Die Landschaft, durch die sie nun ritten, fiel zu ihrer Linken in schauerliche Klippen und tief eingeschnittene Felsbuchten ab. Ab und zu konnten sie sehen, wie Seehundjunge im Wasser herumpaddelten. Sie entdeckten ein paar Bussarde, die nach kleinen Saugetieren Ausschau hielten.

Bussarde zogen solche offenen Hugellandschaften vor, durch die sie gerade ritten, denn hier konnten die Greifvogel ohne gro?e Muhe Kaninchen erbeuten. Der Weg fuhrte nun weiter landeinwarts. Auf einem der Hugel konnten sie die Mauerreste einer alten Burg erkennen. Sie umritten den Hugel nach Osten, wo sich hinter dem hohen Berg Pen Caer der Ort Llanwnda verbarg. Eadulf wu?te, da? pen soviel wie Kopf bedeutete und caer Festung hie?.

»Ich freue mich schon auf ein Bad und frische trok-kene Kleider«, meinte Eadulf frohlich, als ihm klar wurde, da? sie nicht weit von Llanwnda entfernt waren.

Noch ehe sie heute morgen Llanferran und die Schmiede erreicht hatten, waren ihre Kleider trocken gewesen. Doch Leinen und Wolle waren rauh geworden von der Nasse und kratzten nun. Eadulf hatte sich in den Jahren, die er in den funf Konigreichen von Eireann lebte, an die irischen Brauche gewohnt. Dort nahmen die Menschen taglich ein Bad, meist am Abend, und morgens wuschen sie sich nur Gesicht und Hande. Eadulf hatte soviel Hygiene immer fur ubertrieben gehalten. In seiner Heimat beschrankte sich das Waschen haufig nur auf ein Abtauchen in einem nahe gelegenen Flu?, und das eher selten. Doch die Iren betrieben ihre Sauberkeit geradezu rituell. Sie verwendeten dabei fettige Klumpen, die sie sleic nannten; sleic lie? Schaum entstehen und wusch den Schmutz fort.

Jetzt vermi?te Eadulf das erwarmte Badewasser, das Eintauchen in ein Becken, das man debach nannte und in dem su?lich duftende Krauter lagen. Auch das energische Abreiben mit einem Leinentuch vermi?te er. Nach seiner anfanglichen Scheu vor dem Baden fuhlte er sich inzwischen stets erfrischt und belebt nach einer solchen Prozedur.

Fidelma sehnte sich ebenfalls nach einem Bad und neuen Kleidern. Nach der vorigen Nacht kam sie sich besonders beschmutzt vor. Erst nach einer Reihe von Badern wurde sie sich wieder ganz sauber fuhlen. Doch da war noch eine andere Sache, wegen der sie gern nach Llanwnda zuruckkehrte. Die ganze Zeit hatte sie sich um Idwal Sorgen gemacht. Sie hatte nicht das Gefuhl abschutteln konnen, da? der Junge am Tod von Mair unschuldig war, auch wenn sie da mehr ihrem Instinkt folgte als der Logik. Wie weit war Bruder Meurig wohl mit dem Fall vorangekommen? Vielleicht konnte das, was sie uber Mairs Vater Iorwerth erfahren hatten, nutzlich sein.

Der Weg fuhrte sie durch ein dichtbewaldetes Tal, hinter dem sich die Siedlung Llanwnda befand. Fidelmawurde auf einmal bewu?t, da? dies wahrscheinlich der Wald war, in dem das Madchen erwurgt worden war. Sie hatte es gern ganz sicher gewu?t, hatte sich gern die Stelle angesehen, auch wenn ihr klar war, da? es dort keine Spuren mehr gab. Sie nahm die Orte eines Verbrechens immer in Augenschein, wenn sie es einrichten konnte. So konnte sie sich einen Tathergang besser vorstellen.

Sie teilte Eadulf ihre Gedanken mit, und sein Blick verdusterte sich.

»Ware es nicht besser, sich aus Bruder Meurigs Fall rauszuhalten?«

»Raushalten? Warum?« fragte Fidelma verargert. »Eadulf, du wei?t, ich als eine dalaigh kann nicht einfach so dabeistehen und ein Verbrechen mit ansehen.«

»Doch es ist nicht dein ...«

»Nicht mein Land? Du hast bei unseren vorigen Fallen auch nicht gesagt, da? du als Sachse dich nicht einmischen kannst! Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen, ganz gleich, wo es geschieht. Justitia omnibus -Gerechtigkeit fur alle.«

»Ich wollte nur sagen ...«, versuchte sich Eadulf zu verteidigen.

Mit einer Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen. »Ich wei? schon, was du sagen wolltest.«

Eine unbehagliche Pause folgte.

