»Ja. Zu Cezanne, van Gogh, Manet, Renoir und Degas«, sagte Ruth.
»Aha! Zu den Impressionisten. Dann habt ihr Mittagessen mit ihm gehabt. Fur ein Abendessen schleppt er einen zu Rembrandt, Goya und Greco. Aber nun los, Kinder, anziehen. Die Restaurants der Stadt Paris sind hell erleuchtet und warten auf uns!«
»Wir haben gerade…«
»Das sehe ich!« unterbrach Steiner grimmig. »Zieht euch sofort an! Ich schwimme in Geld.«
»Wir sind fertig angezogen.«
»Ach so! Mantel verkauft an einen Glaubensgenossen, der euch bestimmt beschummelt hat…«
»Nein…«, sagte Ruth.
»Kind, es gibt auch unehrliche Juden! So heilig mir euer Stamm als Martyrervolk augenblicklich auch ist. Also kommt! Wir wollen das Rassenproblem der Brathuhner aufrollen.«
»ALSO JETZT ERZAHLT, was los ist«, sagte Steiner nach dem Essen. »Es ist wie verhext«, sagte Kern. »Paris ist nicht nur die Stadt der Toilettewasser, der Seifen und Parfums, es ist auch die Stadt der Sicherheitsnadeln, Schnursenkel, Knopfe und anscheinend sogar der Heiligenbilder. Der Handel fallt hier fast ganz aus. Ich habe eine Menge Dinge probiert – Geschirr gewaschen, Obstkorbe geschleppt, Adressen geschrieben, mit Spielzeug gehandelt -, aber es hat noch nichts Rechtes eingebracht. Es blieb immer zufallig. Ruth hat vierzehn Tage lang ein Buro saubergemacht; dann ging die Firma pleite, und sie bekam uberhaupt nichts dafur. Fur Pullover aus Kaschmirwolle bot man ihr so viel, da? sie gerade die Wolle dafur wieder kaufen konnte. Infolgedessen…«
Er offnete sein Jackett. »Ich laufe infolgedessen wie ein reicher Amerikaner herum. Wunderbar, wenn man keinen Mantel hat. Vielleicht strickt sie dir auch so einen Pullover, Steiner…«
»Ich habe noch Wolle fur einen«, sagte Ruth. »Schwarze allerdings. Mogen Sie schwarz?«
»Und wie! Wir leben ja schwarz.« Steiner zundete sich eine Zigarette an. »Ich sehe schon! Habt ihr eure Mantel verkauft oder versetzt?«
»Erst versetzt, dann verkauft.«
»Gut. Der naturliche Weg. Wart ihr schon mal im Cafe Maurice?«
»Nein. Nur im Alsace.«
»Schon. Dann gehen wir mal zum Maurice. Da gibt es Dickmann. Er wei? alles. Auch uber Mantel. Ich will ihn aber noch etwas Wichtigeres fragen. Uber die Weltausstellung, die dieses Jahr kommt.«
»Die Weltausstellung?«
»Ja, Baby«, sagte Steiner. »Da soll es namlich Arbeit geben. Und nach Papieren soll nicht so genau gefragt werden.«
»Wie lange bist du eigentlich schon in Paris, Steiner? Da? du alles wei?t?«
»Vier Tage. Ich war vorher in Stra?burg. Hatte da etwas zu besorgen. Euch habe ich durch Klassmann gefunden. Traf ihn auf der Prafektur. Ich habe ja einen Pa?, Kinder. In ein paar Tagen ziehe ich ins International. Mir gefallt der Name.«
DAS CAFE MAURICE glich dem Cafe Sperler in Wien und dem Cafe Greif in Zurich. Es war die typische Emigrantenborse. Steiner bestellte fur Ruth und Kern Kaffee und ging dann zu einem alteren Mann hinuber. Beide unterhielten sich eine Zeitlang. Dann blickte der Mann prufend zu Kern und Ruth hinuber und ging fort.
»Das war Dickmann«, sagte Steiner. »Er wei? alles. Es stimmt mit der Weltausstellung, Kern. Die auslandischen Pavillons werden jetzt gebaut. Das bezahlen die auslandischen Regierungen. Zum Teil bringen sie eigene Arbeiter mit – fur die einfachen Sachen aber, Erdarbeiten und so was, engagieren sie die Leute hier. Und da liegt unsere gro?e Chance! Da die Lohne von auslandischen Komitees bezahlt werden, kummern die Franzosen sich wenig darum, wer da arbeitet. Morgen fruh gehen wir hin. Es ist schon eine Anzahl Emigranten beschaftigt. Wir sind billiger als die Franzosen – das ist unser Vorteil.«
Dickmann kam wieder. Er trug zwei Mantel uber dem Arm. »Ich glaube, sie werden passen.«
»Probier den Mantel mal«, sagte Steiner zu Kern. »Du zuerst. Dann Ruth den andern. Widerstand ist zwecklos.«
Die Mantel pa?ten genau. Der von Ruth hatte sogar einen verschabten, kleinen Pelzkragen. Dickmann lachelte schwach. »Mein Auge…«, sagte er.
