schlecht. Dann waren funfunddrei?ig Prozent die richtige Provision.«

»Drei?ig«, erwiderte der Besitzer. »Ab und zu wird doch danach gefragt.«

»Herr Bureck«, sagte der Drogist,»ich glaube, wir konnen sie ihm mit funfunddrei?ig geben, wenn er ein Dutzend nimmt. Der Mann, der ab und zu danach fragt, ist immer derselbe. Er kauft auch nicht; er will uns nur das Rezept verkaufen.«

»Das Rezept? Lieber Gott, das fehlt uns noch!« Bureck hob abwehrend die Hande.

»Das Rezept?« Kern horchte auf. »Wer ist denn das, der Ihnen das Rezept verkaufen will?«

Der Drogist lachte. »Irgend jemand, der behauptet, er hatte fruher selbst das Laboratorium gehabt. Naturlich alles Schwindel! Was die Emigranten sich immer so ausdenken!«

Kern war einen Augenblick atemlos. »Wissen Sie, wo der Mann wohnt?« fragte er.

Der Drogist zuckte die Achseln. »Ich glaube, wir haben die Adresse irgendwo ’rumliegen. Er hat sie uns ein paarmal gegeben. Warum?«

»Ich glaube, es ist mein Vater.

Die beiden starrten Kern an. »lst das wahr?« fragte der Drogist.

»Ja, ich glaube, da? er es ist. Ich suche ihn schon lange.«

»Bertha!« rief der Besitzer aufgeregt zu einer Frau hinuber, die an einem Burotisch im Hintergrund der Drogerie arbeitete. »Haben wir noch die Adresse des Herrn, der uns das Rezept fur Toilettewasser verkaufen wollte?«

»Meinen Sie Herrn Stran oder den alten Quatschkopf, der hier ein paarmal ’rumgestanden hat?« rief die Frau zuruck.

»Verdammt!« Der Besitzer des Ladens sah Kern geniert an. »Entschuldigen Sie!« Er ging rasch nach hinten.

»Das kommt davon, wenn man mit seinen Angestellten schlaft«, erklarte der Drogist hamisch hinter ihm her.

Der Besitzer kam nach einer Weile schnaufend mit einem Zettel zuruck. »Hier haben wir die Adresse. Es ist ein Herr Kern. Siegmund Kern.«

»Das ist mein Vater.«

»Tatsachlich?« Der Mann gab Kern den Zettel.

»Hier ist die Adresse. Er war vor etwa drei Wochen das letzte-mal hier. Entschuldigen Sie die Bemerkung vorhin. Sie wissen ja…«

»Es macht gar nichts. Ich mochte nur gern gleich gehen. Ich komme dann nachher zuruck wegen der Flaschen.«

»Naturlich! Das hat ja Zeit!«

Das Haus, in dem Kerns Vater wohnen sollte, lag in der Tuzarova ulice, in der Nahe der Markthallen. Es war dunkel und muffig und roch nach feuchten Wanden und Kohldunst.

Kern stieg langsam die Treppen hinauf. Es war sonderbar, aber er hatte etwas Furcht, seinen Vater nach so langer Zeit wiederzusehen – er war zu sehr gewohnt, da? nie etwas besser wurde.

In der dritten Etage klingelte er. Nach einer Weile schlurfte es hinter der Tur, und das Pappschild hinter dem runden Loch des Spions verschob sich. Kern sah ein schwarzes Auge auf sich gerichtet.

»Wer ist da?« fragte eine murrische Frauenstimme.

»Ich mochte jemand sprechen, der hier wohnt«, sagte Kern.

»Hier wohnt niemand.«

»Doch! Sie wohnen ja schon hier!« Kern sah auf das Schild an der Tur. »Frau Melanie Ekowski, nicht wahr? Aber Sie mochte ich nicht sprechen.«

»Na, also.«

»Ich mochte einen Mann sprechen, der hier wohnt.«

»Hier wohnt kein Mann.«

Kern blickte das runde, schwarze Auge an. Vielleicht stimmte es, und sein Vater war langst ausgezogen. Er fuhlte sich plotzlich leer und enttauscht.

»Wie soll er denn hei?en?« fragte die Frau hinter der Tur.

