Diese Frage schien Gwnda zu uberraschen. »Mair war eine pflichtbewu?te Tochter. Versteht doch, Ior-werth ist ein angesehener Schmied, und er hoffte naturlich, da? sein einziges Kind eine gute Partie machte. Ich glaube, er hatte die Absicht, sie mit Madog zu verheiraten, dem Goldschmied aus Carn Slani.«
»Ich nehme an, was die Mitgift betrifft, wird in unseren Landern ahnlich verfahren?« erkundigte sich Fidelmabei Bruder Meurig.
»So ist es«, bestatigte er ihr. »Der Morder mu? dafur, da? er Mair die Ehre geraubt hat, der Familie, also Iorwerth, den
»Mehr als ein umherziehender Schafhirte wohl zahlen kann?« mischte sich nun Eadulf wieder in das Gesprach ein.
Gwnda tat seinen Einwurf mit einer Handbewegung ab. »Idwal konnte das Geld niemals aufbringen. Deshalb ist Iorwerth ja so wutend.«
»Willst du damit sagen, da? Iorwerth nur uber den finanziellen Verlust wutend ist, den er dem Morder seiner Tochter verdankt?« fragte Fidelma rasch.
Gwnda schuttelte den Kopf. »Naturlich nicht, aber das wurde doch jeden nur noch mehr aufbringen. Bei all seinem Zorn hat er seine Pflicht gegenuber seinem Fursten vergessen. Er uberredete einige Nachbarn, mich in meinem Haus gefangenzuhalten, wahrend er und seine Komplizen den Jungen packten und ihn fur seine Untat bestrafen wollten, doch da seid ihr aufgetaucht.«
»Das ist barbarisch und versto?t gegen unsere Rechtsprechung«, stellte Bruder Meurig klar.
»Allerdings ist es befriedigend fur einen Mann, dem man Unrecht zugefugt hat und der keine andere Moglichkeit zur Vergeltung sieht«, warf Gwnda ein.
Fidelma zog kritisch ihre Augenbrauen zusammen. »Das klingt ja, als wurdest du das guthei?en?«
Gwnda lachelte schwach.
»Dem Gesetz nach kann ich das naturlich nicht durchgehen lassen. Doch ich verstehe Iorwerth. Das sagte ich bereits. Daher werde ich ihn fur die Anstiftung zum Aufruhr nicht bestrafen.«
»Dessenungeachtet hat es so einen Vorfall noch nie gegeben, und es war ein klarer Gesetzesversto?.« Auch Bruder Meurig blieb bei seiner Meinung.
»Wir kennen die Umstande des Mordes nach wie vor nicht«, bemerkte Eadulf leise, denn ihm war aufgefallen, da? die Unterhaltung in eine Sackgasse geraten war.
Einen Augenblick sah ihn Bruder Meurig verargert an, doch dann erwiderte er: »Du hast recht. Derartige juristische Streitgesprache sollten wir uns fur spater aufheben. Jetzt wollen wir etwas uber die genaueren Umstande des grausamen Mordes erfahren, Gwnda.«
Der Furst von Pen Caer rieb sich die Nase. »Da gibt es wenig zu berichten. Es ist zwei Tage her. Wie ich schon sagte, Idwal kam in unseren Ort und erzahlte Buddog vom Verschwinden der Monche von Llan-padern. Das war kurz nach dem Morgengrauen. Ior-werth hatte seine Tochter Mair gerade nach Cilau zu ihren Verwandten losgeschickt, um etwas fur ihn zu besorgen. Ungefahr eine Stunde spater erschien Ie-styn, sein Freund, in der Schmiede und erzahlte ihm, da? er gesehen hatte, wie Mair und Idwal sich im Wald heftig stritten. Er war schnurstracks zu Iorwerth gelaufen, denn er wu?te ja, da? der seiner Tochter verboten hatte, sich mit Idwal zu treffen.«
»Warum hat Iestyn denn nicht gleich in den Streit eingegriffen und ihn geschlichtet? Er ist schlie?lich ein Freund ihres Vaters«, wandte Bruder Meurig ein.
»Das mu?t du Iestyn selbst fragen«, erwiderte Gwnda.
»Sprich weiter«, drangte ihn der Richter. »Was geschah dann?«
»Iorwerth bekam einen Wutanfall. Er, Iestyn und ein paar andere Manner aus dem Ort zogen los, um Idwal zu suchen und ihn so zuzurichten, da? er nie mehr ein anderes Madchen belastigen konnte.«
»Belastigen?« erkundigte sich Fidelma. »Ich dachte, Iestyn hatte einen Streit beobachtet. Wie kann Ior- werth das denn als Belastigung auslegen?«
»Die Frage mu?t du ihm schon selbst stellen, Schwester. Ich kann nur berichten, was ich gehort habe«, antwortete Gwnda.
