dann kamen die Treppen, die weich waren und mit den Zahnen ihrer Stufen nach ihren Beinen schnappten, und Turen und Helligkeit und ein Zimmer.

Sie sa? auf ihrem Bett. Sie hatte das Gefuhl, nie wieder aufstehen zu konnen. Ihre Gedanken ?elen auseinander. Es schmerzte nicht. Es war nur ein lautloses Auseinanderfallen, wie uberreife Fruchte fallen, nachts in der Stille des Herbstes von einem regungslosen Baum. Sie beugte sich vor, sie sah auf den abgetretenen Laufer, als mu?ten sie daliegen, und dann hob sie den Kopf, und jemand sah sie an.

Es waren fremde Augen, unter weichem Haar, es war ein schmales, fremdes Gesicht, vorgeneigt, wie eine Maske, und dann war es ein kuhler Schauder und ein Erbeben und ein Erwachen von weit her, und sie sah, da? es ihr Gesicht war, das sie aus dem Spiegel anblickte.

Sie ruhrte sich. Und dann sah sie den Mann, der neben ihrem Bett kniete, in einer sonderbar lacherlichen Haltung, und ihre Hande hielt.

Sie zog die Hande weg. »Was wollen Sie?« fragte sie heftig. »Was wollen Sie von mir?«

Der Mann starrte sie an. »Aber Sie haben mir doch… Sie haben mir doch gesagt, ich konne mitkommen…«

Sie wurde schon wieder mude. »Nein…«, sagte sie. »Nein…«

Die Worte kamen wieder. Worte von Ungluck und Jammer und Einsamkeit und Leiden. Worte, viel zu gro?e Worte, aber gab es denn kleine fur das Kleine, das einen zerrieb und zerschli?? Und da? er morgen fort musse, und da? noch nie eine Frau dagewesen sei, und Angst nur und das Gebrechen, das ihn lahme und scheu und lacherlich mache, ein zerschlagener Fu?, nur ein Fu?, und die Verzwei?ung und die Hoffnung, gerade heute nacht, sie habe ihn doch immer angesehen und er habe geglaubt…

Hatte sie ihn angesehen? Sie wu?te es nicht. Sie wu?te jetzt nur, da? dieses ihr Zimmer war und da? sie nie mehr hinausgehen wurde, und da? alles andere ein Nebel war und weniger.

»Es wurde ein anderes Leben fur mich sein!« ?usterte der Mann neben ihren Knien. »Alles wurde anders fur mich sein… verstehen Sie das doch! Nicht mehr sich ausgesto?en fuhlen…«

Sie verstand nichts. Sie sah wieder in den Spiegel. Das war Barbara Klein, eine Schauspielerin, vorgebeugt, achtundzwanzig Jahre alt, unberuhrt ein Leben lang, aufbewahrt fur einen Traum, der nie gekommen war, und nun ohne Hoffnung und am Ende.

Sie stand vorsichtig auf. Sie lie? das Bild im Spiegel nicht aus dem Auge. Sie sah es an. Sie lachelte ihm zu, und einen Augenblick ?ackerte etwas wie Ironie und ein makabrer Spott hindurch. »Ja«, sagte sie mude. »Ja… gut…«

Der Mann verstummte. Er starrte sie fast unglaubig an. Sie achtete nicht darauf. Alles war plotzlich zu schwer. Das Kleid druckte wie ein Panzer. Sie lie? es. fallen. Sie lie? sich selbst fallen, die schweren Schuhe, den schweren, schmalen Korper, und das Bett wuchs und wurde riesig und nahm sie in seine Arme, das weiche, wei?e Grab…

Sie horte einen Schalter knipsen und das Rascheln von Kleidern. Sie offnete mit Muhe die Augen. Es war dunkel. »Licht!« sagte sie in das Kissen hinein. »Das Licht soll brennen!«

»Einen Augenblick! Bitte nur einen Moment noch!« Die Stimme des Mannes war verlegen und hastig. »Es ist nur… bitte, verstehen Sie…«

»Das Licht soll brennen bleiben…«, wiederholte sie.

»Ja, gewi?… sofort… nur…«

»Es ist noch so lange dunkel dann…«, murmelte sie.