Kern hob voll neuer Hoffnung den Kopf. »Das mochte ich nicht durchs ganze Haus schreien. Wenn Sie die Tur offnen, werde ich es Ihnen sagen.«

Das Auge verschwand vom Guckloch. Eine Kette rasselte. Das ist ja eine Festung, dachte Kern. Er war ziemlich sicher, da? sein Vater doch noch hier wohnte; die Frau hatte sonst nicht weiter gefragt. Die Tur offnete sich. Eine kraftige Tschechin mit roten Backen und breitem Gesicht betrachtete Kern von oben bis unten.

»Ich mochte Herrn Kern sprechen.«

»Kern? Kenne ich nicht. Wohnt nicht hier.«

»Herrn Siegmund Kern. Ich hei?e Ludwig Kern.«

»So?« Die Frau musterte ihn mi?trauisch. »Das kann jeder sagen.«

Kern zog seine Aufenthaltserlaubnis aus der Tasche. »Hier – sehen Sie sich dieses Papier bitte an. Der Vorname ist aus Versehen falsch geschrieben; aber Sie sehen das andere.«

Die Frau las den gesamten Zettel durch. Es dauerte lange. Dann gab sie ihn zuruck. »Verwandter?«

»Ja.« Etwas hielt Kern ab, mehr zu sagen. Er war jetzt fest uberzeugt, da? sein Vater hier war.

Die Frau hatte sich entschieden. »Wohnt nicht hier«, erklarte sie kurz.

»Gut«, erwiderte Kern. »Dann will ich Ihnen sagen, wo ich wohne. Im Hotel Bristol. Ich bleibe nur ein paar Tage hier. Ich hatte vor meiner Abreise gern mit Herrn Siegmund Kern gesprochen. Ich habe ihm etwas zu ubergeben«, fugte er mit einem Blick auf die Frau hinzu.

»So?«

»Ja. Hotel Bristol. Ludwig Kern. Guten Abend.«

Er stieg die Treppen hinunter. Du lieber Himmel, dachte er, das ist ja ein Zerberus, der ihn da bewacht! Immerhin – bewachen ist besser als verraten.

Er ging zu der Drogerie zuruck. Der Besitzer sturzte auf ihn zu. »Haben Sie Ihren Vater gefunden?« Er hatte die ganze Neugier eines Menschen im Gesicht, dem jede Sensation in seinem Leben fehlt.

»Noch nicht«, sagte Kern, plotzlich widerwillig. »Aber er wohnt dort. Er war nicht zu Hause.«

»So was! Das ist doch wirklich ein Zufall, nicht wahr?«

Der Mann legte die Arme auf den Tisch und schickte sich an, breit uber sonderbare Zufalle im Leben zu reden.

»Fur uns nicht«, sagte Kern. »Fur uns ist es eher ein Zufall, wenn etwas mal normal geht. Was ist mit dem Toilettewasser? Ich kann nur sechs Flaschen nehmen, zunachst. Ich habe nicht mehr Geld. Wieviel Prozent geben Sie mir?«

Der Besitzer uberlegte einen Augenblick. »Funfunddrei?ig«, erklarte er dann gro?zugig. »So was kommt ja nicht alle Tage vor.«

»Gut.«

Kern zahlte. Der Drogist packte die Flaschen ein. Die Frau, die Bertha hie?, war inzwischen aus dem Hintergrund herangekommen, um den jungen Mann anzusehen, der seinen Vater wiedergefunden hatte. Sie kaute aufgeregt an etwas Unsichtbarem.

»Wissen Sie«, sagte der Besitzer,»was ich noch sagen wollte – das Toilettewasser ist sehr gut. Sehr gut, wirklich.«

»Danke!« Kern nahm das Paket. »Ich komme dann hoffentlich bald, den Rest abzuholen.«

ER GING ZUM Hotel. In seinem Zimmer machte er das Paket auf und packte zwei Flaschen mit einigen Stucken Seife und ein paar Flakons billigen Parfums in eine Aktentasche. Er wollte gleich versuchen, noch etwas davon zu verkaufen.

Als er auf den Korridor trat, sah er, da? jemand das Zimmer nebenan verlie?. Es war ein mittelgro?es Madchen in einem hellen Kleide, das ein paar Bucher unter dem Arm trug. Kern achtete zunachst nicht darauf. Er war damit beschaftigt, die Preise fur sein Toilettewasser auszurechnen. Aber plotzlich ?el ihm ein, da? das Madchen aus dem Zimmer gekommen war, das er nachts verwechselt hatte, und er blieb stehen. Er hatte das Gefuhl, als konne es ihn auch jetzt noch erkennen.

Das Madchen ging, ohne sich umzusehen, die Treppe hinunter. Kern wartete noch eine Weile. Dann ging er

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