»Wann hast du erfahren, da? Iorwerth und seine Freunde sich auf die Suche nach Idwal gemacht hatten?« fragte Bruder Meurig.
»Zufallig war ich an diesem Vormittag auch im Wald. So begegnete ich Idwal, wie er sich gerade uber Mairs Leiche beugte. Mich bemerkte er nicht, aber es war klar, was da passiert war. Denn der Junge hatte immer noch vor Zorn die Fauste geballt und rief mit schriller Stimme ihren Namen.
Als ich horte, da? Iorwerth, Iestyn und die anderen sich ihm naherten, ging ich in seine Richtung. Idwal hatte sie ebenfalls wahrgenommen und wollte losrennen. Zufallig lief er genau dorthin, wo ich mich hinter einem Baum versteckt hielt. Als er auf meiner Hohe war, streckte ich ihn mit meiner Keule zu Boden. Dann waren auch schon Iorwerth und seine Gefahrten da. Als sie sahen, was Idwal getan hatte, wollten sie ihn auf der Stelle totschlagen. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten und ihnen erklaren, da? man auf einen Richter warten mu?te.«
»Da mochte ich einiges doch noch genauer wissen«, sagte Bruder Meurig langsam. »Hast du den Jungen dabei beobachtet, wie er ...«
Fidelma rausperte sich und wollte schon eingreifen, als Gwnda ihr zuvorkam. »Ich habe den Jungen uber die Leiche gebeugt stehen sehen. Das ist alles. Aber um zu wissen, was da vor sich gegangen war, braucht man nur eins und eins zusammenzuzahlen.«
»In meinem Land sind die Regeln hinsichtlich der Beweislage sehr streng. Du kannst nicht etwas beeiden, was du nicht gesehen hast«, warf Fidelma ein.
»Hier gelten die gleichen Gesetze, Schwester«, pflichtete ihr Bruder Meurig bei. »Die Meinungen und Auslegungen von Zeugen konnen nicht als Beweismittel dienen. Das wei? Gwnda nur zu gut. Ein Richter wird hier seine eigenen Schlusse ziehen. Wie ist das Madchen umgebracht worden?«
»Erwurgt, nachdem sie vergewaltigt wurde. An ihrem Hals waren Druckstellen. Die Leiche ist von unserem Apotheker Elisse untersucht worden. Er sagt, da? auf ihre Kehle starker Druck ausgeubt wurde und das Madchen keine Luft mehr bekam, bis sie starb.«
»Woran hat der Apotheker feststellen konnen, da? das Madchen vor ihrer Ermordung vergewaltigt wurde?« wollte Fidelma wissen.
»An Mairs Unterkleidern war sehr viel Blut, wenn ihr versteht ...«, antwortete Gwnda verlegen.
»War der Korper des Madchens noch warm, als du dazukamst?« fragte Eadulf, der sich bemuhte, in fremder Zunge seine Frage verstandlich zu formulieren.
Gwnda starrte ihn an, als sei er ein Trottel.
»Bruder Eadulf will wissen, ob du selbst die Leiche untersucht hast?« vermittelte Bruder Meurig.
»Naturlich habe ich sie nicht angeruhrt. Ich habe gesehen, da? das Madchen tot war. Das war auch ohne nahere Untersuchung offensichtlich.«
»Doch du kannst nicht sagen, wie lange Mair schon tot war, als du am Tatort eingetroffen bist?« fragte Fidelma, die verstanden hatte, worauf Eadulf hinauswollte.
»Der Junge stand immer noch uber sie gebeugt da. Es war klar, da? der Mord soeben erst geschehen war.«
»Fur uns ist das nicht so klar.« Fidelma seufzte. »Den eigentlichen Mord hast du nicht gesehen, und man kann das, was du beobachtet hast, auf vielerlei Art interpretieren. Hat Idwal denn den Mord gestanden?«
»Naturlich nicht.«
»Wieso naturlich?«
»Ich kenne niemanden, der freiwillig einen Mord gestehen wurde.«
»Also hat er abgestritten, sie umgebracht zu haben?« fragte Bruder Meurig. »Hat er gestanden, sie vergewaltigt zu haben?«
»Das hat Idwal auch abgestritten.«
»Er hat also verneint, fur Mairs Tod verantwortlich zu sein«, stellte Fidelma nachdrucklich fest.
Gwnda nickte verdrossen.
»Hat er denn versucht, den Vorfall zu erklaren?« wollte Eadulf wissen. »Was ist seiner Meinung nach geschehen?«
Gwnda schaute ihn entgeistert an.