»Sind das deine besten Klamotten, Heinrich?« fragte Steiner.
Dickmann sah ihn etwas beleidigt an. »Die Mantel sind gut. Nicht neu, das ist klar. Der mit dem Pelzkragen stammt sogar von einer Gra?n.«-»Im Exil naturlich«, fugte er auf einen Blick Steiners hinzu. »Es ist echter Waschbar. Josef. Kein Kaninchen!«
»Gut. Wir nehmen sie. Ich komme morgen, und dann sprechen wir weiter daruber.
»Das brauchst du nicht. Du kannst sie so haben. Wir haben ja noch was zu verrechnen.«
»Unsinn.«
»Doch. Nimm sie und vergi? es. Damals war ich schon in der Patsche. Herrgott!«
»Wie geht’s sonst?« fragte Steiner.
Dickmann zuckte die Achseln. »Es reicht fur die Kinder und mich. Aber es ist ekelhaft, so auf Krampf zu leben.«
Steiner lachte. »Werde nicht sentimental, Heinrich! Ich bin Urkundenfalscher, Falschspieler, Vagabund, ich habe Korperverletzungen hinter mir, Widerstand gegen die Staatsgewalt und noch allerhand mehr – ich habe trotzdem kein schlechtes Gewissen.«
Dickmann nickte. »Meine Kleinste ist krank. Grippe. Fieber. Aber Fieber ist bei Kindern nicht schlimm, was?«
Er sah Steiner dringend an. Der schuttelte den Kopf. »Rapider Heilproze?, sonst nichts.«
»Ich will heute mal fruher nach Hause gehen.«
Steiner bestellte sich einen Kognak. »Baby«, sagte er zu Kern,»auch einen?«
»Hor zu, Steiner…«, begann Kern.
Steiner winkte ab. »Rede nicht! Weihnachtsgeschenke, die mich nichts kosten. Ihr habt es ja gesehen. Einen Kognak, Ruth? Ja, was?«
»Ja.«
»Neue Mantel! Arbeit in Sicht!« Kern trank seinen Kognak. »Das Dasein fangt an, interessant zu werden.«
»Tausche dich nicht!« grinste Steiner. »Spater, wenn du mal Arbeit genug hast, wird dir die Zeit, wo du nicht arbeiten durftest, als der interessantere Teil deines Lebens vorkommen. Wunderbare Geschichte fur Enkel, die um die Knie spielen. Damals in Paris…«
Dickmann kam voruber. Er gru?te mude und ging dem Ausgang zu.
»War mal sozialdemokratischer Burgermeister.« Steiner sah ihm nach. »Funf Kinder. Frau tot. Guter Bettler. Mit Wurde. Wei? alles. Etwas zu zarte Seele, wie oft bei Sozialdemokraten. Sind deshalb so schlechte Politiker.«
Das Cafe begann sich zu fullen. Die Schlafer kamen, um Eckplatze fur die Nacht zu ergattern. Steiner trank seinen Kognak aus. »Der Wirt hier ist gro?artig. Er la?t alles schlafen, was Platz ?ndet. Umsonst. Oder fur eine Tasse Kaffee. Wenn diese Buden nicht existierten, sahe es fur manche Leute bose aus.«
Er stand auf. »Wollen gehen, Kinder.«
Sie gingen hinaus. Es war windig und kalt. Ruth schlug den Waschbarkragen ihres neuen Mantels hoch und zog ihn eng um sich zusammen. Sie lachelte Steiner zu. Er nickte. »Warme, kleine Ruth! Alles auf der Welt hangt nur von einem bi?chen Warme ab.«
Er winkte einer alten Blumenfrau, die voruberschlurfte, zu. Sie trottete heran. »Veilchen«, krachzte sie. »Frische Rivieraveilchen.«
»Welch eine Stadt! Veilchen mitten auf der Stra?e im Dezember!« Steiner nahm einen Strau? und gab ihn Ruth. »Violettes Gluck! Unnutzes Bluhen! Unnutze Dinge! Geben ubrigens die meiste Warme!« Er zwinkerte Kern zu. »Eine Lehre furs Leben, wurde Marill sagen.«
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