sie zittern.

»Haben wir verschlafen?« fragte sie und rieb sich die Augen.

»Nein«, beruhigte Eadulf sie. »Doch bald bricht der Tag an.«

Fidelma schaute zum Hohlenausgang und sah den Himmel. »Und wir sollten losreiten«, meinte sie, erhob sich und streckte sich. Sie frostelte, die feuchten Kleider waren ihr unangenehm. Die Pferde standen geduldig wartend da, sie bliesen und schnaubten in die kalte Luft hinein, ihr Atem entwich in kleinen Dampfwolken.

»Zumindest scheint der Regen aufgehort zu haben«, meinte Eadulf, der sich zum Ausgang begeben hatte und hinausblickte. »Die Kalte ist allerdings geblieben.«

Der Boden vor der Hohle war feucht, und am Himmel drohten immer noch viele dunkle Wolken. Eadulf murmelte etwas auf Sachsisch, das wie ein Fluch klang. Fidelma hob mi?billigend eine Augenbraue. Eadulf zuckte mit der Schulter und wies mit einem Kopfnicken auf die Erde.

»So wird man unsere Fahrte leicht entdecken konnen, falls Clydog immer noch nach uns sucht.«

Fidelma sattelte ihr Pferd. »Das stimmt«, bestatigte sie ihm. »Mit ein wenig Gluck finden wir vielleicht einen steinigen Pfad oder einen Flu?, dem wir folgen konnen.«

»Was wurde ich fur etwas zu essen und zu trinken geben!« seufzte Eadulf, schickte sich aber an, es ihr gleichzutun und die Satteldecke auf sein Pferd zu legen.

Auch Fidelma entsann sich nun, da? sie seit dem vergangenen Morgen nichts mehr zu sich genommen hatten. Sie wunschte, sie hatte gegessen, was man ihr gestern abend angeboten hatte. Eadulf erging es ahnlich, er hatte den Braten unberuhrt stehenlassen, um sich ins Freie zu retten.

»Wir konnen nur hoffen, da? wir unterwegs etwas finden - auf dem Ritt nach Llanferran«, sagte sie munter. »Denk dran, da? unsere Pferde genauso darben wie wir. Sie sind weder abgerieben worden, noch haben sie Wasser oder etwas zu fressen bekommen.«

Eadulf schritt voran, als sie die Hohle verlie?en und den kleinen, sich windenden schlammigen Pfad entlang auf den Hauptweg zuliefen, von dem sie am vergangenen Abend abgebogen waren. Es war ein kalter, steingrauer Morgen. Selbst der Vogelgesang machte ihn nicht heiterer.

Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten los. Doch auch wenn es schien, als fuhlten sie sich dabei wohl, hatte ein aufmerksamer Beobachter feststellen konnen, da? sie sich ab und an recht angespannt nach hinten umdrehten, als erwarteten sie ihre Verfolger.

Wann mochte Clydog das reiterlose Pferd eingeholt und bemerkt haben, da? man ihn reingelegt hatte? Wie lange war es wohl her, da? er ins Lager zuruckgekehrt war, wo er hatte feststellen mussen, da? sie nun auch verschwunden war?

Sie gelangten zu einer sumpfigen Lichtung, die von Stechpalmen und Steineichen eingegrenzt war. Seitlich standen ein paar wilde Birnbaume, im Herbst hatten sie sich hier den Bauch mit Birnen vollschlagen konnen.

Eadulf blickte sich suchend um, plotzlich stie? er einen leisen Pfiff aus und lenkte sein Pferd auf eine Baumgruppe zu. Er stieg ab und machte sich mit seinem Messer an einem der Stamme zu schaffen.

»Was ist das?« rief Fidelma.

»Hoffentlich unser Fruhstuck«, erwiderte er. »Mir sind diese alten Schwarzholunder hier aufgefallen, und ich hoffte, da? wir vielleicht Gluck haben.«

»Gluck?« fragte Fidelma verblufft. Sie kam naher und blickte auf das hinunter, was er da von der gefurchten graubraunen Borke abschnitt. »Uhhh!« stie? sie angewidert hervor. »Das sieht ja aus wie ein Ohr.«

Eadulf grinste zu ihr hinauf. »Es wird tatsachlich Judasohr genannt.«

Fidelma begriff, da? es sich um einen Pilz handelte; rotbraun, mit durchsichtigem, schwammigem Fleisch.

»Kann man den essen?« fragte sie unsicher.

»Er ist nicht gerade eine Delikatesse, aber ich kenne Leute, die ihn roh und gekocht verspeisen. Vielleicht qualt uns der Hunger dann nicht mehr ganz so.«

»Oder wir ubergeben uns«, erwiderte Fidelma sarkastisch und untersuchte voller Abscheu das Stuck Pilz, das er ihr reichte. »Warum nennt man dieses Zeug Judasohr?«

»Es hei?t, da? Judas Ischariot, der Jesus Christus fur drei?ig Silberlinge verraten hat, sich an einem ahnlichen Baum erhangt hat. Dieser Schwamm wachst nur an alten Holunderstammen.«

Fidelma kostete zaghaft davon. Er schmeckte nicht gerade unangenehm, und sie hatte Hunger. Kurze Zeit darauf stie?en sie auf eine kleine Quelle und stillten ihren Durst. Dort machten sie auch Rast und lie?en die Pferde eine Weile trinken und auf der feuchten Wiese grasen, die die Quelle umgab. Dann ritten sie weiter nach Westen, mit der aufsteigenden Sonne in ihrem Rucken.

