besonderen halten nichts davon, ihre Toten den Feinden zu uberlassen, wenn sie es verhindern konnen. Sie hatten ihn mitgenommen und auf See bestattet. Die Hwicce werden in allen angelsachsischen Konigreichen immer noch voller Ehrerbietung betrachtet.«
Fidelma sah ihn neugierig an. »Warum?«
»Sie befolgen die alten Riten. Die Riten von Frigg und Tiw werden von vielen Opferhandlungen und anderen finsteren Dingen begleitet.«
»Kein Grund, ihnen gegenuber ehrerbietig zu sein«, erwiderte Fidelma spottisch.
»Es liegt vielleicht daran, da? sie Grenzbewohner sind. Immer noch gelingt es ihnen, ihr kleines Reich vor den vereinnahmenden Ubergriffen der Britannier zu schutzen, die den Vorsto?en der Angeln und Sachsen ausgesprochen feindselig begegneten. Sie haben sich ihren Glauben an die ursprunglichen Gotter ihres Volkes bewahrt. Ihre Konige nehmen wie in alten Zeiten fur sich in Anspruch, von Wotan abzustammen, dem obersten aller Gotter.« Eadulf zogerte.
»Und?« fragte Fidelma. Das klang nicht gerade ermutigend.
»Obwohl sich der christliche Glaube immer mehr ausgebreitet hat, behaupten alle unsere Konige von West Saxon bis Bernicia, in direkter Nachfolge Wotans zu stehen.«
Zynisch spitzte Fidelma nun die Lippen. »Zumindest mu? mein Volk nicht behaupten, von irgendwelchen Gottern oder Gottinnen abzustammen, um einen Fuhrungsanspruch durchzusetzen und Gehorsam zu erwirken.«
Eadulf errotete leicht. Der Logik nach hatte Fidelmarecht, dennoch spurte er, da? sie damit seine eigene Geschichte und Herkunft schmahte. Er beschlo?, das Thema zu wechseln.
»Warum sollten die Hwicce eine so verlassene Kuste uberfallen? Wir befinden uns hier gut zweihundert Meilen von ihrem Konigreich entfernt. Warum sollten sie ausgerechnet hier plundern? Warum sollten sie den Ort so sauber und ordentlich verlassen und warum einen ihrer Manner in jenen christlichen Sarkophag legen?«
»Das mussen wir eben herausfinden. Wir lassen vorerst unseren heidnischen Freund dort liegen. Verfolgen wir weiter alle Spuren, ehe wir nach - wie hie? der Ort, an dem der Beschreibung Dewis nach die Angelsachsen mehrere Monche getotet haben sollen?«
»Llanferran.«
»Richtig, nach Llanferran reiten.«
Eadulf seufzte tief. »Mit scheint nichts davon auch nur in Ansatzen Sinn zu haben. Eine unlogische Erklarung jagt die andere.«
»Betrachtet man alle Moglichkeiten, so steckt in der vernunftigsten Erklarung die Antwort«, versicherte ihm Fidelma. »Die meisten Dinge wirken unlogisch, bis man genug wei? und begreift, was sich hinter ih-nen verbirgt. Komm, mal sehen, was wir sonst hier noch entdecken.«
Fidelma half Eadulf dabei, den Sargdeckel wieder zuzuschieben. Sie wollten die Kapelle schon verlassen, da fiel ihr etwas auf. Sie starrte auf den Altar.
»Das hatten wir beinah ubersehen«, sagte sie und deutete mit einem Nicken in seine Richtung.
Eadulf blickte auf den leeren Altar und runzelte die Stirn. »Was denn?« fragte er.
Fidelma seufzte ungeduldig. »Komm schon, das sollte dir aber auffallen. Sieh hin, ganz genau.«
Eadulf betrachtete den Altar eingehend. »Da ist nichts«, widersprach er.
»Nichts«, sagte Fidelma. »Eben darum geht es.«
Eadulf wollte zu einer weiteren Frage ansetzen, da ging ihm ein Licht auf. »Da ist ja kein Kruzifix mehr. Keine Altarkerzen, keine Heiligenbilder.«
»Stimmt. Genauso, wie es nach einer Plunderung aussehen sollte, alle kostbaren Dinge fort.«
Beim Verlassen der Kapelle entdeckten sie hinter der Kapellentur noch eine Strohpuppe.
Fidelma betrachtete sie nachdenklich. Da warf Eadulf ein: »Ich verstehe nicht, warum die Hwicce ein Kloster uberfallen sollten. Die fehlenden Heiligenbilder und die anderen sakralen Gegenstande hier waren doch nicht ungewohnlich kostbar, oder?«
»Euer Volk halt sich doch Sklaven, nicht wahr? Vielleicht geht es eher um den Verkauf der Monche als Sklaven und den Erlos daraus.«
Jetzt waren sie wieder am Dormitorium angelangt.
