Clydog walzte sich zur Seite und sprang auf die Beine. Er schuttelte verblufft den Kopf. Das rauhe Gelachter seiner Manner schallte ihm in den Ohren.
»Ein feiner Krieger! Kann nicht einmal eine unbewaffnete Frau uberwaltigen!« rief einer von ihnen.
»Brauchst du Hilfe, um sie zu bandigen?« rief ein anderer.
»La? mich mal ran«, meldete sich ein dritter, »ich werde keine Hilfe brauchen.«
Clydog war nun aufs au?erste gereizt. »Ich werde es dir schon zeigen, Gwyddel«, tobte er.
»Du meinst, da? du Manns genug bist, um es mir zeigen zu konnen?« spottete Fidelma. »Deine Manner meinen wohl eher, da? man es dir erst einmal selbst zeigen mu?.«
Sie provozierte ihn absichtlich, denn sie wu?te, im Zorn macht man Fehler. Mit einem wutenden Schrei ging Clydog wieder auf sie los. Sie war sich klar daruber, da? sie ihn jetzt nicht mehr uberraschen konnte. Clydog tat so, als wurde er zur Seite ausweichen. Doch darauf war sie vorbereitet. Sie machte schnell einen Schritt zuruck, hob ein Bein und trat ihm genau in die Genitalien.
Clydog schrie auf und fiel, sich vor Schmerzen krummend, zu Boden.
Fidelma hatte gehofft, den Moment, da er am Boden lag, nutzen zu konnen, doch Clydogs Leute hatten einen bedrohlichen Halbkreis um sie gebildet. An Flucht war nicht zu denken. Zwei der Manner hatten ihre Schwerter gezogen. Ein anderer lief auf Clydog zu, um ihm zu helfen. Der wand sich immer noch am Boden und erbrach sich.
»Der hat ganz schon was abgekriegt«, sagte einer.
»Tote die Hexe«, befahl Corryn kalt. »Und den Sachsen auch. Wir hatten ihnen schon in Llanpadern den Hals umdrehen sollen. Sualda wird von allein gesund werden.«
Einer der Manner hob das Schwert.
Fidelma versuchte, keine Miene zu verziehen.
»Nein!«
Der Ruf kam von Clydog. Selbst in dem dusteren Feuerschein konnte Fidelma sein Gesicht erkennen, es war wei? und schmerzverzerrt. Man hatte ihm aufgeholfen. Auf den Arm eines Gefahrten gestutzt, humpelte er auf sie zu.
»Nein! Noch soll ihr nichts geschehen. Sie konnte uns von Nutzen sein.« Sein Gesicht verzog sich zu einem kummerlichen Grinsen. »Du wirst noch bedauern, was du getan hast, Gwyddel«, erklarte er ihr.
»Ich bedaure nur, dir keine hartere Lektion erteilt zu haben«, erwiderte sie spottisch und verbarg ihre Erleichterung daruber, da? sie der unmittelbaren Todesgefahr erst einmal entgangen war.
»Du willst diese Farce auf die Spitze treiben, was?« fragte Corryn.
Clydog uberging seine Bemerkung. »Bringt sie in die Hutte zuruck. Fesselt sie.«
Sie wurde von rauhen Handen an den Armen gepackt, und man band ihr die Handgelenke so fest auf dem Rucken zusammen, da? sie vor Schmerzen nach Luft rang. Rohe Fauste stie?en sie auf die Hutte zu. Dann horte sie wieder Clydogs Stimme.
»Holt den Sachsen raus! Wir werden noch ein Spielchen mit ihm treiben, ehe wir ihn zu seinem wahren Gott, zu Wotan schicken.«
»Das konnt ihr nicht tun!« schrie Fidelma und wand sich im Griff ihres Wachters. »Warum willst du Eadulf fur etwas bestrafen, was ich getan habe? Kannst du deine Niederlage nicht wie ein Mann tragen?«
»Mochtest du vielleicht zusehen?« erkundigte sich Clydog hohnisch. »Deine Anwesenheit konnte den Sachsen vielleicht ermutigen, sein Ende mit stoischer Gelassenheit hinzunehmen. Solche Dinge habe ich schon erlebt. Die Sachsen haben im Angesicht des Todes den Namen ihres Gottes auf den Lippen und glauben, in Walhall, der Ruhmeshalle der unsterblichen Helden, aufgenommen zu werden. Nein, du mu?t dich damit begnugen, seine jammervollen Schreie um Gnade zu horen. Holt ihn endlich raus!«
Sie stie?en Fidelma in das Dunkel der Hutte. Sie fiel zu Boden. Als man sie wie zuvor an der Huttenwand festband, litt sie Hollenqualen.
»Beeilt euch!« horte sie Clydog drau?en wuten. »Wird ja wohl nicht die ganze Nacht dauern. Bringt den Sachsen her zu mir. Mag der Spa? endlich beginnen.«
»Eadulf!« konnte Fidelma schlie?lich hervorbringen.
