nur noch Verstecken und Landstra?e und Heuschober und kleine jammerliche Pensionszimmer mit Angst vor der Polizei, wenn wir Gluck haben. Und Gefangnis.«
»Das wei? ich. Es ist mir egal. Und du brauchst dir keine Gedanken deswegen zu machen. Ich mu? ohnehin hier fort. Ich kann nicht mehr bleiben. Die Leute haben Angst vor der Polizei, weil ich nicht angemeldet bin. Sie sind froh, wenn ich weg bin. Ich habe auch noch etwas Geld, Ludwig. Und ich werde dir handeln helfen. Ich werde nicht viel kosten. Ich glaube, ich bin ganz praktisch.«
»So«, sagte Kern,»etwas Geld hast du sogar, und verkaufen helfen willst du! Noch ein Wort mehr, und ich fange an zu heulen wie ein altes Weib. Hast du viele Sachen mitzunehmen?«
»Nicht viel. Was ich nicht brauche, lasse ich hier.«
»Gut. Was machen wir mit deinen Buchern? Besonders mit den dicken uber Chemie? Lassen wir die vorlau?g hier?«
»Meine Bucher habe ich verkauft. Ich habe den Rat befolgt, den du mir in Prag gegeben hast. Man soll nichts mitnehmen von fruher. Nichts. Und man soll auch nicht zuruckschauen, das macht nur mude und kaputt. Die Bucher haben uns Ungluck gebracht. Ich habe sie verkauft. Sie waren auch viel zu schwer zu schleppen gewesen.«
Kern lachelte. »Du hast recht, du bist praktisch, Ruth. Ich denke, wir gehen zuerst nach Luzern. Georg Binder, ein Professional fur die Schweiz, hat mir das geraten. Es sind viele Fremde da, man fallt deshalb nicht auf, und die Polizei ist nicht so scharf. Wann wollen wir los?«
»Ubermorgen fruh. Solange konnen wir hier bleiben.«
»Gut. Ich habe eine Bude zum Schlafen. Ich mu? nur bis zwolf im Cafe Greif sein.«
»Du wirst nicht bis zwolf im Cafe Greif sein! Du bleibst hier, Ludwig! Wir gehen nicht vor ubermorgen fruh auf die Stra?e. Ich wurde sonst umkommen vor Angst!«
Kern starrte sie an. »Geht denn das? Ist da nicht ein Dienstmadchen oder so was, das uns verraten kann?«
»Das Dienstmadchen hat Urlaub bis Montag mittag. Es kommt mit dem Zuge um elf Uhr vierzig zuruck. Die andern um drei Uhr nachmittags. Solange haben wir Zeit.«
»Herr des Himmels«, sagte Kern. »So lange haben wir diese ganze Wohnung fur uns?«
»Ja.«
»Und wir konnen darin leben, als wenn sie uns gehorte, mit diesem Salon und Schlafzimmern und einem eigenen E?zimmer und einem blutenwei?en Tischtuch und Porzellan und womoglich silbernen Gabeln und Messern und Extramessern fur Apfel und Kaffee aus kleinen Mokkatassen und einem Radio.«
»Mit allem! Und ich werde kochen und braten und ein Abendkleid von Sylvia Neumann fur dich anziehen!«
»Und ich den Smoking des Herrn Neumann heute abend! Und wenn er noch so gro? ist! Ich habe aus der ›Eleganten Welt‹ im Gefangnis gelernt, wie man sich zu kleiden hat!«
»Er wird dir sogar passen!«
»Gro?artig! Das mussen wir feiern!« Kern sprang begeistert auf.
»Dann kann ich ja auch ein hei?es Bad mit viel Seife haben, was? Das habe ich lange entbehrt. Im Gefangnis gab’s nur so eine Art Lysolschauer.«
»Naturlich! Ein hei?es Bad mit dem weltbekannten Kern-Farr-Parfum drin sogar!«
»Das habe ich gerade ausverkauft.«
»Aber ich habe noch eine Flasche! Die, die du mir im Kino in Prag geschenkt hast. An unserem ersten Abend. Ich habe sie aufbewahrt.«
»Das ist der Gipfel!« sagte Kern. »Gesegnetes Zurich! Du uberwaltigst mich, Ruth! Es fangt gut mit uns an!«
12
Kern belagerte in Luzern zwei Tage lang die Villa des Kommerzienrates Arnold Oppenheim. Das wei?e Haus lag wie eine Burg auf einer Anhohe uber dem Vierwaldstatter See. In den Adressen, die der Professional Binder Kern geschenkt hatte, stand als Anmerkung hinter Oppenheim: Deutscher, Jude. Gibt, aber nur auf Druck. National. Nicht von Zionismus reden.
