»Ich wei?. Ich habe gehort, was hier vorging. Hat er dir etwas getan?« fragte er ein wenig verlegen.

»Mir ist nichts geschehen. Doch Clydog ist in seinem Stolz verletzt.«

»Ich wu?te, da? du ihn mit deinen Verteidigungskunsten hinhalten wurdest. Erst wollte ich in der Hutte warten und dich befreien. Doch als ich horte, da? Clydog entschlossen war, mich auf der Hohe meiner Jugend zum Martyrer zu machen, habe ich mich lieber davongeschlichen. Ich versteckte mich im Wald und konnte beobachten, wie sie dich in die Hutte zerrten. Da band ich ein Pferd los und gab ihm einen Klaps auf die Hinterhand, so da? es fortgaloppierte.«

Fidelma spurte, wie sich das Seil um ihre Hande lockerte.

»Ich bin frei!« sagte sie schnell. Sie rieb sich die Handgelenke, damit das Blut wieder normal flie?en konnte.

Eadulf half ihr auf die Beine.

»Und was nun?« fragte sie ihn, obwohl sie wu?te, da? er schon einen Plan hatte.

»Sie haben unsere beiden Pferde hiergelassen. Ich schlage vor, wir reiten einfach in die entgegengesetzte Richtung.«

Sie traten gerade aus der Hutte, als Fidelma ihn plotzlich wieder zuruckzog. Er bemerkte sofort den Grund.

»Halt!« rief eine Stimme. Einer der Banditen war als Wache im Lager zuruckblieben und rannte auf die Hutte zu. Auf seinem erhobenen Schwert sahen sie den Widerschein des Feuers. »Bleibt stehen. Ihr konnt nicht entkommen.«

Eadulf handelte rasch. Er buckte sich, nahm eine Handvoll Dreck und schleuderte ihn dem Mann entgegen. Er warf nicht einmal mit besonderer Kraft, sondern nur, um den Bewacher abzulenken, der dem Wurf auszuweichen versuchte. Im selben Augenblick hatte sich Eadulf von einem Holzstapel den erstbesten Knuppel gegriffen. Er drehte sich mit schneller Bewegung um seine Achse und ging in Verteidigungsstellung. Inzwischen hatte sein Gegner bemerkt, da? von dem geschleuderten Dreck keine Gefahr drohte. Da stand Eadulf auch schon vor ihm, den Knuppel uber dem Kopf des Mannes. Die beiden waren sich nun viel zu nah, als da? der andere sein Schwert hatte einsetzen konnen. Blitzschnell schlug Eadulf zu.

»Komm, los!« rief er Fidelma zu, noch ehe der Bandit zu Boden gegangen war. Fidelma band schon die Pferde los. Dann ritten sie, Eadulf voran, in raschem Tempo in entgegengesetzter Richtung zu Cly-dog und seinen Mannern davon.

Es war ziemlich dunkel, und im Wald wirkte alles noch finsterer. Plotzlich fuhr ein Windsto? durch die Baumkronen. Fidelma blickte nach oben.

»Es wird bald regnen, Eadulf«, rief sie. »Dieser Wind ist der Vorbote eines Gewitters, das garantiere ich.«

»Das sollte uns eher helfen, als uns zu behindern«, erwiderte Eadulf. »Zumindest wird der Regen unsere Spuren verwischen.«

Sie konnte nicht einschatzen, wie lange sie schon geritten waren, aber es mu?te ein betrachtliches Stuck Wegs sein. Ein Blitz zuckte am Himmel auf, ein Donnergrollen folgte. Die Pferde scheuten und wieherten. Ein kalter, eisiger Regen setzte ein, der rasch an Starke zunahm.

»So werden wir nicht weit kommen«, rief Fidelma. »Hast du eine Ahnung, wo wir sein konnten?«

»Die Sterne sind nicht zu sehen. Es sind zu viele Wolken am Himmel«, erwiderte Eadulf. »Doch ich glaube, da? wir uns nach Westen oder Sudwesten bewegen. Genau sudlich von Llanpadern lag der Wald.«

Seine Worte wurden von einem weiteren Blitz begleitet, und wieder folgte unmittelbar darauf Donnergepolter.

»Wir mussen irgendeinen Unterschlupf finden«, erklarte Eadulf. »Der Regen ist viel zu stark.«

»Aber jetzt hinterlassen wir keine Spuren«, entgeg-nete Fidelma. »Am besten wir steigen ab und fuhren die Pferde. Donner und Blitz machen sie ohnehin nervos.«

Widerstrebend gestand sich Eadulf ein, da? sie recht hatte. Er wu?te, da? Fidelma eine ausgezeichnete Reiterin war.

Von Kindesbeinen an war sie mit Pferden vertraut. Er war es mehr gewohnt, sich zu Fu? fortzubewegen. Sie sa?en ab und fuhrten die Pferde am Zugel. Der prasselnde Regen verwandelte den Boden unter ihren Fu?en in Schlamm.

