einem merkwurdigen Gesichtsausdruck beobachtete.

»Du willst uns also toten?« fragte ihn Fidelma ruhig.

»Ich bin kein Freund der Angelsachsen«, erwiderte er kurz angebunden.

»Wie es scheint, auch sonst niemandes Freund.« Sie blickte zu Corryn hinuber.

Langsam schuttelte Clydog den Kopf. »Du bist eine resolute Frau, nicht wahr? Wie dem auch sei, ich bin nicht dafur verantwortlich, was meine Manner denken. Ich gebe hier die Befehle, und bisher habe ich niemandem befohlen, irgend jemanden zu toten. Also komm her und setz dich wieder hin.«

Fidelma erwiderte daraufhin nichts.

»Setz dich hin, Gwyddel!« wiederholte er schon scharfer. »Sei dankbar, da? ich dich aus Corryns Klauen befreit habe. Er hatte euch beide am liebsten gleich in Llanpadern aus dem Weg geraumt. Ich habe dem Sachsen bisher nur das Leben retten konnen, weil er ein Heilkundiger ist.«

Mit ausdrucksloser Miene lie? sich Fidelma neben ihm nieder. Clydog lachte vergnugt vor sich hin.

»Ich sehe schon, du bist ein ausgezeichneter Gast«, sagte er belustigt.

»Was willst du von mir, Clydog?« fragte sie. »Warum ist dir daran gelegen, mich und Bruder Eadulf gefangenzuhalten?«

»Sollte mir an mehr gelegen sein als an deiner Gesellschaft bei diesem Mahl? Komm, i? dich satt und genie?e unsere Unterhaltung. Du wirst feststellen, da? ich ein gebildeter Mann bin, den es manchmal nach geistvollen Gesprachen verlangt.«

»Da kannst du dich sicher gut mit deinem Gefahrten dort unterhalten«, erwiderte sie spottisch und nickte in Richtung Corryn. »Einer, der Vergil zitiert, mu? einfach gebildet sein.«

Clydog runzelte verargert die Stirn. »Ein paar Worte Latein aufschnappen - das kann jeder«, sagte er, sich fast rechtfertigend. »So, nun la? uns essen.«

»Ich zoge es vor, im Wald zu hungern«, gab sie ihm kuhn zuruck. »Die wilden Tiere waren mir willkommener als deine Gesellschaft.«

»Kann es sein, da? du mich so wenig magst?« erwiderte der junge Mann nachdenklich, aber immer noch mit einem Lacheln. »Abneigung ist nur ein negativer Ausdruck der eigenen Wunsche.«

Fidelma konnte sich ein Lacheln nicht verkneifen. »Ich kenne dich nicht gut genug, um dich hassen zu konnen, Clydog«, erwiderte sie belustigt. »Doch auf jeden Fall kann ich dich nicht leiden, und das hat allerdings etwas mit meinen Wunschen zu tun.« Ihre Worte schienen ihn zu verbluffen. Sie fuhr fort: »Ich wunschte mir sehnlichst, da? du tausend Meilen von hier fort warest.«

Clydog nahm ein scharfes Messer von seinem Gurtel, spielte damit gro?tuerisch herum, ehe er aufstand und von dem Braten am Spie? ein paar Scheiben abschnitt und sie auf zwei Holzbretter legte. Er reichte ihr eines der Bretter, dann nahm er wieder Platz.

»Ich bin mir sicher, da? jemand von deiner Intelligenz, Lady, auch Antisthenes gelesen hat«, sagte er nach einer Weile.

»Es uberrascht mich sehr, da? so gewohnliche Strauchdiebe, wie ihr es seid, so bedeutende Philosophen kennen. Zuerst horen wir von Vergil und nun von Antisthenes.«

Clydog erwiderte nichts auf ihre hohnische Bemerkung. »Da du behauptest, mich nicht leiden zu konnen, Lady, solltest du dir vielleicht die folgenden Worte von Antisthenes ins Gedachtnis rufen: Achte auf jene, die du nicht leiden kannst, auf deine Feinde, denn sie sind die ersten, die deine Fehler und Fehltritte bemerken.«

Fidelma neigte den Kopf leicht zur Seite. »Mein Lieblingsphilosoph ist Publilius Syrus. Vielleicht hast du ihn auch gelesen?«

»Mir sind seine Lebensweisheiten ein wenig bekannt.«

»Er sagte, da? es keine Sicherheit bedeute, die Zuneigung seines Feindes zu erringen. Der Feind wird erst zum Freund, wenn er tot ist.«

»Publilius Syrus«, spottete Clydog, »war nur ein Sklave aus Antiochia, der nach Rom gebracht wurde und seine Freiheit errang, weil er Dinge schrieb, die die Gefuhle seiner Herren ansprachen.«

»Lehnst du seine Weisheiten ab, seine Stucke oder ihn, weil er aus Antiochia stammte oder weil er ein romischer Sklave war, der seine Freiheit erringen konnte? Viele unserer Vorfahren hatten das gleiche Schicksal.«

»Meine Vorfahren nicht!« brauste Clydog zu Fidelmas Uberraschung wutend auf.