Bald wurde der Wald lichter, bis sie sich in einem gewundenen Tal wiederfanden, durch das ein kleiner Bach rauschte. Auf Fidelmas Vorschlag hin liefen die Pferde durch das seichte Wasser, so hinterlie?en sie keine Spuren.

Nach einer Weile verloren sich die Baume und damit ihr Schutz, und vor ihnen breitete sich eine sumpfige Ebene aus. Sie horten das klagende Gekreisch der Mowen. Die Luft roch salzig.

»Das Meer kann nicht mehr weit sein«, bemerkte Eadulf unnotigerweise.

»Dann mussen wir uns nun nach Norden wenden«, erwiderte Fidelma. »Ich kann ein paar Gebaude erkennen ...«

»Vielleicht bekommen wir dort etwas Richtiges zu essen.«

Klaglich schaute Fidelma nun ihren Gefahrten an. »Ich gestehe, hatte ich die Wahl zwischen Hunger oder noch einmal Judasohr, ich wurde es vorziehen zu verhungern.«

Sie ritten zu einem felsigen, hoher gelegenen Gelande, das nach Westen hin abfiel. Nun erblickten sie eine breite Bucht mit einem Sandstrand, der etwas entfernt von grobem Kies abgelost wurde. Dahinter ergo? sich aus dem Landesinneren ein Flu? ins Meer. Um den Flu? zu umgehen, mu?ten sie ein Stuck zuruckreiten; zu einer Seite ragte eine Felswand auf, zur anderen erstreckte sich sumpfiges Marschland.

Es stellte sich heraus, da? die Gebaude, die sie gesehen hatten, zu einem Weiler gehorten, hinter dem sich ein kleiner Berg erhob. Fidelma bemerkte nicht weit entfernt mehrere alte Steine, die einen Steinkreis bildeten. Aus Hutten vor ihnen stieg Rauch auf, also waren dort Menschen.

Eadulf seufzte erleichtert. »Zivilisation und Nahrung.«

»Wir wollen erst einmal herausfinden, wo wir uberhaupt sind.«

Als sie sich der Ortschaft naherten, fiel Fidelma auf, da? sie nicht einmal gro? genug war, um Weiler genannt zu werden. Es gab nur eine Schmiede samt Ne-bengebauden und ein Haus, das wie jene Art Herberge aussah, wie man sie auch in ihrer Heimat fand. Gewohnlich kamen da die Leute zusammen, um zu trinken, zu essen oder auch zu ubernachten.

Sie entdeckten einen alten Mann mit einem gro?en Holzbundel auf dem Rucken.

Eadulf beschlo?, seine Sprachkenntnisse anzuwenden.

»Shw mae! Pa un yw’ rff ort i...?«

Der Alte starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Angelsachse?«

»Ja, ich bin ein Angelsachse«, gab Eadulf zu.

Zu ihrer Uberraschung lie? der Alte sein Bundel fallen und rannte, mit hoher Stimme laut rufend, auf die Hutten zu.

»Wie es aussieht, mogen sie in diesem Teil der Welt keine Angelsachsen«, stellte Fidelma fest.

Ehe Eadulf etwas darauf entgegnen konnte, hatte sich Fidelma schon entschlossen an die Fersen des Alten geheftet. Dieser war inzwischen stehengeblieben und winkte, immer noch laut rufend, alle anderen Bewohner des Weilers herbei. Ein Mann mit breiten Schultern, wahrscheinlich der Schmied, und ein paar andere Manner hatten nach verschiedenen Geratschaften gegriffen, die ihnen offenbar als Waffen dienen sollten, und beobachteten mit wachsamen Augen, wie sich die Fremden naherten.

»Was wollt ihr hier?« rief der breitschultrige Mann ihnen zu.

Fidelma blieb stehen, Eadulf hatte sie inzwischen eingeholt. »Pax vobiscum, meine Bruder. Ich bin Schwester Fidelma von Cashel.«

»Eine Gwyddel?« Der Schmied zog die Augenbrauen hoch. »Der Alte meinte, ihr seid Angelsachsen, die uns ausrauben und umbringen wollen.«

Fidelma lachelte beruhigend und lie? sich von ihrem Pferd hinabgleiten. Sie gab Eadulf ein Zeichen, es ihr gleichzutun. »Mein Begleiter ist ein Angelsachse. Bruder Eadulf. Wir sind weder hier, um euch auszurauben, noch um euch zu toten. Wir sind Christen.«

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