Am dritten Tage wurde Kern vorgelassen. Oppenheim emp?ng ihn in einem gro?en Garten, der voll war von Astern, Sonnenblumen und Chrysanthemen. Er war ein gutgelaunter, kraftiger Mann mit dicken kurzen Fingern und einem kleinen, dichten Schnurrbart. »Kommen Sie jetzt aus Deutschland?« fragte er.
»Nein. Ich bin schon uber zwei Jahre fort.«
»Und woher sind Sie?«
»Aus Dresden.«
»Ach, Dresden!« Oppenheim strich sich uber den glanzenden, kahlen Schadel und seufzte schwarmerisch. »Dresden ist eine herrliche Stadt! Ein Juwel! Diese Bruhlsche Terrasse! Etwas Einzigartiges, wie?«
»Ja«, sagte Kern. Ihm war hei?, und er hatte gern ein Glas von dem Traubensaft gehabt, der vor Oppenheim auf dem Steintisch stand. Aber Oppenheim kam nicht auf den Gedanken, ihm eins anzubieten. Versonnen schaute er in die klare Luft. »Und der Zwinger – das Schlo? – die Galerien – das kennen Sie naturlich alles genau, wie?«
»Nicht so genau. Mehr von au?en.«
»Aber, lieber junger Freund!« Oppenheim sah ihn vorwurfsvoll an. »So etwas nicht zu kennen! Edelstes deutsches Barock! Haben Sie nie etwas von Daniel Poppelmann gehort?«
»Doch, selbstverstandlich!« Kern hatte keine Ahnung von dem Baumeister des Barocks, aber er wollte Oppenheim gefallig sein.
»Na, sehen Sie!« Oppenheim lehnte sich in seinem Sessel zuruck. »Ja, unser Deutschland! Das macht uns keiner nach, wie?«
»Sicher nicht. Das ist auch ganz gut.«
»Gut? Wieso? Wie meinen Sie das?«
»Ganz einfach. Es ist gut fur die Juden. Wir waren sonst verloren.«
»Ach so! Sie meinen das politisch! Na, horen Sie… verloren… verloren, was sind das fur gro?e Worte! Glauben Sie mir, es wird heute auch sehr viel ubertrieben. Ich wei? es aus bester Quelle: So schlimm ist es gar nicht.«
»So?«
»Bestimmt!« Oppenheim beugte sich vor und dampfte vertraulich seine Stimme. »Unter uns gesagt, die Juden haben selbst viel Schuld an dem, was heute passiert. Eine Menge Schuld haben sie, das sage ich Ihnen, und ich wei?, was ich sage. Es war vieles nicht notwendig, was sie gemacht haben, und ich verstehe was davon!«
Wieviel mag er mir geben, dachte Kern. Ob es ausreichen wird, da? wir bis Bern kommen?
»Nehmen Sie zum Beispiel die Sache mit den Ostjuden, den galizischen und polnischen Einwanderern«, erklarte Oppenheim und nahm einen Schluck Traubensaft. »Mu?ten die alle hineingelassen werden? Was haben diese Leute wirklich in Deutschland zu suchen? Ich bin genauso dagegen wie die Regierung. Juden sind Juden, hei?t es da immer – aber was besteht schon fur eine Gemeinschaft zwischen so einem schmutzigen Hausierer mit speckigem Kaftan und Peieslockchen und einer alten, seit Jahrhunderten eingesessenen burgerlich-judischen Familie?«
»Die einen sind fruher eingewandert, die andern spater«, sagte Kern gedankenlos und erschrak nachtraglich etwas. Er wollte Oppenheim auf keinen Fall reizen.
Doch der merkte nichts; er war zu sehr mit seinem Problem beschaftigt. »Die einen sind assimiliert, sind wertvolle, wichtige, national erstklassige Burger – und die anderen sind fremde Einwanderer! Das ist es, mein Lieber! Was haben wir mit diesen Leuten zu tun? Gar nichts, uberhaupt nichts! Man hatte die in Polen lassen sollen!«
»Da will man sie aber auch nicht haben.«
Oppenheim machte eine weit ausholende Bewegung und sah Kern argerlich an. »Das hat doch nichts mit Deutschland zu tun! Das ist doch ganz was anderes! Man mu? objektiv sein! Ich hasse es, alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Man kann gegen Deutschland sagen, was man will, die Leute jetzt druben tun was! Und sie