»Ja… ja, gewi?… die Nachte im Winter sind lang…«

Sie horte den Schalter klicken. Das Licht war wieder auf ihren geschlossenen Augenlidern, eine sanfte rote Dammerung. Dann fuhlte sie den anderen Korper. Eine Sekunde zog sich alles in ihr zusammen – dann lie? sie sich los. Es wurde vorubergehen, wie alles…

SIE OFFNETE LANGSAM wieder die Augen. Ein Mensch, den sie nicht kannte, stand vor ihrem Bett. Sie hatte eine Erinnerung gehabt an etwas Unruhiges, Flehendes, Elendes… aber das, was sie jetzt sah, war ein hei?es, offenes Gesicht, das uber?ackert war von Zartlichkeit und Gluck.

Sie sah ihn einen Augenblick an. »Sie mussen jetzt gehen«, sagte sie dann. »Bitte, gehen Sie…«

Der Mann machte eine Bewegung. Dann kamen die Worte wieder, schnelle, sprudelnde Worte. Sie verstand anfangs nichts. Es war zu schnell, und sie war zu ausgeloscht. Sie wollte nur, da? er jetzt ging. Dann verstand sie etwas – da? er verzweifelt und kaputt gewesen sei und es nun nicht mehr ware. Und da? er wieder Mut hatte, gerade jetzt, wo er ausgewiesen sei aus Frankreich…

Sie nickte. Er sollte aufhoren zu sprechen. »Bitte«, sagte sie.

Er schwieg.

»Sie mussen jetzt gehen«, sagte sie.

»Ja…«

Sie lag zerschlagen unter der Decke. Ihre Augen folgten dem Manne, der zur Tur ging. Er war der letzte Mensch, den sie sehen wurde. Sie lag sehr still, in einem sonderbaren Frieden – es ging sie alles nichts mehr an.

Der Mann blieb an der Tur stehen. Er zogerte und wartete eine Weile. Dann wendete er sich ihr zu. »Sag mir noch etwas«, sagte er. »Hast du… hast du es nur so getan… aus… mehr aus Mitleid… oder…«

Sie sah ihn an. Der letzte Mensch. Das letzte Stuck Leben. »Nein…«, sagte sie mit gro?er Anstrengung.

»Nicht aus Mitleid?«

»Nein.«

Der Mann an der Tur erstarrte. Er war atemlose Erwartung. »Was…?« fragte er so leise, als furchte er abzusturzen.

Sie sah ihn immer noch an. Sie war sehr ruhig. Das letzte bi?chen Leben. »Liebe…«, sagte sie.

Der Mann an der Tur schwieg. Er wirkte, als hatte er einen Keulenschlag erwartet und ware in eine Umarmung getaumelt. Er bewegte sich nicht und schien doch zu wachsen. »Mein Gott!« sagte er.

Sie hatte plotzlich Angst, er wurde wieder zuruckkommen. »Du mu?t nun gehen«, sagte sie. »Ich bin sehr mude…«

»Ja…«

Sie horte nicht mehr, was er sagte. Sie fuhlte die Erschopfung und schlo? die Augen. Dann war die Tur wieder da, blank und leer, und sie war allein und hatte ihn vergessen.

Sie blieb eine Zeitlang still liegen. Sie sah ihr Gesicht im Spiegel und lachelte ihm zu… sehr mude und zartlich. Ihr Kopf war ganz klar jetzt. Barbara Klein, dachte sie. Schauspielerin. Am Neujahrstage gerade. Schauspielerin. Aber war nicht ein Tag wie der andere? Sie sah ihre Uhr auf dem Nachttisch. Sie hatte sie morgens aufgezogen. Die Uhr wurde noch eine Woche lang ticken. Sie sah den Brief daneben. Den schrecklichen Brief, in dem der Tod war.

Sie nahm die kleine Rasierklinge aus der Schublade. Sie nahm sie zwischen Daumen und Zeige?nger und zog die Decke uber sich. Es tat nicht sehr weh. Die Wirtin wurde schimpfen morgen. Aber sie hatte nichts anderes. Sie hatte kein Veronal. Sie druckte das Gesicht in das Kissen. Es wurde dunkler. Dann kam es wieder. Weit weg Radio Toulouse. Naher und naher. Ein blasses Drohnen. Ein Trichter, in den man rutscht. Schneller und schneller. Und dann der Wind…

19

Marill kam in die Kantine. »Drau?en ist jemand, der dich sucht, Steiner.«

»Als was? Als Steiner oder als Huber?«

»Als Steiner.«

»Hast du ihn gefragt, was er will?«

»Naturlich. Schon aus Vorsicht.« Marill sah ihn an. »Er hat einen Brief fur dich aus Berlin.«

Steiner schob mit einem Ruck seinen Stuhl zuruck. »Wo ist er?«

»Druben am rumanischen Pavillon.«

»Kein Spitzel oder so was?«

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