»Du wirst bald wieder aufstehen konnen.«

Die Frau bewegte langsam den Kopf unter seiner Hand. »Was mag es nur sein, Otto? Ich habe nie etwas Derartiges gehabt. Und es dauert schon Monate.«

»Irgend etwas. Nichts Schlimmes. Frauen haben oft irgend etwas.«

»Ich glaube, ich werde nie mehr gesund«, sagte die Frau plotzlich trostlos.

»Du wirst bestimmt gesund. Sogar sehr bald. Du mu?t nur Mut haben.«

Drau?en kroch die Nacht uber die Dacher. Brose sa? still, den Kopf immer noch an den Bettpfosten gelehnt. Sein tagsuber versorgtes und angstliches Gesicht wurde klar und friedlich im undeutlichen letzten Licht.

»Wenn ich nur nicht eine solche Last fur dich ware, Otto.«

»Ich liebe dich, Lucie«, sagte Brose leise, ohne seine Haltung zu andern.

»Eine kranke Frau kann man nicht lieben.«

»Eine kranke Frau liebt man doppelt. Sie ist eine Frau und ein Kind dazu.«

»Das ist es ja!« Die Stimme der Frau wurde eng und klein. »Ich bin nicht einmal das! Nicht einmal deine Frau. Selbst das hast du nicht bei mir. Ich bin nur eine Last, weiter nichts!«

»Ich habe dein Haar«, sagte Brose,»dein geliebtes Haar!« Er beugte sich vor und ku?te ihr Haar. »Ich habe deine Augen.« Er ku?te ihre Augen. »Deine Hande.« Er ku?te ihre Hande. »Und ich habe dich. Deine Liebe. Oder liebst du mich nicht mehr?«

Sein Gesicht war dicht uber dem ihren. »Liebst du mich nicht mehr?« fragte er.

»Otto…«, murmelte sie schwach und schob ihre Hand zwischen ihre Brust und ihn.

»Liebst du mich nicht mehr?« fragte er leise. »Sag es! Ich kann verstehen, da? man einen untuchtigen Mann nicht mehr liebt, der nichts zu verdienen versteht. Sag es nur gleich, du Geliebte, Einzige«, sagte er drohend in das verfallene Gesicht hinein.

Ihre Tranen ?ossen plotzlich leicht, und ihre Stimme war weich und jung. »Liebst du mich denn wirklich noch, Otto?« fragte sie mit einem Lacheln, das ihm das Herz zerri?.

»Mu? ich dir das jeden Abend wiederholen? Ich liebe dich so, da? ich eifersuchtig bin auf das Bett, in dem du liegst. Du solltest in mir liegen, in meinem Herzen und in meinem Blut!«

Er lachelte, damit sie es sehen sollte, und beugte sich wieder uber sie. Er liebte sie, und sie war alles, was er hatte – aber trotzdem hatte er oft einen unerklarlichen Widerwillen dagegen, sie zu kussen. Er ha?te sich deswegen – er wu?te, woran sie litt, und sein gesunder Korper war einfach starker als er. Aber jetzt, in dem barmherzigen, warmen Widerschein der Aperitifreklame, schien dieser Abend ein Abend vor Jahren zu sein – jenseits der ?nsteren Gewalt der Krankheit -, ein warmer und trostvoller Widerschein, wie eben dieses rote Licht von den Dachern gegenuber.

»Lucie«, murmelte er.

Sie legte ihre nassen Lippen auf seinen Mund. So lag sie still und verga? eine Weile ihren gequalten Korper, in dem gespenstisch und lautlos die Krebszellen wucherten und unter dem nebligen Griff des Todes langsam die Gebarmutter und die Eierstocke wie mude Kohlen zu grauer, gestaltloser Asche zer?elen.

KERN UND RUTH schlenderten langsam uber die Champs-Elysees. Es war Abend. Die Schaufenster leuchteten, die Cafes waren voller Gaste, die Lichtreklamen ?ammten, und dunkel wie ein Tor zum Himmel stand der Are de Triomphe vor der klaren, auch nachts noch silbernen Luft von Paris.

»Sieh mal dort, rechts!« sagte Kern. »Waser und Rosenfeld.« Vor den riesigen Fenstern der General Motors Co. standen zwei jungere Manner. Sie waren durftig angezogen. Ihre Anzuge waren abgewetzt, und beide trugen keine Mantel. Sie diskutierten so aufgeregt miteinander, da? sie Kern und Ruth neben sich eine ganze Weile nicht bemerkten. Beide waren Bewohner des Hotels Verdun. Waser war Techniker und Kommunist; Rosenfeld der Sohn einer Bankiers-Familie aus Frankfurt, die im zweiten Stock wohnte. Beide waren Autofanatiker. Beide lebten von fast nichts.

