anderes, als den Ort zu verlassen und uns in den Waldern zu verstecken.«
Fidelma beugte sich zu dem Jungen vor. »Hast du gesehen, ob sie Anstalten machten, landeinwarts zu ziehen?«
Der Bursche schuttelte den Kopf. »Mein Vater rief meiner Schwester und meiner Mutter zu, sie sollten alles Wertvolle zusammenraffen und im Wald Schutz suchen. Er selbst wollte die Herde an einen sicheren Ort treiben. Dann schickte er mich los, euch zu alarmieren.«
Gwnda stand hilflos da. »Wir haben nicht genugend Krieger, um Llanwnda zu verteidigen«, jammerte er. »Wir mussen unverzuglich von hier fort!«
»Ware es nicht besser, zuerst hinter die Absichten der Angreifer zu kommen, ehe du deine Untergebenen zu einer panischen Flucht veranla?t?« fragte Fidelma.
»Absichten?« Gwnda lachte bitter auf. »Es sind Angelsachsen! Was fur Absichten au?er rauben, plundern und brandschatzen sollten sie haben? Es sind Barbaren!«
Eadulf lief rot an. »Nicht alle meine Landsleute sind Barbaren!« rief er aufgebracht.
»Du willst mir damit wohl sagen, da? deine Landsleute hier auftauchen, um friedlich Handel mit uns zu treiben?«
Eadulf trat einen Schritt vor, er rang nach Fassung. »Wir wissen nicht, warum sie hier sind. Wir werden es auch nie erfahren, wenn wir fortlaufen oder sie angreifen.«
»Haben wir nicht aus dem Uberfall auf Llanpadern gelernt? Oder tust du diese Sache als harmlos ab? Ich nehme an, du meinst, ich sollte zur Landspitze gehen und hoflich fragen, was sie wollen?«
»Jedenfalls ware das besser als das, was du vorschlagst«, erwiderte Eadulf, ohne nachgedacht zu haben.
»Aber keineswegs kluger«, sagte Fidelma, stand auf und legte Eadulf besanftigend eine Hand auf den Arm.
»Wenn sich niemand unter den Einwohnern von Llanwnda findet, der zu diesen Angelsachsen geht und mit ihnen spricht, werde ich es selbst tun. Ich werde herausfinden, was sie wollen«, sagte Eadulf bestimmt.
Gwnda starrte ihn einen Augenblick uberrascht an, dann lachte er leise vor sich hin. »Naturlich, denn du bist ja einer von ihnen. Du wirst hingehen, damit sie dich verschonen.«
Fidelma zischte wutend und baute sich vor Eadulf auf, mehr um Gwnda vor einem Ausfall ihres Gefahrten zu schutzen, als Eadulf vor ihm.
»Das ist deiner nicht wurdig, Gwnda. Bruder Eadulf ist ein Mann, dem ich jederzeit mein Leben anvertrauen wurde und auch das Leben aller Menschen, die hier wohnen.« Sie zogerte und sagte dann, an Eadulf gewandt: »Die Idee, mit ihnen zu sprechen, ist gut, ganz gleich, wer sie sind. Zumindest mu?ten wir uns ihnen so nahern, da? wir ihre Absichten ergrunden konnen.«
Eadulf war immer noch beleidigt. »Ich habe dieses Angebot nicht aus Eigennutz gemacht«, brummte er. »Doch ich werde gehen.«
Eadulf schuttelte entschlossen den Kopf. »Ich mache mich allein auf den Weg. Gwnda hat in gewissem Sinne recht. Einem Landsmann werden sie kaum etwas tun, falls sie wirklich auf Beutezug sind.«
»Vielleicht«, gab Fidelma unwillig zu. »Doch ich begleite dich so weit, wie es moglich ist, und ...«
»Die Zeit rennt uns davon«, unterbrach Gwnda sie. »Ich werde den Befehl ausgeben, da? die Bewohner sich in Sicherheit bringen sollen. Ich kann nicht warten, bis ihr herausfindet, was diese Barbaren vorhaben.«
»Du mu?t tun, was du fur richtig haltst, Gwnda.« Fidelma wandte sich an den Jungen. »Zeig uns die Richtung, wo das Schiff angelegt hat.«
Der Junge deutete nach Norden. »Haltet euch nur auf dem Weg nach Norden, bis ihr ans Meer gelangt. Es sind nur ein bis zwei Meilen von hier. Ihr werdet die Bucht nicht verfehlen.«
Fidelma und Eadulf gingen zum Stall hinuber und sattelten ihre Pferde. Als sie Llanwnda verlie?en, hatte Gwnda schon die Alarmglocke Sturm lauten lassen. Im ganzen Ort herrschte ein aufgeregtes Durcheinander, die Leute rannten hin und her, suchten nach ihren Kindern und rafften ihre Habe zusammen. Fidelma rief Eadulf zu: »Sobald wir die Angelsachsen sehen, lasse ich mich zuruckfallen und du reitest allein weiter. Doch im Namen aller, die dir etwas bedeuten, Eadulf, pa? bitte auf dich auf.«
Eadulf lachelte ihr kurz zu. »Ich habe nicht die Absicht, mein Leben wegzuwerfen, nur um diesem Kretin Gwnda etwas zu beweisen.«
»Falls du auf diese Sachsen sto?t, mu?t du unbedingt herausbekommen, ob sie von dem gleichen Schiff stammen, das gesichtet wurde, als man die Klosterbruder von Llanpadern spater am Strand fand. Und auch, was sie von diesem Uberfall wissen.«
Dann ritten sie schweigend den Weg nach Norden entlang. Hinter einem Dickicht lag endlich das Meer vor ihnen. Aber es war nicht dieser Anblick, der sie die Pferde zugeln lie?, sondern eine Art Gesang mit eigenartigem Rhythmus. Eadulf machte Fidelma das Zeichen, anzuhalten, und zeigte auf den Waldrand.
