»Ich mu? zugeben, da? ich vollig durcheinander bin«, gestand Eadulf. »Jedesmal, wenn ich meine, da? die Dinge einen Sinn ergeben, werden sie undurchsichtiger.«
Fidelma klopfte ihrem Pferd nachdenklich den Hals. »Zum erstenmal sehe ich einen Lichtstreif am Horizont, Eadulf«, sagte sie zuversichtlich.
»Wie denn das?«
»Wir haben da zufallig etwas uber eine Verschworung erfahren, um Gwlyddien zu entmachten und das Konigreich von Dyfed zu erobern. Ich glaube, da? die Vorfalle in Llanpadern etwas mit diesem Plan zu tun haben.«
Eadulf dachte einen Augenblick nach. »Eine Verschworung im benachbarten Konigreich von Cere- digion?«
»Ceredigion spielt eine zentrale Rolle dabei.«
»Willst du etwa sagen, da? in dieser Sache die Hwicce mit Ceredigion unter einer Decke stecken? Das kann ich nicht glauben. Die Hwicce sind die letzten, die die ehrgeizigen Absichten eines Herrschers der
»Hangt das nicht davon ab, was man ihnen dafur bietet, Eadulf?«
»Du hattest recht, wenn du all die anderen angelsachsischen Konigreiche meinen wurdest. Doch die Hwicce wurden sich niemals in die Angelegenheiten eines
»Bist du da ganz sicher?«
»Ich wurde drauf wetten. Da wir nun von dieser Verschworung wissen«, fuhr Eadulf fort, »meinst du nicht, da? wir Gwndas Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen haben? Sollten wir nicht zur Abtei zuruckkehren und Gwlyddien mitteilen, da? sein Konigreich in Gefahr ist?«
»Ganz gewi? werden wir ihn warnen«, stimmte ihm Fidelma zu, »doch wir sollten jetzt nicht unsere Ermittlungen aufs Spiel setzen. Es bleiben zu viele Fragen offen, wenn wir uns einfach aus dem Staub machten und Gwlyddien allein herausfinden lie?en, wer hinter der Verschworung gegen ihn steckt.«
Eadulf stohnte leise auf. Tief im Inneren hatte er gewu?t, da? Fidelma so reagieren wurde. Doch zum erstenmal neigte er dazu, sich von seinen Befurchtungen leiten zu lassen: dem Wunsch, rasch von diesem Ort seiner Blutsfeinde zu verschwinden und zu seinen Landsleuten zuruckzukehren, nach Canterbury. Er hatte genug von all den Gefahren bei den
»Was willst du denn noch hier?« fragte er. »Wir wissen, da? Clydog und Corryn in die Verschworung verwickelt sind und da? Iestyn ihr Geheimnis kennt. Au?erdem ist uns bekannt, da? ein Schiff der Hwicce die Kuste umsegelt und deiner Meinung nach auch was damit zu tun hat.«
»All das hilft uns kaum weiter«, erklarte ihm Fidelmageduldig. »Zu wissen, wie all diese Dinge miteinander zusammenhangen, das ware nutzlich. Vielleicht auch die Losung der unzahligen Ratsel zu kennen, vor denen wir stehen. Hat Clydog Mair umgebracht? Falls es so war, warum mu?te Bruder Meurig sterben? Warum mu?te Idwal dran glauben? Wie ist Gwnda daran beteiligt? Warum zollt Iestyn Corryn solchen Respekt? Du hast gehort, wie er ihn angesprochen hat. Eine Frage ergibt die nachste.«
Eadulf streckte einen Arm vor, als wolle er der Flut ihrer Uberlegungen Einhalt gebieten. »Ich stimme zu, da? da sehr viel ist, was wir noch nicht verstehen. Warum schickt wohl Gwlyddien nicht einen seiner eigenen
»Weil wir, wie du dich erinnerst, seinen Auftrag angenommen haben.«
»Ich erinnere mich«, sagte Eadulf resigniert.
»Es ist mir zuwider, eine Aufgabe nicht zu Ende zu fuhren«, fugte Fidelma hinzu.
»Unter andern Umstanden wurde ich dem zustimmen«, murmelte Eadulf. »Doch ich kann nichts dagegen tun, da? ich mich in diesem Konigreich standig in Angst und Schrecken befinde.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen, Eadulf«, erklarte Fidelma duster. »Nie zuvor habe ich dich so nervos erlebt. Weder in Rom noch in meiner Heimat, nicht einmal, als du in Fearna dem Tod ins Gesicht sahst. Was verstort dich hier so?«
Eadulf sann nach. »Ich habe dir schon einmal erzahlt, da? zwischen meinem Volk und den Britanni-ern gro?e Feindschaft herrscht. Die
»Komm schon, Eadulf. Du bist ein Christ. Du bist niemandes Feind.«
»So einfach ist das nicht. Ein Feind kann eingebildet oder wirklich sein. Schon das Wort >Angelsachse< reicht hier aus, mir den Tod zu wunschen.«
»Ich glaube, du siehst da Gespenster. Vielleicht wurden dich die Leute nicht so hassen, wenn du sie nicht so furchten wurdest?«
Eadulf war klug genug, um zu bemerken, da? sie versuchte, seine Angste mit Vernunft zu zerstreuen, doch eine so tiefsitzende, von den Vorvatern uberkommene Furcht lie? sich nicht einfach wegwischen.
»Es gibt noch andere Dinge als meine Furcht und den Ha?, uber die wir uns Gedanken machen sollten«, sagte er eigensinnig. »Was hast du jetzt vor?«
In dem Dunkel sah er nicht, da? Fidelma ihn mitleidig anblickte. »Du hast recht. Wir verschwenden unsere Zeit; wir sollten zu Gwnda zuruckkehren. Im Moment hat es keinen Sinn, mit Iorwerth zu sprechen. Trotzdem mochte ich Gwnda mit dem konfrontieren, was Elen uns heute abend erzahlt hat. Und aus Iestyn mu? ich auch noch mehr herausbekommen.«
»Mu?ten wir Gwlyddien nicht sofort vor der Verschworung warnen?«
»Wenn wir Dewi wirklich trauen konnen, wird er oder eine andere Person aus der Abtei Dewi Sant morgen nachmittag hier sein. Wir konnen demjenigen dann eine Nachricht an den Konig mitgeben.«
Sie hatten die Ortschaft erreicht und ritten wieder an dem aufgeschichteten Holzstapel vorbei, der immer noch nicht angezundet war. Ganz oben bemerkten sie die Strohpuppe aus Iorwerths Schmiede. Fidelmahielt ihr Pferd an, sah hinauf und lachte dann zu Eadulfs Uberraschung leise.
»Was hat es damit auf sich?« wollte Eadulf wissen.
»Was bin ich nur toricht. Da hatte ich doch schon langst drauf kommen konnen.«
Eadulf wartete geduldig ab.
»Mir ist gerade klargeworden, was morgen fur ein Tag ist . Der Scheiterhaufen und die Strohpuppe.«
»Was fur ein Tag denn?« fragte Eadulf.
»Das Samhainfest.«
Eadulf runzelte die Stirn, als er den Namen des alten irischen Feiertags horte. »Du meinst den Vorabend von Allerheiligen?«
»Eben diese eine Nacht im Jahr, in der das Jenseits mit all seinen Geistern und Damonen sichtbar wird und die Seelen jener, denen wir in diesem Leben ein Leid zugefugt haben, zuruckkehren und Vergeltung fordern«, bestatigte Fidelma.
Kapitel 17
Als Eadulf am nachsten Morgen aufstand, war Fidelmaschon wach und angezogen. Sie sa? gerade am Tisch und a? frischgebackenes Brot mit Honig und trank su?en Met dazu. Als er eintrat, schaute sie auf und lachelte ihm entgegen.
»Hat sich Gwnda schon gemeldet?« fragte er, setzte sich zu ihr und nahm sich vom Brot.
Gestern abend hatten sie den Fursten von Pen Caer nicht zu Hause angetroffen. Buddog hatte ihnen gesagt, da? er bei Freunden zu Besuch sei. So hatten sie ein bescheidenes Abendessen zu sich genommen und waren gleich darauf zur Ruhe gegangen.
Wie aufs Stichwort ging die Tur auf, und Gwnda trat ein.
»Elen hat sich mit uns unterhalten«, waren Fidelmas erste Worte, nachdem sie sich begru?t hatten.
Gwnda setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Hat sie euch gesagt, da? ich ihr dazu geraten hatte?« fragte er.
»Sie meinte, du hattest nichts dagegen, wenn sie uns ihre Geschichte anvertrauen wurde.«
»Vielleicht hatte ich in bezug auf Idwal unrecht«, raumte Gwnda ein, doch klang keine Reue aus seiner Stimme. »Ich hatte das Gefuhl, da? es besser sei, wenn ihr auch ihre Sicht der Dinge kennt.«