Ruth hatte 38,5 Grad Fieber. Sie schluckte zwei Tabletten, und Kern packte sie in seiner Jacke und ihrem Mantel ins Heu. Mittags stieg das Fieber trotz des Mittels auf 39 Grad.

Der Bauer kratzte sich den Kopf. »Sie braucht P?ege. Ich wurde sie an Ihrer Stelle ins Krankenhaus bringen.«

»Ich will nicht ins Krankenhaus«, sagte Ruth heiser und leise. »Ich bin morgen wieder gesund.«

»Das sieht nicht so aus«, sagte der Bauer. »Sie sollten in einem Zimmer liegen und nicht hier auf dem Heuboden.«

»Nein, hier ist es warm und gut. Bitte, lassen Sie mich hier liegen.«

Der Bauer ging nach unten, und Kern folgte ihm. »Weshalb will sie denn nicht fort?« fragte der Bauer.

»Weil wir dann getrennt werden.«

»Das macht doch nichts. Sie konnen doch auf sie warten.«

»Das kann ich nicht. Wenn sie im Krankenhaus liegt, wird man sehen, da? sie keinen Pa? hat. Vielleicht wird man sie behalten, obschon wir nicht Geld genug haben; aber hinterher wird die Polizei sie an eine Grenze bringen, und ich wei? nicht, wohin und wann.«

Der Bauer schuttelte den Kopf. »Und Sie haben nichts getan? Nichts ausgefressen?«

»Wir haben keine Passe und konnen keine bekommen, das ist alles.«

»Das meine ich nicht. Sie haben nicht irgendwo etwas gestohlen oder jemand betrogen oder so etwas?«

»Nein.«

»Und trotzdem jagt man hinter Ihnen her, als ware ein Steckbrief auf Sie ausgeschrieben?«-»Ja.«

Der Bauer spuckte aus. »Das verstehe, wer kann. Ein einfacher Mann versteht es nicht.«

»Ich verstehe es«, sagte Kern.

»Es kann eine Lungenentzundung geben, da oben, wissen Sie das?«

»Lungenentzundung?« Kern sah ihn erschrocken an. »Das ist unmoglich! Das ware ja lebensgefahrlich!«

»Naturlich«, sagte der Bauer. »Deshalb rede ich doch mit Ihnen.«

»Es wird eine Grippe sein.«

»Es ist Fieber, hohes Fieber, und was es wirklich ist, kann nur ein Arzt sagen.«

»Dann mu? ich einen Arzt holen.«

»Hierher?«

»Vielleicht kommt einer. Ich will nachsehen, ob es einen judischen im Adre?buch gibt.«

Kern ging wieder zuruck in den Ort. In einem Zigarettenladen kaufte er zwei Zigaretten und lie? sich das Telefonbuch geben. Er fand einen Arzt, Doktor Rudolf Beer, und ging hin. Die Sprechstunde war zu Ende, als er kam, und er mu?te uber eine Stunde warten. Er beschaftigte sich damit, Zeitschriften und Magazine anzusehen; er starrte auf die Bilder und konnte nicht begreifen, da? es Tenniswettkampfe gab und Empfange und halbnackte Frauen in Florida und frohliche Menschen und da? er hil?os dasa? und da? Ruth krank war.

Endlich kam der Arzt. Es war ein noch junger Mann. Er horte Kern schweigend an, dann packte er seine Tasche und griff nach seinem Hut. »Kommen Sie mit. Mein Wagen steht unten, wir werden hinfahren.«

Kern schluckte. »Konnen wir nicht gehen? Im Auto kostet es doch mehr. Wir haben nur noch sehr wenig Geld.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein«, erwiderte Beer.

Sie fuhren zu dem Schafstall hinaus. Der Arzt behorchte Ruth. Sie blickte angstlich auf Kern und schuttelte leise den Kopf. Sie wollte nicht fort.

Beer stand auf. »Sie mussen ins Krankenhaus. Dampfung der rechten Lunge. Grippe und Gefahr einer Pneumonie. Ich werde Sie mitnehmen.«

»Nein! Ich will nicht ins Krankenhaus. Wir konnen es auch nicht bezahlen!«

»Kummern Sie sich nicht um das Geld. Sie mussen hier heraus. Sie sind ernstlich krank.«

Ruth blickte Kern an. »Wir sprechen noch daruber«, sagte er. »Ich komme gleich wieder.«

»Ich hole Sie in einer halben Stunde ab«, erklarte der Arzt. »Haben Sie warme Sachen und Decken?«

»Wir haben nur das.«

»Ich werde etwas mitbringen. Also in einer halben Stunde.«

Kern ging mit ihm hinunter. »Ist es unbedingt notwendig?« fragte er.

