaufen durfen. Der Dicke schob ihm vier hin. Steiner sah, da? die erste die vierte, fehlende Dame war. Er hatte naturlich jetzt kein Blatt und warf mit einem »Verdammt! Verkauft!« die Karten hin. Die andern drei sahen sich an und pa?ten auch.
Steiner wu?te, da? er nur etwas machen konnte, wenn er selbst gab. Seine Chancen standen dadurch eins zu drei. Der Taschendieb hatte recht gehabt. Er mu?te rasch handeln, ehe die andern zuviel merkten.
Er machte den As-Trick, aber nur einfach. Der Saugling spielte gegen ihn und verlor. Steiner sah nach der Uhr. »Ich mu? fort. Letzte Runde.«
»Na, na, Herr Nachbar!« meckerte der Kleine. Die andern beiden sagten nichts.
Beim nachstenmal hatte Steiner vier Damen im ersten Blatt. Er kaufte eine Karte hinzu. Eine Neun. Der behaarte Schwarze kaufte zwei Karten. Steiner sah, da? der Schmachtige sie mit einer Schleuderbewegung der Hand von unten her gab. Er wu?te Bescheid, reizte aber trotzdem bis zu zwanzig Schilling mit und gab dann auf. Der Schwarze scho? ihm einen Blick zu und kassierte den Pott. »Was haben Sie denn fur eine Karte gehabt?« bellte der Schmachtige und warf rasch Steiners Blatt um. »Vier Damen! Und da passen Sie, Mann Gottes? Da war doch alles Geld der Welt drin! Was haben Sie denn gehabt?« fragte er den Schwarzen.
»Drei Konige«, sagte der mit schiefem Gesicht.
»Na, sehen Sie! Sehen Sie! Da hatten Sie doch gewonnen, Herr Nachbar! Wie hoch waren Sie gegangen mit den drei Konigen?«
»Mit drei Konigen reize ich bis zum Mond hoch«, erwiderte der Schwarze ziemlich ?nster.
»Ich habe mich versehen«, sagte Steiner. »Dachte, ich hatte nur drei Damen. Habe die eine fur einen Buben gehalten.«
»So was!«
Der Schwarze gab. Steiner bekam drei Konige und kaufte den vierten hinzu. Er reizte funfzehn Schilling, dann pa?te er. Der Saugling zog schlurfend die Luft ein. Steiner hatte ungefahr neunzig Schilling gewonnen, und es gab nur noch zwei Spiele.
»Was haben Sie denn gehabt, Herr Nachbar?«
Der Schmachtige versuchte rasch, die Karten umzuwerfen. Steiner schlug ihm die Hand weg. »Ist das hier Mode?« fragte er.
»Na, entschuldigen Sie nur. Man ist doch neugierig.«
Beim nachsten Spiel verlor Steiner acht Schilling. Weiter ging er nicht. Dann nahm er die Karten und mischte. Er hatte genau achtgegeben und mischte die Konige unter das Spiel, so da? er von unten her sie dem Dicken austeilen konnte. Es klappte. Der Schwarze ging zum Schein beim Reizen mit, der Dicke verlangte eine Karte. Steiner gab ihm den letzten Konig. Der Dicke schlurfte und wechselte mit den anderen einen Blick. Diesen Moment benutzte Steiner fur den Trick mit den Assen. Er warf drei seiner Karten weg und gab sich die beiden letzten Asse, die jetzt oben lagen.
Der Dicke ?ng an zu bieten. Steiner legte seine Karten hin und ging zogernd mit. Der Schwarze verdoppelte. Bei hundertzehn Schilling schied er aus. Der Dicke trieb das Spiel auf hundertfunfzig. Steiner hielt es. Er war nicht ganz sicher. Da? der Dicke vier Konige hatte, wu?te er. Nur die letzte Karte kannte er nicht. Wenn es der Joker war, war Steiner verloren.
Der Schmachtige zappelte auf seinem Sitz. »Darf man mal sehen?« Er wollte nach Steiners Karten greifen.
»Nein.« Steiner legte die Hand auf seine Karten. Er war erstaunt uber diese naive Frechheit. Der Schmachtige hatte sofort dem Dicken Steiners Blatt mit dem Fu? telegra?ert.
Der Dicke wurde unsicher. Steiner war so vorsichtig bisher gewesen, da? er ein schweres Blatt haben mu?te. Steiner merkte es und erhohte scharfer. Bei hundertachtzig horte der Dicke auf. Er legte vier Konige auf den Tisch. Steiner atmete auf und drehte seine vier Asse um.
Der Schmachtige stie? einen P?ff aus. Dann wurde es sehr still, wahrend Steiner das Geld einsteckte.
»Wir spielen noch eine Runde«, sagte plotzlich der Schwarze hart.
»Tut mir leid«, sagte Steiner.