zuviel ist. Die Seife konnen Sie dann behalten.«

»Soso!« Der Mann kam naher heran. Er roch nach altem Schwei? und gekochtem frischem Schweinebauch. »Komm mal mit, mein Sohn!« Er ging und offnete die Tur zum Nebenzimmer weiter. »Kennst du das da?« Er zeigte auf einen Uniformrock, der uber einem Stuhl hing. »Soll ich das mal anziehen und mit dir zur Polizei gehen?«

Kern trat einen Schritt zuruck. Er sah sich bereits vierzehn Tage im Gefangnis wegen verbotenen Handels. »Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis«, sagte er so gleichgultig, wie er konnte. »Ich kann sie Ihnen zeigen.«

»Zeig mir lieber deine Arbeitserlaubnis«, erwiderte der Mann und starrte Kern an. »Die habe ich im Hotel.«

»Dann konnen wir ja mal zum Hotel gehen. Oder soll die Flasche nicht doch lieber ein Geschenk sein, wie?«

»Meinetwegen.« Kern sah sich nach der Tur um.

»Hier, nehmen Sie doch Ihr Butterbrot mit«, sagte die Frau mit breitem Lacheln.

»Danke, das brauche ich nicht.« Kern offnete die Tur.

»Sieh einer an! Undankbar ist er auch noch!«

Kern schlug die Tur hinter sich zu und ging rasch die Treppen hinunter. Er horte nicht das donnernde Gelachter, das seiner Flucht folgte. »Gro?artig, Anton!« prustete die Frau. »Hast du gesehen, wie er turmte? Als wenn er Bienen in der Hose hatte. Noch schneller als der alte Jude heute nachmittag. Der hat dich bestimmt fur ’n Polizeihauptmann gehalten und sah sich schon im Kasten!«

Anton schmunzelte. »Haben eben alle Angst vor jeder Uniform! Selbst wenn sie einem Brieftrager gehort. Unser Vorteil! Wir leben nicht schlecht von den Emigranten, was?« Er griff der Frau an die Bruste.

»Das Parfum ist gut.« Sie drangte sich an ihn. »Besser als das Haarwasser von dem alten Juden heute nachmittag.«

Anton zog sich die Hose hoch. »Da schmiere dich heute Abend damit ein; dann habe ich eine Gra?n im Bett. Ist noch Fleisch im Topf?«

Kern stand auf der Stra?e. »Rabbi Israel Low«, sagte er ziemlich jammerlich zum Friedhof hinuber. »Sie haben mich ’reingelegt. Vierzig Kronen. Dreiundvierzig sogar mit dem Stuck Seife. Das sind vierundzwanzig Nettoverlust.«

Er ging zum Hotel zuruck. »War jemand fur mich da?« fragte er den Portier.

Der schuttelte den Kopf. »Kein Mensch.«

»Bestimmt nicht?«

»Nein. Nicht mal der Prasident der Tschechoslowakei.«

»Auf den warte ich auch nicht«, sagte Kern.

Er stieg die Treppen hinauf. Es war sonderbar, da? er von seinem Vater nichts horte. Vielleicht war er wirklich nicht da; oder er war inzwischen von der Polizei gefa?t worden.

Er beschlo?, noch ein paar Tage zu warten und dann noch einmal in die Wohnung der Frau Ekowski zu gehen.

Oben in seinem Zimmer traf er den Mann, der nachts schrie. Er hie? Rabe. Er war gerade dabei sich auszuziehen.

»Wollen Sie schon zu Bett?« fragte Kern. »Vor neun schon?«

Rabe nickte. »Es ist das Vernunftigste fur mich. Ich schlafe dann bis zwolf. Das ist die Zeit, wo ich jede Nacht hochfahre. Um Mitternacht kamen sie gewohnlich, wenn man im Bunker sa?. Dann setze ich mich zwei Stunden ans Fenster. Hinterher nehme ich ein Schlafmittel. So komme ich ganz gut durch.«

Er stellte ein Glas Wasser neben sein Bett. »Wissen Sie, was mich am meisten beruhigt, wenn ich nachts am Fenster sitze? Ich sage mir Gedichte auf. Alte Gedichte aus der Schule.«

»Gedichte?« fragte Kern erstaunt.

