beiden Eindringlinge zu verfolgen. Nun setzte sie zum Sprung an. Eadulf spurte formlich, da? Fidelma sich ganz ruhig zu verhalten versuchte. Da stie?en seine Finger auf eine runde Metallscheibe. Er hob sie hoch und balancierte sie wie einen Diskus in der Hand.
Just in diesem Moment sprang etwas mit einem furchterlichen Kreischen nach vorn direkt auf Fidelmas Kopf zu.
»Runter!« schrie Eadulf und schleuderte die Metallscheibe. Es war fast ein perfekter Wurf. Mitten in der Luft traf die Scheibe den springenden Schatten. Ein gellender Schrei erscholl, furchtbarer als der erste. Das Ungetum schien sich zu drehen, mitten im Sprung seine Richtung zu andern.
In dem grauen Licht des Fensters, gegen das es nun mit voller Wucht prallte, konnten sie kurzzeitig die Umrisse einer riesigen Katze erkennen. Sie war schwarz und gelbgrau gestreift und mehr als einen Meter lang. Sie fiel auf das Fensterbrett, verharrte dort kurz, sprang mit einem Fauchen durch eine Offnung und war verschwunden.
Eadulf wandte sich Fidelma zu. Sie stand zitternd an einen Tisch gelehnt.
»Was war das?« fragte sie und versuchte, ihre Haltung wiederzugewinnen.
»Eine Wildkatze.« Eadulfs Stimme klang erleichtert. »Es kommt selten vor, da? sie Menschen angreifen. Normalerweise ernahren sie sich von Kaninchen, Hasen und kleinen Nagetieren. Sicher fuhlte sie sich in die Enge getrieben.«
Fidelma schuttelte unglaubig den Kopf. »Doch ihre Gro?e ... Ich wei?, da? es wilde Katzen gibt, aber ...«
Eadulf lachelte, konnte er doch endlich mal ihr gegenuber ein wenig gro?spurig tun.
»Es handelt sich nicht um eine Hauskatze, die verwildert ist. Diese Katzen hier gehoren zu einer anderen Art, sie sind von Natur aus gro?er, und sie sind gefahrlicher, wenn sie in Bedrangnis geraten. Nur selten wagen sie sich aus den Waldern heraus. Sie sind eher Jager als Aasfresser. Gibt es in den funf Konigreichen keine Wildkatzen?«
Sie schuttelte den Kopf. »Wildlebende Katzen gibt es schon, aber nicht solche Monstren wie diese.«
»Sie ist sicher hier eingedrungen, weil sie Nager jagen wollte. Hier wimmelt es nur so davon«, sagte Eadulf beinah ausgelassen.
Vor erklarbaren Bedrohungen hatte er keine Angst.
Doch vor allem Ubernaturlichem furchtete er sich wie ein kleines Kind. Innerlich mu?te Fidelma lacheln. Bei ihr verhielt es sich genau umgekehrt. Was hatte ihr Mentor Brehon Morann immer gesagt? Die Natur schafft merkwurdige Dinge.
»Wollen wir hoffen, da? uns nicht noch mehr solche Ungeheuer uber den Weg laufen«, sagte sie. »Eadulf, halte noch einmal die Kerze hierher.«
Erneut inspizierte Fidelma aufmerksam das getrocknete Blut.
»Ich bin mir sicher, da? jemand mit diesem Messer erstochen worden ist und hier viel Blut verloren hat.«
Sie bat Eadulf, mit der Kerze uber den Fu?boden zu leuchten. Dann holte sie zufrieden Luft.
»Eine Blutspur. Wir wollen mal sehen, wo sie hinfuhrt.«
Sie folgten den vereinzelten Blutstropfen aus dem Refektorium hinaus. Das war nicht gerade einfach, denn zwischen den wenigen Flecken lagen gro?e Abstande. Fidelma mu?te lange nach dem nachsten suchen, um der Fahrte nachzugehen.
Auf einmal waren sie in der Kapelle angelangt.
»Ich schatze, da? die Spur zum Sarkophag dort fuhrt.« Fidelma blieb stehen. Auch in der Kapelle war es finster. In ihrem Mittelgang, direkt vor dem Hauptaltar, stand ein Steinsarg. Er war schon geformt und aus einem blaugrauen grobkornigen Felsgestein gehauen, so viel konnten sie mit Hilfe von Eadulfs Kerze erkennen. Der langliche Sarg erhob sich ungefahr einen Meter uber den Steinboden, an Kopf- und Fu?seite befanden sich winzige Saulen. Oben auf dem Sarg war in lateinischer Sprache zu lesen:
»Das Grab des heiligen Padern, Grunder dieses Klosters«, murmelte Fidelma. »Auch hier gibt es Blutspuren.« Sie zeigte auf den Sargdeckel.
Eadulf sah, da? sie recht hatte. Auf den Steinplatten und an der Seite des Sarges waren Blutspritzer. Fragend blickte er Fidelma an.