»Sie kommen«, verkundete er leise. »Das ist ein sachsisches Kriegslied. Versteck dich. Falls etwas passiert . Nun, dann reite wie der Teufel .«
Fidelma signalisierte mit der Hand ihr Einverstandnis, wandte ihr Pferd um und suchte Schutz unter den Baumen.
Eadulf wartete, bis sie verschwunden war, dann ritt er auf das merkwurdige trommelartige Gerausch zu. Als er um eine kleine Anhohe bog, sah er unter sich, was einem ungeubten Auge wie eine fremdartige, sich langsam den Weg entlangziehende Schlange vorgekommen ware, an deren Seite merkwurdige Schuppen in der Sonne glanzten. Das Auge jedoch, das so einen Anblick gewohnt war, sah eine Zweierreihe von Kriegern mit riesigen runden Schilden zu beiden Seiten, hinter denen man die Manner kaum ausmachen konnte. Lediglich ihre behornten Metallhelme und ihre kampfbereiten zweischneidigen Streitaxte waren zu erkennen.
Der Trupp marschierte im Gleichschritt, die Lederstiefel stampften auf den Boden. Mit einer gleichformigen monotonen Bewegung fuhren die Arme mit den Axten zum Himmel empor, dann wieder abwarts, wobei sie auf die Metallrander der Schilde schlugen und so einen hypnotisierenden, unerbittlichen Trommelrhythmus erzeugten. In der Pause vor dem nachsten Schlag erscholl der Ruf: »Fur den Grafen! Fur Eanfrith!« Dann folgte wieder der unbarmherzige Axtschlag auf den Schild. Eadulf war der Anblick angelsachsischer Krieger in Schlachtordnung und mit einem Schlachtruf auf den Lippen, der ihre Feinde ver-storen sollte, nicht fremd.
Auf einmal hielt der Trupp an und verstummte.
Jemand mu?te Eadulf auf seinem Pferd entdeckt und Befehl zum Halten gegeben haben. Er hoffte, da? niemand von den Kriegern beschlo?, mit Pfeil und Bogen auf ihn zu zielen, ehe er in Horweite sein wurde. Langsam bugsierte er sein Pferd hinunter zu den wartenden Kriegern.
»Willkommen, Bruder!« rief er in seiner Sprache und hielt funf Meter vor ihnen an. »Was fuhrt euch in dieses Land?«
Der Trupp stand schweigend da. Dann antwortete ihm eine angelsachsische Stimme.
»Wer bist du, da? du unsere Sprache sprichst?«
»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham aus dem Land des Sudvolkes.«
»Ein Christ?«
»Ja, so ist es.«
»Wir sind Hwicce!« wurde ihm kuhl geantwortet.
Eadulf spurte, wie ihn ein kalter Schauer durchfuhr. Da standen nun genau jene Leute, von denen er Fidelmaberichtet hatte. Sachsen, deren Heldentaten so legendar waren und die immer noch den alten Glauben verfochten, Wotan, den Allvater, den Herrn der Welt, anbeteten, das Oberhaupt der Rabensippe.
»Ich habe schon von den Hwicce gehort.« Eadulf brachte ein Lacheln zustande. »Die Hwicce sind in allen Konigreichen der Sachsen, Angeln und Juten bekannt. Doch die Hwicce, von denen ich gehort habe, sind ein mutiges und hochherziges Kriegsvolk, das Fremden gegenuber hoflich ist - sogar christlichen Brudern in fremden Landern gegenuber.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Jemand murmelte etwas einem anderen zu, dann lachte einer laut los. Eadulf versuchte, sein Unbehagen daruber zu uberspielen.
»Du bist recht geschickt mit deinen Worten, Eadulf, der Christ«, sagte jemand. »Sag uns, was du hier tust.«
Eadulf beschlo?, sparsam mit der Wahrheit umzugehen. »Ich reise in Begleitung zum Konigreich von Kent, nach Canterbury. Vor ein paar Tagen hat ein Unwetter mein Schiff an Land gezwungen.«