?uchen auf die ganze Wirtschaft und vermachte mir sein Parteiabzeichen zur Erinnerung. Er mu?te leider zuruck nach Deutschland.«
»Der Mann sei gesegnet!« Steiner nahm einen blauen Aktendeckel vom Tisch und offnete ihn. Eine Liste mit einem Hakenkreuz und einige Propagandaaufrufe lagen darin. »Ich glaube, das genugt. Darauf fallt er zehnmal ’rein.«
Die Aufrufe und die Liste hatte er von Beer, dem solche Dinge aus einem ratselhaften Grund seit Jahren von einer Parteiorganisation in Stuttgart zugeschickt wurden. Steiner hatte eine Auswahl getroffen und befand sich jetzt auf dem Kriegspfade gegen Ammers. Beer hatte ihm erzahlt, was Kern passiert war.
»Wann fahren Sie weiter?« fragte Beer.
»Um elf. Vorher bringe ich Ihnen aber noch Ihr Abzeichen wieder.«
»Gut. Ich werde mit einer Flasche Fendant auf Sie warten.«
Steiner ging los. Er klingelte an der Haustur von Ammers. Das Dienstmadchen offnete. »Ich mochte Herrn Ammers sprechen«, sagte er kurz. »Mein Name ist Huber.«
Das Dienstmadchen verschwand und kam wieder. »In welcher Angelegenheit?«
Aha, dachte Steiner, das ist Kerns Verdienst. Er wu?te, da? Kern nicht gefragt worden war. »Parteisache«, erklarte er kurz.
Diesmal erschien Ammers selbst. Er starrte Steiner neugierig an. Steiner hob nachlassig die Hand. »Parteigenosse Ammers?«
»Ja.«
Steiner drehte seinen Rockaufschlag um und zeigte sein Abzeichen. »Huber«, erklarte er. »Ich komme von der Auslandsorganisation und habe Sie einige Dinge zu fragen.«
Ammers stand gleichzeitig stramm und verbeugte sich. »Bitte, treten Sie ein… Herr… Herr…«
»Huber. Schlichtweg Huber. Sie wissen – die Ohren der Feinde sind uberall.«
»Ich wei?! Eine besondere Ehre, Herr Huber.«
Steiner hatte richtig kalkuliert. Ammers dachte gar nicht daran, ihm zu mi?trauen. Der Gehorsam und die Angst vor der Gestapo sa?en ihm viel zu sehr in den Knochen. Und selbst wenn er mi?traut hatte, hatte er in der Schweiz gegen Steiner nichts machen konnen. Steiner besa? einen osterreichischen Pa? auf den Namen Huber. Wieweit er mit deutschen Organisationen in Verbindung war, konnte niemand feststellen. Nicht einmal die Deutsche Gesandtschaft, die langst nicht uber alle geheimen Propagandama?nahmen informiert war.
Ammers fuhrte Steiner in den Salon. »Setzen Sie sich, Ammers«, sagte Steiner und nahm selbst in Ammers’ Sessel Platz.
Er blatterte in seinem Aktendeckel. »Sie wissen, Parteigenosse Ammers, da? wir ein Hauptprinzip bei unserer Arbeit im Ausland haben: Lautlosigkeit.«
Ammers nickte.
»Wir haben das auch von Ihnen erwartet. Gerauschlose Arbeit. Jetzt horen wir, da? Sie hier mit einem jungen Emigranten unnotiges Aufsehen gemacht haben!«
Ammers fuhr von seinem Stuhl hoch. »Dieser Verbrecher! Ganz krank hat er mich gemacht, krank und lacherlich, dieser Lump…«
»Lacherlich?« fuhr Steiner schneidend dazwischen,»offentlich lacherlich? Parteigenosse Ammers!«
»Nicht offentlich, nicht offentlich!« Ammers sah, da? er einen Fehler gemacht hatte. Er verhaspelte sich fast vor Aufregung. »Nur vor mir selbst, meine ich…!«
Steiner sah ihn durchbohrend an. »Ammers«, sagte er dann langsam,»ein echter Parteigenosse ist auch vor sich selbst nie lacherlich! Was ist los mit Ihnen, Mann? Haben demokratische Wuhlmause Ihre Gesinnung angefressen? Lacherlich… so ein Wort gibt es fur uns gar nicht! Die andern sind grundsatzlich lacherlich, verstanden?«
»Ja, naturlich!« Ammers fuhr sich uber die Stirn. Er sah sich schon halb im Konzentrationslager, damit seine Gesinnung aufgefrischt wurde. »Es war wirklich nur dieser eine Fall! Sonst bin ich stahlhart. Meine Treue ist unerschutterlich…«
Steiner lie? ihn eine Zeitlang reden. Dann schnitt er ihm das Wort ab. »Gut, Parteigenosse. Ich hoffe, so etwas wird nicht wieder vorfallen. Kummern Sie sich nicht mehr um Emigranten, verstanden? Wir sind froh, da? wir sie los sind.«
Ammers nickte eifrig. Er stand auf und holte eine Kristall?asche und zwei silberne, innen vergoldete Likorschalen auf hohen Stielen vom Bufett. Steiner betrachtete das Arrangement mit Abscheu.