»Rosenfeld!« sagte Waser beschworend,»nun seien Sie doch nur einen Moment vernunftig! Ein Cadillac – gut fur alte Leute meinetwegen! Aber was wollen Sie mit einem Sechzehnzylinder? Der sauft Benzin wie eine Kuh Wasser und ist trotzdem nicht schneller.«

Rosenfeld schuttelte den Kopf. Er starrte fasziniert in das taghell erleuchtete Schaufenster, in dem ein riesiger, schwarzer Cadillac sich langsam auf einer Scheibe im Boden um sich selbst drehte. »Soll er Benzin fressen!« erklarte er hitzig. »Fasser meinetwegen. Darauf kommt es doch nicht an! Sehen Sie nur, wie wunderbar bequem der Wagen ist! Sicher und zuverlassig wie ein Panzerturm!«

»Rosenfeld, das sind Argumente fur eine Lebensversicherung, aber nicht fur ein Auto!« Waser zeigte auf das Schaufenster nebenan, das der Lanciavertretung gehorte. »Sehen Sie sich das da an! Da haben Sie Rasse und Klasse! Vier Zylinder nur, ein nervoses, niedriges Biest, aber ein Panther, wenn’s losgeht! Damit konnen Sie eine Hauswand ’rauffahren, wenn Sie wollen!«

»Ich will keine Hauswand ’rauffahren! Ich will zum Cocktail im Ritz vorfahren!« erwiderte Rosenfeld ungeruhrt.

Waser beachtete den Einwurf nicht. »Sehen Sie sich die Linie an!« schwarmte er. »Wie ?ach das am Boden entlangschleicht! Ein Pfeil, ein Blitz… der Achtzylinder ist mir schon zu massig. Ein Traum von Geschwindigkeit.«

Rosenfeld brach in ein Hohngelachter aus. »Wie wollen Sie denn in den Kindersarg ’reinkommen? Waser, das ist ein Auto fur Liliputaner. Stellen Sie sich vor: Sie haben eine schone Frau bei sich im langen Abendkleid, womoglich sogar aus Goldbrokat oder Pailletten, mit einem kostbaren Pelz, Sie kommen aus dem Maxim, es ist Dezember, Schnee, Matsch auf der Stra?e, und dann haben Sie diesen fahrbaren Radioapparat da stehen – wollen Sie sich noch lacherlicher machen?«

Waser bekam einen roten Kopf. »Das sind Ideen eines Kapitalisten! Rosenfeld, ich ?ehe Sie an! Sie traumen von einer Lokomotive, aber nicht von einem Auto. Wie konnen Sie nur an so einem Mammut Gefallen ?nden? Das ist was fur Kommerzienrate! Sie sind doch ein junger Mensch! Wenn Sie etwas Schweres haben wollen, dann nehmen Sie in Gottes Namen den Delahaye, der hat Rasse und macht immer noch leicht seine 160 Kilometer!«

»Delahaye?« Rosenfeld schnaubte verachtlich durch die Nase. »Verolte Kerzen alle Augenblicke, meinen Sie, was?«

»Ausgeschlossen, wenn Sie ihn richtig fahren! Ein Jaguar, ein Projektil, vom Ton des Motors wird man allein schon besoffen! Oder wenn Sie etwas ganz Fabelhaftes haben wollen, dann nehmen Sie den neuen Supertalbot! Hundertachtzig Kilometer spielend! Da haben Sie wirklich etwas!«

Rosenfeld quietschte vor Emporung. »Ein Talbot! Ja, da habe ich was! Nicht geschenkt nehme ich die Karre, die so uberkomprimiert ist, da? sie im Stadtverkehr kocht! Nein, Waser, ich bleibe beim Cadillac.« Er wendete sich wieder dem General-Motors-Fenster zu. »Sehen Sie nur die Qualitat! Funf Jahre lang brauchen Sie da die Haube nicht aufzumachen! Komfort, lieber Waser, den haben nur die Amerikaner ’raus! Der Motor geschmeidig und lautlos, Sie horen ihn uberhaupt nicht!«

»Aber Mensch!« brach Waser los,»ich will doch gerade den Motor horen! Das ist doch Musik, wenn so ein nerviges Aas losgeht!«

»Dann schaffen Sie einen Traktor an! Der ist noch lauter!«

Waser starrte Rosenfeld an. »Horen Sie«, sagte er dann leise, sich muhsam beherrschend,»ich schlage Ihnen ein Kompromi? vor: Nehmen Sie den Mercedes Kompressor! Schwer und rassig dabei! Einverstanden?«

Rosenfeld winkte uberlegen ab. »Nicht mit mir zu machen! Geben Sie sich keine Muhe! Cadillac, sonst nichts!« Er vertiefte sich wieder in die schwarze Eleganz des riesigen Wagens auf der Drehscheibe.

Waser sah verzweifelt um sich. Dabei erblickte er Kern und Ruth. »Horen Sie, Kern«, sagte er,»wenn Sie die Wahl hatten zwischen einem Cadillac oder einem neuen Talbot, was wurden Sie nehmen? Doch den Talbot, was?«

Rosenfeld drehte sich um. »Den Cadillac, naturlich, daran ist doch gar kein Zweifel!«

Kern grinste. »Ich ware schon mit einem kleinen Citroen zufrieden.«

»Mit einem Citroen?« Die beiden Auto-Enthusiasten sahen ihn wie ein raudiges Schaf an.

»Oder mit einem Fahrrad«, fugte Kern hinzu.

Die beiden Fachleute wechselten einen raschen Blick. »Ach so!« meinte Rosenfeld dann, sehr abgekuhlt. »Sie haben nicht viel Verstandnis fur Autos, wie?«

»Auch wohl nicht fur Autosport, was?« fugte Waser etwas angeekelt hinzu. »Nun ja, es gibt Leute, die interessieren sich fur Briefmarken.«

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