»Ach, anstandig!« Der Blonde machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin ein alter Antisemit. Aber bei so einer Schlachterei kann man doch nicht zuschauen. Sie haben ubrigens einen schonen, kurzen Geraden geschlagen. Trocken und schnell. Irgendwann boxen gelernt?«

»Nein.«

»Dann sollten Sie es lernen. Sie haben gute Anlagen. Sind nur viel zu hitzig. Wenn ich der Papst der Juden ware, wurde ich ihnen jeden Tag eine Stunde Boxen verordnen. Solltet sehen, wie die Bruder Respekt vor euch kriegten.«

Kern griff sich vorsichtig an den Kopf. »Mir ist im Moment nicht nach Boxen zumute.«

»Gummiknuppel«, erklarte der Student sachlich. »Unsere brave Polizei. Immer auf der Seite der Sieger. Heute abend ist Ihr Schadel besser. Dann fangen wir an zu uben. Irgendwas mussen wir ja zu tun haben.« Er zog die langen Beine auf die Pritsche und sah sich um. »Zwei Stunden sind wir nun schon hier! Verdammt langweilige Bude! Wenn wir wenigstens ein Spiel Karten hatten! Schwarzen Peter kann doch irgendeiner spielen.« Er musterte die judischen Studenten verachtlich.

»Ich habe ein Spiel bei mir.« Kern griff in die Tasche. Steiner hatte ihm damals das Spiel des Taschendiebes geschenkt. Er trug es seitdem stets als eine Art von Amulett mit sich.

Der Student sah ihn anerkennend an. »Alle Achtung! Aber sagen Sie mir jetzt nur nicht, da? Sie Bridge spielen! Alle Juden spielen Bridge, sonst nichts.«

»Ich bin Halbjude. Ich spiele Skat, Tarock, Ja? und Poker«, erwiderte Kern mit einem An?ug von Stolz.

»Erstklassig. Da sind Sie mir uber. Ja? kann ich nicht.«

»Es ist ein Schweizer Spiel. Ich werde es Ihnen beibringen, wenn Sie wollen.«

»Gut. Ich gebe Ihnen dann dafur Ihre Boxlektion. Austausch geistiger Werte.«

Sie spielten bis abends. Die judischen Studenten unterhielten sich inzwischen uber Politik und Gerechtigkeit. Sie kamen zu keinem Resultat. Kern und der Blonde spielten zuerst Ja?; spater Poker. Kern gewann im Poker sieben Schilling. Er war ein guter Schuler Steiners geworden. Sein Kopf wurde allmahlich klarer. Er vermied es, an Ruth zu denken. Er konnte nichts fur sie tun; Grubeln allein hatte ihn schwach gemacht. Und er wollte seine Nerven zusammen haben fur die Vernehmung vor dem Richter.

Der Blonde warf die Karten zusammen und zahlte Kern aus. »Jetzt kommt der zweite Teil«, sagte er. »Los! ’ran, um ein zweiter Dempsey zu werden.«

Kern stand auf. Er war noch sehr schwach. »Ich glaube, es geht nicht«, sagte er. »Mein Kopf vertragt noch keinen zweiten Schlag.«

»Ihr Kopf war klar genug, mir sieben Schilling abzunehmen«, erwiderte der Blonde grinsend. »Vorwarts, uberwinden Sie den inneren Schweinehund! Lassen Sie das arische Raufboldblut in sich sprechen! Geben Sie der humanen judischen Halfte einen Sto?!«

»Das tue ich schon seit einem Jahr.«

»Ausgezeichnet. Also schonen wir vorerst den Kopf. Fangen wir mit den Beinen an. Die Hauptsache beim Boxen ist die Leichtigkeit der Fu?e. Sie mussen tanzeln. Tanzelnd schlagt man dem Gegner die Zahne ein. Angewandter Nietzsche!«

Der Blonde stellte sich in Positur, wiegte sich in den Knien und machte eine Anzahl Wechselschritte vorwarts und zuruck. »Machen Sie das nach.« Kern machte es nach.

Die judischen Studenten hatten aufgehort zu diskutieren. Einer von ihnen, mit einer Brille, stand auf. »Wurden Sie mich auch unterrichten?« fragte er.

»Naturlich! Brille ’runter und ’ran!« Der Blonde klopfte ihm auf die Schulter. »Altes Makkabaerblut, rausche auf!«

Es meldeten sich noch zwei Schuler. Die ubrigen blieben abweisend, aber neugierig auf den Pritschen sitzen.

»Zwei nach rechts, zwei nach links!« dirigierte der Blonde. »Und nun auf, zum Blitzkurs! Jahrtausendelang vernachlassigte Erziehung zum Rohling nachholen. Der Arm schlagt nicht – der ganze Korper schlagt…«

Er legte sein Jackett ab. Die andern folgten ihm. Dann begann eine kurze Erklarung der Korperarbeit und eine Probe. Die vier hupften eifrig in der halbdunklen Zelle herum.