Sie schauten es sich grundlich an. Schon nach wenigen Augenblicken hatten sie festgestellt, da? von den personlichen Habseligkeiten der Monche nichts fehlte. Toilettenartikel, ein Brevier und andere Dinge lagen neben den einzelnen Betten.
In der Zelle, die offensichtlich fur den Klostervorsteher bestimmt war, fiel Fidelma im Alkoven ein eisenbeschlagenes Kastchen auf, ein Kastchen, in dem man sonst immer kleine Kostbarkeiten aufbewahrte. Doch dieses hier war leer. Auch hier gab es kein Kruzifix, wie Fidelma bemerkte. Gewohnlich befand sich in der Zelle eines Klostervorstehers immer ein kostbares Kruzifix. Ein heller Fleck an der Wand lie? erkennen, da? hier noch bis vor kurzem eines gehangen hatte.
Auf einem Regal standen die personlichen Habseligkeiten des Klostervorstehers, au?erdem ein paar Bucher in griechischer, lateinischer und hebraischer Sprache, die darauf hinwiesen, da? Pater Clidro gebildet war. Ein Band lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Ein metallener Seitenhalter zeigte sogar die Stelle an, die er als letztes gelesen hatte.
»Das ist wirklich seltsam«, bemerkte Eadulf.
»Das kann man wohl sagen«, stimmte ihm Fidelma zu, »doch sicher nicht in der Weise, als da? hier die Machte der Finsternis am Werk gewesen sein sollen.«
»Wir haben alle Gebaude durchforscht und sollten uns nun nach Llanferran aufmachen. Unsere Pferde sind unruhig.«
Als Echo konnten sie das Wiehern der Tiere horen, die drau?en angebunden waren.
»Dabei fallt mir ein, da? wir uns die Stalle noch nicht angesehen haben«, erwiderte Fidelma. »Das mussen wir noch tun.«
Eadulf verzog das Gesicht. »Wir wissen doch, da? dort nichts weiter ist. Bruder Cyngar war schon dort. Das hat er uns erzahlt.«
»Er hat uns auch erzahlt, da? er sich alles im Kloster angeschaut und nichts gefunden hatte. Trotzdem haben wir so manches entdeckt.«
Eadulf nickte. Sie hatte recht. Naturlich.
Sie verlie?en das Dormitorium. »Offenbar hat der Wind inzwischen die Tore aufgesto?en«, bemerkte Eadulf.
»La? gut sein«, erwiderte Fidelma. »Wir werden nicht lange brauchen, um uns dort umzusehen.«
Bruder Cyngars Bericht bestatigte sich. Alles war leer. Das ganze Vieh fort. Doch Fidelma bestand darauf, jeden Winkel genau zu untersuchen, selbst das kleinste Detail war wichtig. Von den Stallen gingen sie zu der gro?en Scheune, die sich dahinter befand. Daneben gab es eine Schmiede. Die gro?e Kohlenpfanne war erkaltet und voller grauer Asche. Es war schon eine Weile her, da? ein Feuer in ihr gelodert hatte. Die Scheunentore standen offen. Fidelma blickte hinein. Cyngar hatte gesagt, er sei zur Scheune gegangen, hatte hineingeschaut und dort nichts Besonderes bemerkt.
»Bruder Cyngar erzahlte, im Kloster wurden nur zwei Maultiere gehalten. Warum gibt es dann in der Scheune so viele Boxen?« wollte Eadulf wissen.
»Fur die Pferde der Gaste«, erwiderte Fidelma. »Das Kloster beherbergte Reisende und Pilger, die auf der Durchreise waren. Die konnten hier ihre Pferde unterstellen.«
Sie trat in die Scheune und besah sich jede einzelne Box. Als sie am Ende der Reihe zu ihrer Linken angelangt war, fiel ihr etwas auf. Ihre Augen wanderten rasch nach oben, ihr Gesichtsausdruck veranderte sich. Eadulf stand noch immer am Eingang. Fidelma starrte gebannt auf etwas, das sich genau uber seinem Kopf befand.
»Was ist los?« fragte er und dachte schon, die Wildkatze hatte sich wieder angeschlichen.
»Ich glaube, wir haben Pater Clidro gefunden«, sagte sie leise.
Rasch lief Eadulf einige Schritte in die Scheune hinein, drehte sich um und schaute ebenfalls nach oben.
An einem der Haupttragerbalken des Daches war an einem Seil ein Flaschenzug angebracht. Ein weiteres Seil verlief von einem anderen Stutzbalken zum Flaschenzug und war dort durchgezogen. Am Seilende baumelte ein alterer Mann.