Plotzlich bedauerte es Fidelma, da? sie ihren Verdru? immer so rasch zeigte. Sie wu?te, da? ihr aufwallendes Gemut und ihr manchmal harter Ton tadelnswert waren. Da erinnerte sie sich an ihren Mentor, Brehon Morann, der oft gesagt hatte, ein Mensch ohne Fehler gleiche einem Toten. Dennoch sollte sie versuchen, ihre Stimmungen besser zu beherrschen.

»Es tut mir leid«, sagte sie plotzlich zu Eadulfs Uberraschung. »Seit wir in dieser Gegend sind, habe ich das eigenartige Gefuhl, da? hier viel Boses im Gange ist. Irgend etwas geht hier vor, wir bekommen aber immer nur einen Bruchteil davon mit. Ich denke, wir sollten Mairs Tod und das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern im Zusammenhang betrachten.«

Eine Weile erwiderte Eadulf nichts.

Fidelma sprach also weiter. »Ich wei?, da? du so bald wie moglich nach Canterbury weiterwillst, doch ich konnte keine Ruhe finden, wenn ich nicht dahinterkomme, was hier geschieht.«

Eadulf war nun gezwungen, etwas zu erwidern. »Nichts anderes hatte ich erwartet. Es ist nur, da? ich mir um deine Sicherheit Sorgen mache. Um unsere Sicherheit«, berichtigte er sich. »Ich habe mich schon vorher oft in Gefahr befunden, doch so bedroht habe ich mich noch nie gefuhlt. Wenn du oder ich Clydog wieder in die Hande fallen ...« Diesen Satz beendete er nicht, doch es war klar, was er sagen wollte.

»Dann mussen wir eben dafur sorgen, da? uns das nicht wieder passiert, mein Lieber«, erwiderte Fidelma munter und mit mehr Zuversicht, als sie selbst empfand.

Sie gelangten auf eine kleine Lichtung mitten im Wald, auf der eine Holzfallerhutte stand.

»Wir sollten vielleicht mal fragen, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg nach Llanwnda befinden«, meinte Eadulf.

Die Tur stand halb offen. Fidelma brachte ihr Pferd zum Stehen und rief nach ihren Bewohnern. Es kam keine Antwort.

Die Hutte war klein, davor lag ein Stapel Holz. Jemand hatte gerade Feuerholz gehackt, denn eine langstielige Axt steckte in einem der Kloben.

Eadulf deutete schweigend auf die Axt, von der Blut tropfte. Vielleicht hatte sich der Holzhacker verletzt?

»He da!« rief Fidelma erneut. »Ist da jemand? Konnen wir helfen?«

Kein Laut, keine Regung.

Eadulf schwang sich von seinem Pferd und ging zur Hutte. Er blickte ins Innere und schrie auf.

»Da liegt ein Mann, anscheinend bewu?tlos!« rief er und verschwand im Dunkel der Behausung. Fidelmawar gerade dabei, ebenfalls vom Pferd zu steigen.

»Was ist los?« fragte sie und lief auf die Hutte zu.

Eadulf war wieder herausgetreten. Er lehnte sich kreidebleich gegen den Turpfosten, starrte sie an und brachte zunachst kein Wort heraus. »Da drinnen ...«

Fidelma sah ihn erschrocken an. »Der Holzhakker?« fragte sie. Eadulf hatte schlie?lich in Tuam Bre-cain studiert, um Apotheker zu werden. Da sollte er doch an den Anblick von Blut gewohnt sein. »Ist er schwer verletzt? Komm schon, Eadulf, wir wollen dem armen Mann helfen. Du bist doch sonst nicht so empfindlich.«

»Es ist zu spat«, stie? Eadulf leise hervor.

Fidelma schob ihn beiseite und betrat die kleine Hutte. Das Licht von der Tur fiel auf die Gestalt am Boden. Sie beugte sich uber den hingestreckten Korper.

Sie sah folgendes: Das Genick des Mannes war durchtrennt worden. Es handelte sich nicht um einen Unfall. Jemand hatte den Mann mit der Axt ermordet und ihn tot oder sterbend liegengelassen.

Der Tote war kein Waldbewohner. Er trug das Gewand eines Monches.

Da erkannte sie schlie?lich das von Todesqualen verzerrte Gesicht: Es war Bruder Meurig.

Kapitel 12

Schweigend ritten sie in Llanwnda ein. Fidelma hatte seit ihrem Aufbruch von der Hutte im Wald nur wenig gesprochen. Als sie die Brucke uber den Flu? in die Ortschaft uberquerten, vernahmen sie aus der Schmiede den Klang des Schmiedehammers und das Achzen des Blasebalgs. Dann sahen sie Iorwerth bei der Arbeit. Er hatte kaum einen Blick fur die vorbeiziehenden Fremden. Auf dem Platz hinter der Brucke, wo vor zwei Tagen die aufgebrachte Menge versucht hatte, Idwal zu erhangen, lag immer noch der riesige Holzhaufen, aufgeschichtet fur ein Feuer. Hier und dort spielten Kinder. Leute standen herum und schwatzten miteinander, andere warfen

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