»Ja. Sie kann hier in dem Heu nicht liegenbleiben. Es hat auch keinen Zweck, sie in irgendein Zimmer zu stecken. Sie gehort ins Krankenhaus, und zwar rasch.«

»Gut«, sagte Kern. »Dann mu? ich Ihnen sagen, was das fur uns bedeutet.«

Beer horte ihm zu. »Sie glauben nicht, da? Sie sie besuchen konnen?« fragte er dann.

»Nein. Es wurde sich in ein paar Tagen herumsprechen, und die Polizei brauchte nur auf mich zu warten. So aber habe ich die Chance, in ihrer Nahe zu bleiben, und von Ihnen zu horen, wie es ihr geht und was mit ihr geschieht, und mich danach zu richten.«

»Ich verstehe. Sie konnen jederzeit zu mir kommen und nachfragen.«

»Danke. Ist es gefahrlich mit ihr?«

»Es kann gefahrlich werden. Sie mu? unbedingt fort von hier.«

Der Arzt fuhr ab. Kern stieg langsam die Leiter zum Boden wieder empor. Er war taub und ohne Gefuhl. Das wei?e Gesicht mit den dunklen Flecken der Augenhohlen wendete sich aus der Dammerung des niedrigen Raumes ihm zu. »Ich wei?, was du sagen willst«, ?usterte Ruth.

Kern nickte. »Es geht nicht anders. Wir mussen glucklich sein, da? wir diesen Arzt gefunden haben. Ich bin sicher, du kommst umsonst ins Krankenhaus.«

»Ja.« Sie starrte vor sich hin. Dann richtete sie sich plotzlich erschrocken auf. »Mein Gott, wo bleibst du denn, wenn ich ins Krankenhaus komme? Und wie sehen wir uns wieder? Du kannst ja nicht kommen, sie verhaften dich vielleicht dort.«

Er setzte sich neben sie und nahm ihre hei?en Hande fest in seine. »Ruth«, sagte er. »Wir mussen jetzt sehr klar und vernunftig sein. Ich habe alles schon uberlegt. Ich bleibe hier und verstecke mich. Der Bauer hat es mir erlaubt. Ich warte einfach auf dich. Es ist besser, wenn ich nicht ins Krankenhaus komme, dich zu besuchen. So etwas spricht sich rasch herum, und sie konnen mich schnappen. Wir machen es anders. Ich werde jeden Abend zum Krankenhaus kommen und zu deinem Fenster hinaufschauen. Der Arzt wird mir sagen, wo du liegst. Das ist dann wie ein Besuch.«

»Um wieviel Uhr?«

»Um neun Uhr.«

»Dann ist es dunkel, dann kann ich dich nicht sehen.«

»Ich kann nur kommen, wenn es dunkel ist, sonst ist es zu gefahrlich. Ich kann mich am Tage nicht blicken lassen.«

»Du sollst uberhaupt nicht kommen. La? mich nur, es wird schon gehen.«

»Doch, ich komme. Ich kann es sonst nicht aushalten. Du mu?t dich jetzt anziehen.«

Er wusch ihr mit einem Taschentuch und etwas Wasser aus der Zinnkanne das Gesicht und trocknete es ab. Ihre Lippen waren aufgesprungen und hei?. Sie legte ihr Gesicht in seine Hand. »Ruth«, sagte er. »Wir wollen an alles denken. Wenn du gesund bist, und ich sollte nicht mehr hier sein, oder man schiebt dich ab… la? dich nach Genf an die Grenze schicken. Wir wollen abmachen, da? wir uns dann nach Genf postlagernd schreiben. Wir konnen uns so immer wiedertreffen. Genf, hauptpostlagernd. Wir werden auch dem Arzt unsere Adressen schicken, wenn ich geschnappt werde. Er kann sie dann immer dem andern geben. Er hat mir versprochen, es zu tun. Ich werde durch ihn alles horen und dir durch ihn alle Nachrichten geben. Wir sind so ganz sicher, da? wir uns nie verlieren werden.«

»Ja, Ludwig«, ?usterte sie.

»Sei nicht angstlich, Ruth. Ich sage dir das nur fur den schlimmsten Fall. Es ist nur dafur, wenn man mich erwischt. Oder wenn sie dich nicht einfach aus dem Krankenhaus entlassen, ohne da? die Polizei etwas erfahrt, und dann fahren wir einfach zusammen weiter.«

»Und wenn sie etwas erfahrt?«

»Man kann dich nur zur Grenze schicken. Und da warte ich auf dich. In Genf, Hauptpost.«

Er sah sie zuversichtlich an. »Hier hast du Geld. Verstecke es, denn du brauchst es vielleicht fur die Reise.«

Er gab ihr das wenige Geld, das er noch besa?. »Sag im Krankenhaus nicht, da? du es hast. Du mu?t es fur die Zeit nachher behalten.«

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