»Ich schatze, wir mussen hineinschauen, was?«
Fidelma lie? sich nicht zu einer Antwort herbei. Sie untersuchte den Deckel des Sarkophags. »Ich glaube, man kann ihn seitlich aufschieben«, erklarte sie. »Sieh doch mal nach, wo der Stein besonders glatt ist.«
Widerstrebend nickte Eadulf. Er stellte die Kerze ab und packte mit beiden Handen den Grabdeckel an, um zu prufen, ob er sich bewegen lie?. Zu seiner Uberraschung ging das ganz leicht. Zufrieden blickte er auf.
Fidelma nickte rasch.
Eadulf packte noch einmal zu. Die Steinplatte lie? sich muhelos zur Seite schieben.
Sofort stieg ihm Verwesungsgestank in die Nase. Doch er konnte ihn besser ertragen als den Geruch der faulenden Speisen im Refektorium.
Fidelma spahte neugierig in den Sarkophag. Eadulf hielt sich ein wenig abseits, tat es ihr dann aber gleich.
Auf den Uberresten eines zerfallenden Skeletts und eines vermodernden Leichentuches lag ein frischer Leichnam. Man hatte den Eindruck, da? er einfach nur unsanft hineingesto?en worden war, ohne Ritual, ja selbst ohne das sonst ubliche Totenhemd. Es handelte sich um die Leiche eines Mannes, der dem Anschein nach erst seit zwei, drei Tagen tot war. Er lag auf dem Rucken. Die dunklen Flecken auf seiner Brust verrieten, wie er zu Tode gekommen war: Man hatte mehrmals auf ihn eingestochen.
Entsetzen hatte Eadulf ergriffen. »Das ist kein Monch«, stellte er fest.
Der Mann war untersetzt und muskulos, er hatte einen Vollbart und dunkle Haare. Seine Haut war dunkel, seine Statur ganz anders als die jener Britan-nier, die Fidelma bisher gesehen hatte. Seine Kleider bestanden aus einem armellosen Lederwams und lederbesetzten Hosen, die bis zu den Knien hochgerollt waren. Beine und Fu?e waren nackt. Er trug Armreifen aus Bronze und Kupfer, auf denen sich merkwurdige Muster befanden. Auf seinem Halsreif war ein Symbol, das einem Blitz ahnelte. Um die Taille hatte er einen Gurtel, an dem eine leere Schwertscheide hing.
Eadulf pfiff leise durch die Zahne, was er sonst nie tat.
Fidelma betrachtete ihn uberrascht. Nicht nur das Pfeifen war untypisch fur ihn, sondern es kam auch au?erst selten vor, da? sich Eadulf in einer Kirche nicht ehrerbietig verhielt.
»Was ist das fur ein Mann?« fragte sie besturzt.
»Ein Hwicce.«
Fidelma sah Eadulf verwirrt an.
»Die Symbole auf seinen Armreifen weisen darauf hin, da? er ein Krieger der Hwicce ist«, erklarte Eadulf.
»Jetzt bin ich nicht wesentlich kluger als zuvor, Eadulf. Ein Hwicce, sagst du? Was ist das?«
»Die Hwicce bewohnen ein Kleinkonigreich in Mercia, das an die britannischen Konigreiche Gwent und Dumnonia grenzt. Die Hwicce sind eine Mischung aus Angeln und Sachsen, ein finsteres Kriegsvolk, das noch nicht zum christlichen Glauben ubergetreten ist und von selbstgewahlten Konigen regiert wird. Kurzlich erfuhr ich, da? Eanfrith ihr Herrscher ist. Als der heidnische Herrscher von Mercia, Penda, noch am Leben war, haben sie ihn unterstutzt. Fur christliche Tugenden hatte er nichts ubrig.«
»Also stimmt es, was man Gwnda berichtet hat«, sagte Fidelma nachdenklich. »Es sieht aus, als hatten Angelsachsen das Kloster uberfallen und die Monche als Geiseln mitgenommen.«
Eadulf neigte sich vor. Er zeigte auf den Halsreif des Mannes mit dem darauf eingravierten Blitz.
»Das ist das Symbol von Thunor, unserem heidnischen Gott der Blitze.«
»Mir ist noch etwas nicht klar. Man hat den angelsachsischen Krieger in den Sarkophag des heiligen Pa-dern geworfen. Dem Anschein nach hat man ihn im Refektorium mit einem Messer erstochen, mit dem man wahrend des Essens das Fleisch geschnitten hat. Wenn das wahrend des Uberfalls der Angelsachsen geschehen ist, warum hat man ihn hierhergetragen und in diesen Sarg gelegt? Warum haben ihn seine Gefahrten nicht mitgenommen?«
Eadulf runzelte die Stirn. »Normalerweise hatten sie das getan«, pflichtete er ihr bei. »Die Hwicce im