Der Blonde uberblickte vaterlich seine schwitzende Schulerschar. »So«, erklarte er nach einer Weile,»das kennt ihr nun! Ubt es, wahrend ihr eure acht Tage absitzt wegen Aufreizung echter Arier zum Rassenha?. Nun tief atmen ein paar Minuten! Verschnaufen! Und jetzt zeige ich euch den kurzen Geraden, das federnde Mittelstuck der Boxerei!«

Er machte vor, wie man schlagen mu?te. Dann nahm er seine Jacke, ballte sie zusammen, hielt sie in Gesichtshohe und lie? die andern danach schlagen. Als sie mitten im besten Uben waren, ging die Tur auf. Ein Kalfaktor kam herein mit ein paar dampfenden Napfen. »Das ist doch…« Er stellte die Napfe rasch ab und schrie zuruck:»Wache! Schnell! Die Bande prugelt sich sogar auf der Polizei weiter!«

Zwei Wachleute kamen hereingesturzt. Der blonde Student legte ruhig seine Jacke weg. Die vier Boxschuler hatten sich rasch in die Ecken verdruckt. »Rhinozeros!« sagte der Blonde mit gro?er Autoritat zum Kalfaktor. »Schafskopf! Tepperter Gefangniswedel!« Dann wandte er sich an die Wachleute. »Was Sie hier sehen, ist eine Unterrichtsstunde in moderner Humanitat. Ihr Erscheinen, die lechzende Hand am Gummiknuppel, war uber?ussig, verstanden?«

»Nein«, sagte einer der Wachleute.

Der Blonde sah ihn mitleidig an. »Korperliche Ertuchtigung. Gymnastik! Freiubungen! Nun verstanden? Soll das da unser Abendessen sein?«

»Klar«, bestatigte der Kalfaktor.

Der Blonde beugte sich uber einen der Napfe und verzog angewidert das Gesicht. »Hinaus damit!« schnauzte er dann plotzlich scharf. »Diesen Dreck wagt ihr hereinzubringen? Spulwasser fur den Sohn des Senatsprasidenten? Wollt ihr degradiert werden?« Er blickte die Wachleute an. »Ich werde mich beschweren! Ich wunsche sofort den Bezirksleiter zu sprechen! Fuhren Sie mich auf der Stelle zum Polizeiprasidenten! Morgen wird mein Vater dem Justizminister euretwegen die Holle hei? machen!«

Die beiden Wachleute starrten zu ihm auf. Sie wu?ten nicht, ob sie grob werden konnten oder vorsichtig sein mu?ten. Der Blonde ?xierte sie. »Herr«, sagte schlie?lich der altere vorsichtig,»das hier ist die normale Gefangniskost.«

»Bin ich im Gefangnis?« Der Blonde war eine einzige Beleidigung. »Ich bin in Haft! Kennen Sie den Unterschied nicht?«

»Doch, doch…« Der Wachmann war sichtlich eingeschuchtert. »Sie konnen sich naturlich selbst verkostigen, mein Herr! Das ist Ihr Recht. Wenn Sie bezahlen wollen, kann der Kalfaktor Ihnen ein Gulasch holen…«

»Endlich ein vernunftiges Wort!« Die Haltung des Blonden milderte sich.

»Und vielleicht ein Bier dazu…«

Der Blonde sah den Wachmann an. »Sie gefallen mir! Ich werde mich fur Sie verwenden! Wie ist Ihr Name?«

»Rudolf Egger.«

»Recht so! Weitermachen!« Der Student zog Geld aus der Tasche und gab es dem Kalfaktor. »Zwei Rindsgulasch mit Erdapfeln. Eine Flasche Zwetschgenwasser…«

Der Wachmann Rudolf Egger offnete den Mund. »Alkoholische…«

»Sind erlaubt«, vollendete der Blonde. »Zwei Flaschen Bier, eine fur die Wachleute, eine fur uns!«

»Danke vielmals, ku?’ die Hand!« sagte Rudolf Egger.

»Wenn das Bier nicht frisch und eiskalt ist«, erklarte der Sohn des Senatsprasidenten dem Kalfaktor,»sage ich dir einen Fu? ab. Wenn es gut ist, behaltst du den Rest des Geldes.«

Der Kalfaktor verzog frohlich das Gesicht. »Werd’s schon machen, Herr Graf!« Er strahlte. »So was von einem echten, goldenen Wiener Humor!«

Das Essen kam. Der Student lud Kern ein. Der wollte anfangs nicht. Er sah die Juden mit ernsten Gesichtern das Spulwasser essen. »Seien Sie ein Verrater! Das ist modern!« ermunterte ihn der Student. »Und au?erdem ist das hier ein Essen unter Kartenspielern.«

Kern setzte sich nieder. Das Gulasch war gut, und schlie?lich hatte er keinen Pa? und war zudem ein Mischling.

»Wei? Ihr Vater, da? Sie hier sind?« fragte er.

»Lieber Gott!« Der Blonde lachte. »Mein Vater! Der hat ein Wei?warengeschaft in Linz.«

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