Daumen; – dann fragte sie nach den Preisen und beschlo? endlich, ihre Schwester zu holen.
Die Schwester war eine Zwillingsausgabe der Frau.
Der Spitzbart Ammers mu?te, so klein er war, ein eisernes Regiment im Hause fuhren, denn auch die Schwester war wie ausgeloscht und hatte eine geduckte, angstliche Stimme. Die Blicke beider Frauen gingen alle Augenblicke zur Tur. Sie zogerten und zauderten, so da? Kern endlich ungeduldig wurde. Er merkte, da? die Frauen sich doch nicht entschlie?en konnten, und packte seine Sachen zusammen. »Vielleicht uberlegen Sie es sich bis morgen«, sagte er. »Ich kann ja noch einmal wiederkommen.«
Die Frau sah ihn wie erschrocken an. »Wollen Sie vielleicht eine Tasse Kaffee?« fragte sie dann.
Kern hatte lange keinen Kaffee mehr getrunken. »Wenn Sie gerade einen da haben.«
»Ja, doch! Sofort! Einen Augenblick.«
Sie schob sich hinaus, ungeschickt wie eine schiefe Tonne, doch schnell. Die Schwester blieb im Zimmer. »Ganz gut, eine Tasse Kaffee jetzt«, sagte Kern, um etwas zu sagen.
Die Schwester gluckste ein Lachen wie ein Truthahn und schwieg plotzlich still, als hatte sie sich verschluckt. Kern sah sie erstaunt an. Sie duckte sich und stie? einen hohen pfeifenden Laut durch die Nase aus.
Die Frau kam herein und stellte die dampfende Tasse vor Kern auf den Tisch. »Trinken Sie nur in aller Ruhe«, sagte sie besorgt. »Sie haben ja Zeit, und der Kaffee ist sehr hei?.«
Die Schwester lachte kurz und hoch auf und duckte sich sofort hinterher erschrocken.
Kern kam nicht dazu, den Kaffee zu trinken. Die Tur ging auf, und Ammers trat mit kurzen, elastischen Schritten ein, gefolgt von einem mi?mutig aussehenden Gendarmen.
Ammers wies mit einer sakralen Geste auf Kern. »Herr Gendarm, tun Sie Ihre P?icht! Ein vaterlandsloses Individuum ohne Pa?, ausgesto?en aus dem Deutschen Reich!«
Kern erstarrte.
Der Gendarm betrachtete ihn. »Kommen Sie mit!« knurrte er dann.
Kern hatte einen Moment lang das Gefuhl, als sei sein Gehirn ausgeloscht. Er hatte alles erwartet, nur das nicht. Langsam und mechanisch wie in einer Zeitlupenaufnahme suchte er seine Sachen zusammen. Dann richtete er sich auf. »Deshalb also der Kaffee und die Freundlichkeit!« sagte er stockend und muhsam, als musse er es sich erst selbst klarmachen. »Alles nur, um mich hinzuhalten! Deshalb also!« Er ballte die Fauste und machte einen Schritt auf Ammers zu, der sofort zuruckwich. »Keine Angst!« sagte Kern sehr leise,»ich ruhre Sie nicht an! Ich ver?uche Sie nur. Ich ver?uche Sie und Ihre Kinder und Ihre Frau mit der ganzen Kraft meiner Seele! Alles Ungluck der Welt soll auf Sie fallen! Ihre Kinder sollen sich gegen Sie emporen und Sie allein lassen, allein, arm, in Jammer und Elend!«
Ammers wurde bla?. Sein Spitzbart zuckte. »Schutzen Sie mich!« befahl er dem Gendarmen.
»Er hat Sie noch nicht beleidigt«, erwiderte der Beamte phlegmatisch. »Er hat Sie bis jetzt nur ver?ucht. Wenn er Ihnen zum Beispiel: dreckiger Denunziant gesagt hatte, so ware das eine Beleidigung gewesen, und zwar wegen des Wortes dreckig.«
Ammers sah ihn wutend an. »Tun Sie Ihre P?icht!« fauchte er.
»Herr Ammers«, erklarte der Gendarm ruhig. »Sie haben mir keine Anweisungen zu geben. Das konnen nur meine Vorgesetzten. Sie haben einen Mann zur Anzeige gebracht; ich bin gekommen, und das Weitere werden Sie mir uberlassen. Folgen Sie mir!« sagte er zu Kern.
Die beiden gingen hinaus. Hinter ihnen klappte die Haustur zu. Kern ging stumm neben dem Beamten her. Er konnte noch immer nicht richtig denken. Er hatte irgendwo das dumpfe Gefuhl: Ruth – aber er wagte einfach noch nicht weiterzudenken.
»Menschenskind«, sagte der Gendarm nach einer Weile,»manchmal besuchen die Schafe wirklich die Hyanen. Wu?ten Sie denn nicht, wer das ist? Der geheime Spion der deutschen Nazipartei hier am Ort. Der hat schon allerlei Leute angezeigt.«
»Mein Gott!« sagte Kern.
»Ja«, erwiderte der Beamte. »Das nennt man Kunstlerpech, was?«
Kern schwieg. »Ich wei? nicht«, sagte er dann stumpf. »Ich wei? nur, da? auf mich jemand wartet, der krank ist.«
Der Gendarm blickte die Stra?e entlang und zuckte die Achseln.