Dann vernahm sie, wie einer der Banditen einen erstaunten Schrei ausstie?. Der Mann hielt die Fackel hoch, um das Hutteninnere auszuleuchten.
Nun blickte auch sie hinuber zu der Stelle, wo Eadulf festgebunden gewesen war. Er war nicht mehr da. Seine Fesseln lagen auf der Erde, dicht daneben das Holzbrett mit den Bratenscheiben, die noch unberuhrt waren. Hoffnung stieg in ihr auf.
Das ferne Wiehern eines Pferdes drang an ihr Ohr. Dann das wilde Durcheinander mehrerer Stimmen.
»Ein Pferd hat sich losgemacht!«
»Der Sachse! Er haut ab!«
Clydog brullte hysterisch: »Der Sachse? Stimmt das? Ist er fort?«
Er sturzte in die Hutte, entdeckte die abgestreiften Fesseln und blickte zu Fidelma hinab. Er war au?er sich vor Wut.
»Keine Sorge, Gwyddel. Wir kriegen ihn schon. Wir kennen uns in den Waldern hier gut aus. Wenn er wieder eingefangen ist, werdet ihr beide solche Schmerzen erleiden, da? ihr mich anflehen werdet, euch zu toten. Der Tod wird euch wie ein Geschenk vorkommen.«
»Findet erst einmal Eadulf«, erwiderte sie zornig. »Clydog, bisher hast du nicht eine deiner Drohungen wahrmachen konnen. Ich bezweifle, da? es dir diesmal gelingt.«
Sie meinte, Mordlust in seinen Augen aufflackern zu sehen, und war auf alles gefa?t. Da tauchte Corryn neben seinem Anfuhrer auf und packte ihn am Arm.
»Der Sachse flieht gerade!« zischte er ihn an. »Deine personliche Rache kann warten.«
Es dauerte einen Moment, ehe sich Clydog wieder unter Kontrolle hatte. Dann verlie? er die Hutte und gab seinen Mannern verschiedene Befehle. Ein geschaftiges Treiben begann, die Manner sa?en auf, das Unterholz knackte, als sie auf ihren Pferden davonstoben. Fidelma hatten sie im Dunkel der Hutte allein gelassen.
Einerseits freute sie sich daruber, da? Eadulf die Flucht gelungen war, und sie hoffte, da? er ihnen nicht in die Hande fiel. Andererseits wurde ihr bewu?t, da? sie nun allein und hilflos Clydog und seiner Rauberbande ausgeliefert war. Bei seiner Ruckkehr wurde Clydog vollig unberechenbar und hemmungslos sein. Sie lag da und lauschte, ob die Pferde zuruckkehrten. Sie fragte sich, wohin sich Eadulf wohl durchschlagen wurde. Vermutlich versuchte er, nach Llanwnda zu gelangen, um entweder von Bruder Meurig oder Gwnda, dem Fursten von Pen Caer, Hilfe zu erbitten. Doch selbst wenn ihm das gelange, es wurde einige Zeit verstreichen, ehe er mit den Rettern hier auftauchte, wenn er uberhaupt die Stelle wiederfande und Clydog nicht inzwischen woanders sein Lager aufgeschlagen hatte.
Vergeblich zerrte sie an ihren Fesseln. Sie waren viel zu fest. Sie fragte sich, wieviel Zeit ihr noch verbliebe, bis Clydog mit seinen Leuten wieder zuruck war, und sie betete, da? Eadulf ihnen entkommen moge.
Dann horte sie im Dunkel einen Laut. Sie drehte sich um und bemerkte, wie jemand die Hutte betrat.
Kapitel 10
Fidelma versuchte sich aufzurichten, um sich, so gut sie konnte, zu verteidigen.
»Leise!« hauchte eine Stimme.
Fidelma schnappte unglaubig nach Luft. »Eadulf!« flusterte sie teils erleichtert, teils verblufft. »Was tust du denn hier? Ich dachte, du seist langst uber alle Berge.«
Eadulf hockte sich neben sie. Seine flinken Hande machten sich an ihren Fesseln zu schaffen.
»Ich hoffe, Clydog und seine Bande denken das gleiche - da? ich namlich mit einem Pferd geflohen bin«, erwiderte er vergnugt.
»Wie ist es dir gelungen, dich zu befreien?«
»Ganz einfach. Als mir der Mann die Bratenscheiben brachte, bat ich ihn, mir eine Hand loszubinden, damit ich das Essen zum Mund fuhren konnte. Das tat der Trottel dann auch. Er dachte wohl, ich sei immer noch ausreichend gefesselt, und ging wieder. Zugig knupfte ich einen Knoten nach dem anderen auf und ...«
»Wenn uns Clydog noch einmal zu fassen kriegt, wird er uns beide umbringen«, unterbrach sie ihn.