Nach einem grellen Blitz blieb Eadulf stehen und deutete auf einen kleinen Pfad, der vom Hauptweg abging und eben kurz sichtbar geworden war.

»Mir war so, als hatte ich da eine Felswand gesehen. Dort mu? es einen Uberhang geben, der uns Schutz bieten konnte. Das ware besser als gar nichts.« Er hatte mit lauter Stimme gesprochen, um den sintflutartigen Regen und das Gewittergrollen zu ubertonen.

Fidelma nickte nur.

»Warte hier!« rief ihr Eadulf zu. »Ich werde prufen, ob es dort sicher ist.«

Schon war er in der Dunkelheit verschwunden. Fidelmastand bei ihrem unruhigen Pferd, sprach ihm gut zu und streichelte besanftigend seine Nustern.

Dann tauchte Eadulf wieder auf. »Alles in Ordnung«, rief er. »Du kannst kommen. Der Uberhang fuhrt in eine Hohle, wo wir mit den Pferden Unterschlupf finden konnen. Ich habe meins schon dort gelassen. Die Hohle ist geraumig und trocken.«

Sie folgte ihm und fuhrte ihr Pferd vorsichtig uber den schlammigen Pfad unter tief herabhangenden Zweigen hindurch.

Obwohl es kaum moglich schien, nahm der Regen noch an Intensitat zu. Das Gewitter stand uber dem Wald, als hatte sie ein zorniger Gewittergott aufs Korn genommen. Der schleuderte seine grellen Blitze vom Himmel und lie? ihnen explosionsartige Donnerschlage folgen. Ein Blitz hatte offenbar ganz in der Nahe eingeschlagen, denn sie sahen, wie auf einem Hugel ein Feuer ausbrach, das kurze Zeit darauf die Sturzbache des Regens wieder geloscht hatten.

Fidelma kam auf einmal der Gedanke, da? der Gewittergott der Sachsen, Thunor, wohl Rache an ihnen nehmen wollte. Es war gar nicht lange her, da? auch ihr Volk die Gewitterunbilden als Zeichen der Macht der Gotter und Gottinnen betrachtet hatte. Sie fragte sich, warum der Name des sachsischen Gewittergottes dem seines irischen Kollegen Torann und dem britischen Gott Taranis so ahnlich war.

Der Uberhang war recht breit. Wie Eadulf gesagt hatte, befand sich unter dem Felsvorsprung eine Hohle. Eadulf hatte seinem Pferd mit den Zugeln die Vorderfu?e gefesselt, damit es nicht davonlief. Eine Moglichkeit, die Pferde anzubinden, gab es in der Hohle nicht. Fidelma lachelte vor sich hin, sie freute sich uber seine Weitsicht. Er wird schon noch ein guter Reiter werden, dachte sie. Rasch tat sie es ihm nach.

Die Hohle wirkte gro? und einigerma?en trocken, doch sie hatten beide Hunger und froren.

»Vermutlich werden wir hier kein Feuer anbekommen, oder?« fragte sie.

»Wir haben nichts Trockenes zum Anzunden und auch kein Holz«, erwiderte Eadulf, der als schattenhafte Gestalt am Hohleneingang stand und nur von den Blitzen erhellt wurde. »Und selbst wenn ich was fande, bin ich mir nicht sicher, ob es klug ware, ein Feuer zu machen. Wir haben uns noch nicht weit genug von Clydogs Lager entfernt, furchte ich, und mussen jedes Aufsehen vermeiden.«

»Er und seine Manner haben sicher wahrend des Gewitters die Suche nach uns eingestellt«, sagte sie. »Vorerst mussen wir uns wohl hier einrichten.«

Sobald es hell genug war und sich, wie sie hofften, das Unwetter gelegt hatte, wollten sie weiterreiten. Doch zunachst mu?ten sie dafur sorgen, da? ihre Sachen trockneten und sie nicht mehr froren. Eadulf hatte recht: Es war nirgends etwas Brennbares zu finden, also mu?ten sie sich irgendwie behelfen.

Eadulf hatte mehr tastend als sehend den Pferden in dem Dunkel die Sattel abgenommen. An einer Seite der Hohle hatte er einen glatten Stein entdeckt. Fidelmahorte, wie er sich dort zu schaffen machte.

»Ich habe hier die Satteldecken ausgebreitet. Die sind zwar feucht, aber besser als der blanke Fels. Wir sollten uns aneinander warmen. Vielleicht werden wenigstens unsere Unterkleider von allein trocknen.«

Fidelma und Eadulf hockten sich Seite an Seite gegen die Felswand. Ihre Umarmung entsprang der Notwendigkeit zu uberleben, jeder brauchte die Warme des anderen. Vor der Hohle verzog sich das Gewitter langsam. Doch die dunklen Wolken fegten immer noch uber den Wald und schickten prasselnden Regen auf die Erde nieder.

»Bis zum Morgen wird der Himmel klar sein«, murmelte Fidelma, wahrend sie sich in Eadulfs Arm schmiegte.

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