»Ja, ganz einfache. Zum Beispiel dieses, das man abends bei Kindern singt:

Mude bin ich, geh’ zur Ruh,

Schlie?e meine Augen zu,

Vater, la? die Augen dein

Uber meinem Bette sein.

Hab ich Unrecht heut getan,

Sieh es, lieber Gott, nicht an.

Deine Gnad und Jesu Blut

Machen alle Sunden gut…«

Er stand in seinem wei?en Unterzeug wie ein mudes, freundliches Gespenst im halbdunklen Zimmer und sprach die Verse des Wiegenliedes langsam, mit monotoner Stimme vor sich hin, die erloschenen Augen in die Nacht vor dem Fenster gerichtet.

»Es beruhigt mich«, wiederholte er dann und lachelte. »Ich wei? nicht, wie es kommt, aber es beruhigt mich.«

»Kann sein«, sagte Kern.

»Es klingt verruckt, aber es beruhigt mich wirklich. Ich fuhle mich dann still und als ware ich irgendwo zu Hause.«

Kern wurde unbehaglich zumute. Er spurte etwas wie eine Gansehaut. »Ich kann keine Gedichte auswendig«, sagte er. »Ich habe alles vergessen. Mir ist, als ware es eine Ewigkeit her, seit ich in der Schule war.«

»Ich wu?te es auch nicht mehr. Aber jetzt auf einmal kann ich mich an alles erinnern.«

Kern nickte. Dann stand er auf. Er wollte aus dem Zimmer ’raus. Rabe konnte dann schlafen, und er brauchte nicht mehr an ihn zu denken.

»Wenn man nur wu?te, was man abends machen soll!« sagte er. »Abends, das ist immer das Ver?uchte. Zu lesen habe ich schon lange nichts mehr. Und unten zu sitzen und zum hundertsten Male daruber zu reden, wie schon es in Deutschland war, und wann es wohl anders werden wird, dazu habe ich auch keine Lust.«

Rabe setzte sich auf sein Bett. »Gehen Sie ins Kino. Das ist das beste, um einen Abend ’rumzukriegen. Man wei? nachher nicht mehr, was man gesehen hat; aber man hat wenigstens an nichts gedacht.«

Er zog die Strumpfe aus. Kern sah ihm nachdenklich zu. »Kino«, sagte er. Ihm ?el ein, da? er vielleicht das Madchen von nebenan dazu einladen konnte. »Kennen Sie die Leute hier im Hotel?« fragte er.

Rabe legte die Strumpfe auf einen Stuhl und bewegte seine nackten Zehen. »Ein paar. Warum?« Er blickte seine Zehen an, als hatte er sie noch nie gesehen.

»Hier nebenan die?«

Rabe dachte nach. »Da wohnt die alte Schimanowska. Sie war vor dem Kriege eine beruhmte Schauspielerin.«

»Die meine ich nicht.«

»Er meint Ruth Holland, ein junges, hubsches Madchen«, sagte der Mann mit der Brille, der als dritter im Zimmer wohnte. Er hatte schon eine Weile in der Tur gestanden und zugehort. Er hie? Marill und war ehemaliger Reichstagsabgeordneter. »Nicht wahr, Kern, Don Juan, so ist es doch?«

Kern errotete.

»Sonderbar«, fuhr Marill fort. »Bei den naturlichsten Sachen errotet der Mensch. Bei den gemeinen nie. Wie war das Geschaft heute, Kern?«

»Eine glatte Katastrophe. Ich habe bares Geld verloren.«

»Dann geben Sie noch was dazu. Das ist das beste Mittel, keine Komplexe zu bekommen.«

»Ich bin gerade dabei«, sagte Kern. »Ich will ins Kino gehen.«

»Bravo. Mit Ruth Holland, nehme ich an, nach Ihrer vorsichtigen Fragerei.«

»Ich wei? nicht. Ich kenne sie ja nicht.«

»Man kennt die meisten Menschen nicht. Irgendwann mu? man einmal damit anfangen. Immer los, Kern. Mut ist der schonste Schmuck der Jugend.«

»Glauben Sie, da? sie mitgehen wird?«

»Naturlich. Das ist einer der Vorteile unseres beschissenen Lebens. Zwischen Angst und Langerweile ist jeder

Вы читаете Liebe Deinen Nachsten
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату