»Du hattest vielleicht unrecht?« fragte Fidelma bissig. »Der Junge ist ermordet worden!«
»Als mir meine Tochter von ihrer Vermutung erzahlte, wurde mir plotzlich klar, da? es auch eine andere Erklarung fur Mairs Tod geben konnte.«
»Was bedeutet, da? Idwal unschuldig war«, betonte Eadulf.
»Es wurde bedeuten, da? man dem Jungen gro?es Unrecht angetan hat«, gab Gwnda zu. Er wirkte beinah heiter.
»Ein Unrecht, bei dem du sowohl eine aktive als auch eine passive Rolle gespielt hast«, stellte Eadulf voller Strenge fest.
»Falls ich ein Unrecht begangen habe, bin ich bereit, meine Schuld zu bu?en«, sagte Gwnda. »Doch die Hauptschuld tragt der aufruhrerische Mob.«
»Wollen wir doch einmal deinen Anteil naher untersuchen«, sagte Fidelma. »Du warst der erste, der am Tatort auftauchte, kurz nachdem Mair umgebracht worden war, und du hast Idwal dort erwischt. Weshalb warst du zu dieser Zeit im Wald?«
Gwnda dachte nach. »Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich war einfach nur reiten.«
»An jenem Vormittag waren offenbar eine Menge Leute im Wald. Mair und Idwal, Iestyn . Ja sogar Buddog.«
Gwndas Stimmung schlug plotzlich um, er wirkte angespannt und angstlich. »Durch den Wald fuhrt der Hauptweg nach Suden. Da kommen taglich viele Leute entlang.«
»Bevor sich deine Tochter dir anvertraute, hattest du keine Zweifel an Idwals Schuld. Doch nun ist es anders?«
Gwnda uberlegte einen Moment. »Meine Tochter hegt diese Zweifel. Ich bin nicht davon uberzeugt, da? sie recht hat.«
»Hast du Mair und Idwal rein zufallig zusammen entdeckt?« wollte Fidelma wissen.
»Ja. Ich sah, wie Idwal sich uber sie beugte. Das habe ich doch schon gesagt. Ich habe Bruder Meurig alles ausfuhrlich berichtet.«
»Bruder Meurig ist tot, du mu?t uns schon noch einmal erzahlen, was an diesem Morgen geschah.«
Gwnda zuckte gleichgultig mit den Schultern. »Ich kam dazu, als Idwal sich uber Mair beugte. Sie war tot. Kurz darauf horte ich laute Stimmen. Idwal richtete sich auf und wollte wegrennen, da habe ich ihn festgehalten. Dann tauchte Iorwerth mit ein paar Mannern aus dem Ort auf. Den Rest wi?t ihr.«
»Die ganze Zeit uber hast du behauptet, da? Idwal Mairs Morder ist. Sogar den Lynchmord an ihm hast du verteidigt und uns Ermittlungen in diesem Fall untersagt. Nun scheinst du es dir auf einmal anders uberlegt zu haben. Da frage ich mich naturlich, warum?«
»Ich bin der Furst von Pen Caer. Ich mu? mich euch gegenuber nicht verantworten«, erwiderte Gwnda. »Und uberhaupt, wenn das Leben meiner Tochter in Gefahr ist, bin ich bereit, einen Fehler zuzugeben. Habe ich nicht einen Richter angefordert, um Idwal nach Recht und Gesetz vor Gericht zu bringen?«
»Das hat nicht verhindern konnen, da? er nie einen ordentlichen Proze? bekam«, warf Eadulf trocken ein.
»Ob er nun Mair umgebracht hat oder nicht, ich bin nach wie vor fest davon uberzeugt, da? er Bruder Meurig erschlug, als er fliehen wollte. Deshalb ist er zu Recht gelyncht worden.«
»Warst du dabei, als man ihn aufhangte?« wollte Eadulf plotzlich wissen.
Gwnda schuttelte heftig den Kopf. »Ich bin erst spater dort eingetroffen. Als ich ankam, war er schon tot.«
»Als Furst von Pen Caer ist es deine Pflicht, dafur zu sorgen, da? Gerechtigkeit geubt wird. Doch offenbar sprichst du jene von Schuld frei, die ihn ermordet haben.«
»Ich verstehe, da? sie wutend waren auf den Jungen.«
»Doch jetzt sagst du, da? er vielleicht unschuldig ist?« unterstrich Fidelma noch einmal.
Gwnda schwieg.
»Gestern nachmittag warst du strikt dagegen, da? wir in diesem Fall weitere Nachforschungen anstellen, doch kurze Zeit spater hast du Elen darin bestarkt, sich uns anzuvertrauen.«
»Was ist daran merkwurdig? Meine Haltung hat sich nicht verandert. Ich finde immer noch, da? ihr euch nicht in diese Sache einzumischen habt. Ihr seid nur hier, um euch mit dem Ratsel von Llanpadern zu beschaftigen. Auch daran hat sich nichts geandert. Aber Elen wollte euch von Clydog erzahlen; ihr ging es um Konig Gwlyddien. Dagegen habe ich naturlich nichts. Ich hoffe, klargestellt zu haben, da? ich bereit bin, Elens Vermutungen zur Kenntnis zu nehmen, aber nach wie vor davon uberzeugt bin, da? Idwal Bruder Meurig erschlagen hat. Jetzt liegt es in Konig Gwlyddiens Hand, Clydog und seine Bande aufzuspuren und die Verschworung, von der Elen berichtete, aufzudecken.«
Es herrschte Stille. Fidelma seufzte. Ihr war klar, da? Gwnda nichts weiter preisgeben wurde. »Wir wissen es zu schatzen, da? du uns geholfen hast, Gwnda. Nur noch eins. Was haltst du von dem Treffen, da? Elen da im Wald beobachtet hat?«
Gwnda rieb sich nachdenklich den Nasenrucken. »Clydog ist ein beruchtigter Dieb. Er und seine Banditen machen den Wald von Ffynnon Druidion schon seit mehreren Monaten unsicher. Ich kann mir nicht vorstellen, welch eine Beziehung er zu einem Monch haben sollte, und ebenso nicht, was fur einen Plan sie da ausgeheckt haben konnten.«
»Uber Clydogs Herkunft wei? man offenbar nichts«, sagte Fidelma. »Wenn wir nur ein wenig daruber herausfinden konnten, ware es leichter, Licht in das Dunkel zu bringen. Was ist mit seinem Mitstreiter Corryn? Er scheint mit Clydog zusammen die Rauberbande anzufuhren, oder?«
»Von dem habe ich noch nie etwas gehort.«
Gwnda erhob sich und deutete damit an, da? die Unterhaltung fur ihn beendet sei. Er blickte zum Fenster hinaus. »Heute ist ein strahlender Tag. Seit letzter Nacht hat es nicht mehr geregnet. Ihr werdet muhelos zur Abtei Dewi Sant reiten konnen.«
Fidelma und Eadulf schauten sich vielsagend an. »Wieso nimmst du an, da? wir heute schon zur Abtei aufbrechen?« fragte Fidelma.
Gwndas Augen zogen sich gefahrlich zusammen, als er sich zu ihr umdrehte. »Ich hatte euch bereits angekundigt, da? ihr die letzte Nacht meine Gastfreundschaft genie?t. Euch halt hier nichts mehr.«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Fidelma, die sich ebenfalls erhob. »Vieles halt uns hier zuruck.«
Gwnda hatte Muhe, sich zu beherrschen. Er wollte gerade lospoltern, da sturzte ein junger Bursche herein und rief: »Ein Uberfall! Ein Uberfall! Sachsische Kriegsschiffe.«
»Was sagst du da?« stie? Gwnda hervor. »Sachsische Kriegsschiffe? Wo?«
»Kannst du uns genauere Angaben machen?« fragte Fidelma den Jungen barsch. »Wo sind diese Schiffe?«
Der Junge war so aufgeregt, da? er nicht sofort antworten konnte. Gwnda packte ihn am Arm. »Sprich schon, Bursche. Wo gehen die Angelsachsen an Land?«
»Mein Vater ist der Kuhhirte Taloc, mein Herr. Seine Tiere weiden auf den Wiesen bei Carregwasted, ein paar Meilen nordlich von hier. Du mu?t die Gegend kennen - die alte Landspitze, von der aus man auf die Bucht blickt.«
»Ja, ja. Ich kenne sie. Wie viele Schiffe sind es?« fragte Gwnda ungeduldig.
»Wir haben unsere Herde gehutet. Plotzlich kam meine kleine Schwester angerannt und rief, da? ein merkwurdiges Schiff in die Bucht gesegelt sei ...«
»Hei?t das, da? es sich nur um ein einzelnes Kriegsschiff handelt?« mischte sich Fidelma ein.
»Eins reicht schon«, schnitt ihr Gwnda rasch das Wort ab. »Weiter, Junge. Wie viele Krieger sind es? Wo befinden sie sich jetzt?«
Der Junge blickte verwirrt von einem zum anderen. »Wir gingen nachsehen. Mein Vater sagte, da? es ein sachsisches Schiff sei, weil er die Zeichen darauf erkannte. Aber irgendwie sei das Schiff eigenartig.«
»Waren die Zeichen eigenartig? Oder etwas anderes?« warf nun Eadulf ein.
»Die Zeichen tun jetzt nichts zur Sache. Was weiter?« drangte Gwnda den Jungen.
»Von dem Schiff machten ein paar kleine Boote los und ruderten an den felsigen Strand unter uns. Ungefahr zwanzig sachsische Krieger mit Streitaxten und rundem Schild kamen an der Landspitze ans Ufer .«
Gwnda stohnte laut auf. »Ich kenne die Stelle. Dort fuhrt ein bequemer Weg nach oben. Sie haben es auf uns abgesehen, und ich habe nur ein halbes Dutzend ausgebildeter Manner zur Verfugung. Uns bleibt nichts