»Was ist das?« fragte er.
»Kognak. Ich dachte, Sie wurden vielleicht eine kleine Erfrischung…«
»Kognak serviert man so, wenn er sehr schlecht ist, Ammers«, sagte Steiner etwas jovialer. »Oder an Mitglieder eines Keuschheitsvereins. Bringen Sie mir ein einfaches, nicht zu kleines Glas.«
»Sehr wohl!« Ammers war entzuckt, da? das Eis scheinbar gebrochen war.
Steiner trank. Der Kognak war ziemlich gut. Aber das war kein Verdienst Ammers’. Es gab keinen schlechten Kognak in der Schweiz.
Steiner nahm den blauen Aktendeckel aus der Ledermappe, die er von Beer entliehen hatte. »Hier noch etwas nebenbei, Parteigenosse. Streng vertraulich. Sie wissen, da? unsere Propaganda in der Schweiz noch sehr im argen liegt?«
»Ja«, bestatigte Ammers eifrig. »Ich habe das schon immer gefunden.«
»Gut«, Steiner winkte leutselig ab. »Das soll anders werden. Es soll ein Geheimfonds aufgebracht werden.« Er blickte in seine Liste. »Wir haben schon namhafte Gaben. Aber auch geringe Spenden sind willkommen. Dieses hubsche Haus hier ist Ihr Eigentum, nicht wahr?«
»Ja. Es sind allerdings zwei Hypotheken darauf. Praktisch gehort es also eigentlich der Bank«, erklarte Ammers ziemlich eilig.
»Hypotheken sind dazu da, um weniger Steuer zu bezahlen. Ein Parteigenosse, der ein Haus besitzt, ist kein Windbeutel, der das Geld dafur nicht auf der Bank hat. Wie hoch soll ich Sie eintragen?«
Ammers sah ziemlich unentschlossen drein. »Gerade im Augenblick ist es nicht schlecht fur Sie«, sagte Steiner ermunternd. »Wir schicken die Liste mit den Namen naturlich nach Berlin. Ich denke, wir konnen Sie mit funfzig Franken eintragen.«
Ammers wirkte erleichtert. Er hatte mit mindestens hundert gerechnet. Er kannte die Unersattlichkeit der Partei. »Selbstverstandlich!« erklarte er sofort. »Oder vielleicht sechzig«, fugte er hinzu.
»Gut, also sechzig.« Steiner schrieb. »Haben Sie au?er Heinz noch einen anderen Vornamen?«
»Heinz, Karl, Goswin – Goswin mit einem „s“.«
»Goswin ist ein seltener Name.«
»Ja, aber echt deutsch! Altdeutsch. Ein Konig Goswin kam schon in der Volkerwanderung vor.«
»Ich glaube es.«
Ammers legte einen Funfzig- und einen Zehnfrankenschein auf den Tisch. Steiner steckte das Geld ein. »Quittung ausgeschlossen«, sagte er. »Sie verstehen, warum!?«
»Selbstverstandlich! Geheim! Hier in der Schweiz!« Ammers zwinkerte schlau.
»Und keinen unnutzen Radau wieder, Parteigenosse! Lautlosigkeit ist der halbe Erfolg! Denken Sie also immer daran!«
»Sehr wohl! Ich wei? Bescheid! Es war nur ein unglucklicher Zufall.«
Steiner ging durch die verwinkelten Stra?en zu Doktor Beer zuruck. Er schmunzelte. Leberkrebs! Dieser Kern! Was fur Augen er machen wurde, wenn er die sechzig Franken von dieser Strafexpedition bekam!
17
Es klopfte. Ruth horchte zur Tur hinuber. Sie war allein. Kern war seit vormittags unterwegs, um Arbeit zu suchen. Sie zogerte einen Moment. Dann stand sie leise auf, ging in Kerns Zimmer und schlo? die Verbindungstur hinter sich ab. Die Zimmer lagen uber Eck. Das hatte fur Razzien einen Vorteil. Man konnte von jedem Zimmer auf den Korridor gelangen, ohne von jemand gesehen zu werden, der vor der anderen Tur stand.
Ruth zog die Au?entur von Kerns Zimmer lautlos zu. Dann ging sie den Korridor entlang um die Ecke.