»Das hilft alles nichts! Es geht mich auch nichts an. Ich mu? Sie zur Polizei bringen.« Er schaute sich um. Die Stra?e war leer. »Ich mochte Ihnen nicht raten, zu ?uchten!« fuhr er fort. »Es hat keinen Zweck! Zwar habe ich ein verstauchtes Bein und kann nicht hinter Ihnen herlaufen, aber ich wurde Sie sofort anrufen und dann meinen Revolver ziehen, wenn Sie nicht stehenbleiben.« Er musterte Kern ein paar Sekunden lang. »Das dauert naturlich seine Zeit«, erklarte er dann. »Sie konnten mir vielleicht inzwischen entwischen, besonders an einer Stelle, an die wir gleich kommen, da sind allerhand Ga?chen und Ecken und von Schie?enkonnen ist da nicht viel die Rede. Wenn Sie da ?iehen wurden, konnte ich Sie tatsachlich nicht fangen. Ich mu?te Ihnen hochstens vorher Handschellen anlegen.«
Kern war plotzlich hellwach und von einer unsinnigen Hoffnung erfullt. Er starrte den Beamten an.
Der Gendarm ging gleichmutig weiter. »Wissen Sie«, sagte er nach einer Weile nachdenklich,»fur manche Sachen ist man sich eigentlich zu anstandig.«
Kern fuhlte, da? seine Hande na? vor Aufregung waren. »Horen Sie«, sagte er eilig,»auf mich wartet ein Mensch, der ohne mich kaputtgeht! Lassen Sie mich los! Wir sind auf dem Wege nach Frankreich, wir wollen ohnehin hinaus aus der Schweiz, es ist doch gleich, ob so oder so!«
»Das kann ich nicht!« erwiderte der Beamte phlegmatisch. »Das ist gegen meine Dienstvorschrift. Ich mu? Sie zur Polizei bringen, das ist meine P?icht. Sie konnen mir hochstens weglaufen, dagegen kann ich naturlich nichts weiter machen.« Er blieb stehen. »Wenn Sie zum Beispiel die Stra?e hier hinunterliefen, um die Ecke und dann links – da waren Sie fort, ehe ich schie?en konnte.« Er blickte Kern ungeduldig an.
»Na, dann werde ich Ihnen mal jetzt Handschellen anlegen! Donnerwetter, wo habe ich denn die Dinger?«
Er drehte sich halb um und kramte umstandlich in seiner Tasche.
»Danke!« sagte Kern und rannte.
An der Ecke sah er sich im Laufen rasch um. Der Gendarm stand da, beide Hande auf die Huften gestutzt, und grinste hinter ihm her.
In der nachsten Nacht erwachte Kern. Er horte Ruth sehr hastig und ?ach atmen. Er tastete nach ihrer Stirn; sie war hei? und feucht. Er wagte sie nicht zu wecken; sie schlief tief, aber sehr unruhig. Das Heu roch stark, obschon Decken und grobe Tucher darubergebreitet waren. Nach einiger Zeit erwachte sie von selbst. Mit verschlafener, kindlicher Stimme verlangte sie nach Wasser. Kern holte ihr eine Kanne und einen Becher, und sie trank gierig.
»Ist dir hei??« fragte er.
»Ja, sehr. Aber vielleicht ist es das Heu. Mein Hals ist wie ausgedorrt.«
»Hoffentlich hast du kein Fieber.«
»Ich darf kein Fieber haben. Ich darf nicht krank werden. Ich bin es auch nicht. Ich bin es nicht.«
Sie drehte sich um, schob den Kopf unter seinen Arm und schlief wieder ein. Kern lag still. Er hatte gern Licht gehabt, um zu sehen, wie Ruth aussah. Er fuhlte an der feuchten Hitze ihres Gesichtes, da? sie Fieber haben mu?te. Aber er besa? keine Taschenlampe. So lag er still und lauschte auf ihre hastigen, kurzen Atemzuge und betrachtete die unendlich langsam kreisenden Zeiger auf dem Leuchtzifferblatt seiner Uhr, die wie eine ferne, bleiche Hollenmaschine der Zeit durch das Dunkel schimmerte. Die Schafe unten stie?en sich und stohnten manchmal auf, und es schien Jahre zu dauern, bis das Fensterrund heller wurde und den Morgen anzeigte.
Ruth erwachte. »Gib mir Wasser, Ludwig.«
Kern reichte ihr den Becher. »Du hast Fieber, Ruth. Kannst du eine Stunde allein bleiben?«
»Ja.«
»Ich laufe nur in den Ort, um etwas gegen Fieber zu holen.«
Der Bauer kam und schlo? auf. Kern sagte ihm, was los war. Der Bauer machte ein saures Gesicht.
»Da mu? sie wohl ins Krankenhaus. Hier kann sie dann nicht bleiben.«
»Wir wollen sehen, ob es bis mittags nicht besser wird.«
Kern ging trotz seiner Furcht, dem Gendarmen oder jemand von der Familie Ammers zu begegnen, in den Ort zu einer Apotheke und bat den Apotheker, ihm ein Thermometer zu leihen. Der Assistent gab es ihm, als er das Geld dafur hinterlegte. Kern kaufte noch eine Rohre Arkanol und lief dann zuruck.