»Also gingen wir dorthin, ein Dutzend Manner aus dem Ort hier. Idwal war tatsachlich dort. Als er uns sah, versuchte er zu entkommen. Ich bin mir nicht sicher, wer es tat, doch er hing kurz darauf an der Eiche.« Der Schmied sah sie rechtfertigend an.
»Was hast du eben gesagt, Iorwerth?« fragte Eadulf uberrascht.
»Das ist ein bemerkenswerter Ausspruch. Du wei?t, was er bedeutet?«
»Das entlastet uns von jeder Schuld«, erwiderte der Schmied.
»Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes«, ubersetzte Fidelma versonnen. »Die Wunsche des Volkes stehen uber allem, oder? Das entbindet euch von eurer Schuld, Morder zu sein?«
Iorwerth schwieg.
»War Gwnda dabei, als ihr euch von eurer Wut habt treiben lassen?«
»Das solltest du ihn selbst fragen.«
»Ich vermute, er hat dir diesen lateinischen Ausspruch beigebracht, damit du ihn wie ein Zauberamulett zu deiner Verteidigung einsetzen kannst, oder?«
Iorwerth antwortete nichts darauf.
»War dir bekannt, da? deine Tochter keine Jungfrau mehr war?« Fidelma stellte diese Frage ganz unvorbereitet. »Du hast eine falsche Aussage gemacht, damit du noch Geld dafur bekommst, nicht wahr?«
Iorwerths Gesicht lief dunkelrot an. Er trat ein paar Schritte vor, doch Eadulf hatte sich schon schutzend vor Fidelma gestellt. Der Schmied hielt seine Riesenfauste geballt, als wolle er zuschlagen.
»Du wagst es, meiner Tochter ubel nachzureden?« stie? er schlie?lich aufgebracht hervor.
»Du behauptest also, da? du davon nichts wu?test? Und du hattest auch keine Ahnung, wer der altere Liebhaber war?«
Iorwerth starrte Fidelma zornentbrannt an, aber dann hatte er sich im Griff. »Hat dir das dieser Einfaltspinsel erzahlt? Hat Idwal diese Lugen verbreitet?« fauchte er sie an.
»Warum bist du dir so sicher, da? es Lugen sind?«
»Weil Idwal sich vor seinen Anklagern verteidigen wollte. Er hat dich zum Narren gehalten, Gwyddel. Er hat dich zum Narren gehalten!«
»Und wenn ein anderer Zeuge das gesagt hat und nicht Idwal? Was dann?«
Iorwerth schaute sie mi?trauisch an. »Welcher Zeuge? Das ist eine Luge. Meine Tochter hatte vor mir keine Geheimnisse.«
»Selbst unter normalen Umstanden wurde eine Tochter ihrem Vater nicht anvertrauen, wann und wie sie ihre Jungfraulichkeit verloren hat.«
Jetzt betrachtete ihn Fidelma genau. Ihr ging der Ausspruch
»Erzahle mir von Mair«, forderte ihn Fidelma auf. »Wie war sie als Tochter?«
Der kraftige Schmied setzte sich plotzlich hin und vergrub sein Gesicht in den Handen. Zu ihrer Uberraschung wurde seine gro?e Gestalt von einem Schluchzen geschuttelt.