»Ich meine jene Britannier und Gallier, die als Sklaven nach Rom gelangten und ihre Freiheit wiedererrangen.«

»Die sollen fur sich selbst sprechen. Ich werde fur mich sprechen.«

»Es ist offensichtlich, da? du ein gebildeter Mann bist, Clydog. Wer bist du?« fragte Fidelma plotzlich. »Du bist viel zu intelligent fur einen gewohnlichen Banditen.«

Sie betrachtete ihn eingehend. Die Schatten, die das flackernde Feuer uber sein Gesicht huschen lie?, erschwerten ihr das ein wenig.

»Ich habe dir schon gesagt, wer ich bin.«

»Clydog, die Wespe, offenbar ein Geachteter«, raumte Fidelma ein. »Doch weshalb bist du das? Du bist nicht als Wegelagerer geboren.«

Clydog lachte kurz auf. »Ich bin das, was ich bin, weil ich mehr im Leben erreichen will, als mir das Schicksal mit auf den Weg geben konnte. Doch ich habe dich nicht zu dieser Abendmahlzeit gebeten, um uber mich zu sprechen.«

Von der anderen Seite des Feuers drangen heisere Stimmen zu ihnen heruber. Man hatte Corryn uberredet, ein Saiteninstrument in die Hand zu nehmen, welches Fidelma an eine ceis erinnerte, eine kleine rechteckige Harfe mit diagonal verlaufenden Saiten, die in ihrer Heimat weit verbreitet war. Als Corryn zu singen begann, verstummten die anderen. Er hatte einen schonen weichen Tenor.

»Wintertag, die Hirsche sind mager, geschwind und kraftvoll ist der Rabe. Der Wind blaht sich auf zum Gewittersturm. Weh dem, der einem Fremden traut, Weh den Schwachen, weh den Schwachen.«

Fidelma schnaubte abschatzig. »Clydog, ist das deine Philosophie? Weh den Schwachen?«

»Gibt es eine bessere?« erwiderte Clydog. »Nur die Starken werden das Erdreich besitzen.«

»So bist du kein Christ? Unser Herr sagte: Selig sind die Sanftmutigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Bist du anderer Ansicht?«

»Ich bin kein Christ. Ich halte nichts von der christlichen Lehre, die den Menschen Mut und Starke abspricht. Dein Gott ist ein Gott der Sklaven, er ermutigt sie, ewig Sklaven zu bleiben. Er ermutigt die Leute, arm, hungrig und ohne Kleider zu bleiben. Dein Gott wurde erfunden, damit die Reichen die Armen versklaven konnen! Fort mit dem Unsinn! Fort mit solchen Lehren der Sklaverei!«

Fidelma musterte Clydog aufmerksam. Er hatte mit gro?er Leidenschaft gesprochen.

»Warst du einmal arm und versklavt, Clydog?«

Wieder brauste er auf. »Was meinst du ... Ich habe nicht gesagt .«

Fidelma lachelte. »Ich sehe, in deinem Herzen ist gro?er Zorn, und du willst auf keinen Fall verzeihen. Lukas schrieb: >Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.<«

»Predige mir nicht deinen Glauben, Gwyddel. Den brauchen wir nicht. Trotzdem solltest du Sunder wie mich akzeptieren, bist du doch eine Christin.«

Fidelma schaute ihn erstaunt an.

»Rede mir ja nicht ein, da? einer, je mehr er sundigt, einen um so besseren Heiligen abgeben wird. Je mehr einer gesundigt hat, desto mehr wird ihm Christus vergeben?«

»Wer hat dich das gelehrt?« fragte Fidelma.

»Das steht in euren christlichen Buchern. Dein Christus sagt: >Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein uber einen Sunder, der Bu?e tut, mehr als uber neunundneunzig Gerechte, die der Bu?e nicht bedurfen.< So steht es in eurer Heiligen Schrift.«

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