»Sie war keine gute Tochter. Doch sie war alles, was mir von ihrer Mutter geblieben war, und sie war ihr Ebenbild. Die arme Esyllt. Ich habe ihr furchtbar Unrecht getan. Sie starb, als Mair noch klein war. Ich wollte es wiedergutmachen ... an Mair.«
»Ich verstehe.« Fidelmas Stimme klang nun mitfuhlender. »Du hast Esyllts Verlust wettgemacht, indem du Mair verwohnt hast. In welcher Beziehung war sie keine gute Tochter?«
»Sie war eigensinnig, so wie ich auf gewisse Weise. Sie tat, was sie wollte. Sie war . eine Personlichkeit mit einem starken Willen, wie ein Pferd, das man nicht bandigen kann. Sie wollte mir nicht gehorchen.«
»Also hatte sie dir nie im Leben gesagt, da? sie einen Liebhaber hatte.«
»Sie wu?te, wie wichtig es war fur . fur uns beide, da? sie die Ehe einging, die mit Madog, dem Goldschmied von Carn Slani, arrangiert worden war.«
»Eine Ehe nach Absprache?«
»Ja.«
»Hat Mair eingewilligt?«
»Sie wu?te, da? wir das Geld brauchen, das eine Verbindung mit Madog einbringen wurde.«
»Doch sie hatte sich vielleicht einen anderen Mann ausgesucht, wenn sie die Wahl gehabt hatte?«
»Sie war eigensinnig.«
»Gwnda hat uns gesagt, da? sie eine pflichtbewu?te Tochter war.«
Iorwerth machte eine verachtliche Geste. »Gwnda wei? auch nicht mehr, als andere ihm erzahlen.«
»Also kannte er Mairs Eigensinn nicht?«
»Die meisten Leute kannten ihren Eigensinn. Und Gwndas Tochter Elen war eng mit Mair befreundet, sie waren wie Schwestern. Da konnte er kaum ubersehen, da? Mair ihren eigenen Kopf hatte.«
»Man sagte uns, du hattest Mair und Idwal verboten, sich zu treffen. Also warst du dir wohl ziemlich sicher, da? Mair sich uber deine Anweisungen hinwegsetzen wurde?«
Iorwerth schnaubte gereizt. »Ja, vielleicht. Aber Idwal hatte Angst vor mir. Er war ziemlich schuchtern.«
»Wirklich?« fragte Fidelma uberrascht. »Schuchtern, doch du behauptest, er hat deine Tochter ermordet.«
»Er war schuchtern gegenuber Mannern. Ein Feigling entpuppt sich oft als ein mutiger Morder.«
»Erzahl mir, wie der Vormittag des Tages verlief, an dem Mair sterben mu?te - sagen wir von dem Zeitpunkt an, als du aufgestanden bist.«
Iorwerth wirkte verwirrt. »Ich verstehe nicht ...«
»Sei so gut«, bat ihn Fidelma.
»Nun, bei Morgengrauen stand ich auf und schurte das Feuer in der Schmiede. Kurz darauf kam Mair, um sich zu verabschieden.«
»Sich zu verabschieden?« fragte Eadulf.
»Sie wollte zu ihrer Cousine nach Cilau.«
»Cilau? Hat nicht Elen dort auch eine Cousine?«
Iorwerth nickte.
»Soviel ich wei? - ja. Ich glaube schon. Sie ging fort, und ich war mit meiner Arbeit beschaftigt, da sah ich, wie Idwal ziemlich au?er Atem angerannt kam. Das erschien mir merkwurdig. Ihn so rennen zu sehen, meine ich.«
»Du sagtest, er kam in den Ort?«
»Er rannte gerade uber die Brucke vor ...«
»Moment mal. Welchen Weg hatte Mair genommen?«
»Den uber die Brucke.«
»Also mu? Idwal ihr begegnet sein?«
»Ihr wi?t ja, der Weg fuhrt durch den Wald, in dem sie gefunden wurde, und zwar nach Westen und nach Suden.«
»Doch es war fruh am Morgen und nicht lange, nachdem sie sich von dir verabschiedet hatte?«
Iorwerth nickte.
»Und Idwal kam in den Ort gerannt?«
»Ich glaube, er lief direkt zu Gwnda.«
»Wei?t du, weshalb er zu Gwnda wollte?«
»Gwnda sagte spater, da? Idwal der erste war, der ihn uber das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern unterrichtet hat.«
»Was geschah dann?«
»Eine halbe Stunde spater sah ich, wie Idwal wieder uber die Brucke zuruckging und im Wald verschwand. Ich habe einfach weitergearbeitet.«
»Aus deiner Sicht war es also ein ganz gewohnlicher Vormittag, au?er da? Idwal auftauchte?«
»So ist es. Nach einer Stunde etwa erschien mein Freund Iestyn recht aufgeregt in der Schmiede. Er erzahlte mir, da? er Mair und Idwal im Wald gesehen hatte und da? sie sich heftig gestritten hatten. Er war zu mir