Man hatte ihn offenbar wiedererkannt, denn Osric und zwei seiner Krieger kletterten in ein Boot und ruderten auf die Kuste zu.

Eadulf ging zur nachstliegenden Leiche.

Es handelte sich um einen jungen Mann in wollener brauner Monchskutte. Er trug die Tonsur des heiligen Johannes; dieser Haarschnitt wurde von den Monchen der Britannier als auch von denen der funf Konigreiche von Eireann bevorzugt. Der Mann war offensichtlich noch nicht lange tot. Vielleicht hatte man ihn erst umgebracht, kurz bevor man ihn uber Bord warf. Die Wunde - man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten -blutete noch.

Eadulf packte die Leiche an den Schultern und zog sie aus dem seichten Wasser auf die Kieselsteine am Ufer. Vom linken Arm des Mannes hing etwas herab, ein Stuck Stoff, auf das eines der Symbole eingestickt war, welches von heidnischen Angelsachsen immer noch verehrt wurde. Eadulf erkannte es auf der Stelle als ein Symbol der Hwicce.

Nun horte er knirschende Schritte auf dem Kieselstrand und blickte hoch. Osric eilte auf ihn zu. Seine beiden Krieger bewachten das kleine Boot, jeden Moment bereit, es bei Gefahr sofort ins Wasser zu schieben und zu ihrem Schiff zu rudern.

»Hast du irgend etwas damit zu tun?« fragte Osric Eadulf wutend und deutete auf die Landspitze, hinter der das feindliche Schiff verschwunden war. Er hatte das Schwert gezogen. »Du hast behauptet, da? sich keine Krieger der Welisc in der Nahe aufhalten.«

»So ist es«, sagte Eadulf. »Mich hat das Auftauchen dieses Schiffes ebenso uberrascht wie dich.« Er zeigte auf den Toten. »Hast du irgend etwas damit zu tun?«

»Du hast doch auch gesehen, wie die Welisc die Leichen von Bord geworfen haben, oder? Warum sollte ich etwas damit zu schaffen haben?« erwiderte Osric.

»Schau dir mal den Fetzen an, der um den Arm des Mannes gewickelt ist.«

Osric beugte sich vor. »Beim Blute Wotans!« fluchte er. Dann schaute er Eadulf an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Das bedeutet«, antwortete Eadulf ruhig, »da? jeder, der sich die Leichen genauer ansieht, vermuten wird, da? sie von der Hand der Hwicce starben.«

Osric schwieg. Eadulf ging zu dem anderen Toten, der im flachen Wasser trieb, und zog ihn ebenfalls an Land. Auch er war ein Monch, nicht so jung wie der erste. Tief in seinem Rucken steckte ein Dolch der Hwicce. Er lie? ein Stohnen horen.

»Deus miseretur!« rief Eadulf und neigte sich zu ihm herunter. »Der ist noch am Leben.«

Osric trat heran und hockte sich neben Eadulf. »Nicht mehr lange, mein Freund«, murmelte er. »Ich habe solche Verletzungen schon des ofteren gesehen, die uberlebt keiner. Halt!« Eadulf wollte gerade den Dolch aus dem Rucken des Monchs ziehen. »Wenn du ihn herausziehst, stirbt er gleich. Drehe den armen Kerl ein wenig, vielleicht sagt er noch etwas.«

Eadulf lagerte den Mann vorsichtig auf die Seite.

»Kannst du mich verstehen, Bruder?« fragte er auf Kymrisch.

Die Augenlider des Mannes zuckten, und er stohnte leise.

»Kannst du sprechen?« fragte Eadulf. »Wer hat dir das angetan?«

Der Sterbende schien etwas sagen zu wollen. Eadulf hielt das Ohr dicht an seinen Mund.

»Brich ... brich die Bronze auf ... die Bronzeschlange, die Moses schuf«, flusterte er gequalt.

Eadulf verstand nicht. »Wer hat dir das angetan?« flusterte er noch einmal.

»Das Bose unter uns . Die Kreatur der Verdammten, die bose Spinne . wirft ihr Netz . Hat uns alle eingewickelt . Er war einer . von uns!« Dann quoll Blut aus dem Mund des Monchs, und er verstummte.

»Er ist tot, mein Freund. Hast du etwas von ihm erfahren konnen?« fragte er.

Eadulf schuttelte den Kopf. »Ich glaube, er hat nur phantasiert. Vielleicht hatte er Fieber.« Er richtete sich auf. »Osric, kennst du das Schiff, das euch angegriffen hat?«

»Aber ja«, erwiderte der junge Graf, »es war das Schiff von Morgan, eben jenes, da? wir von der Mundung des Flusses Saeferne die ganze Kuste dieser Konigreiche entlang verfolgt haben.«

»Sie hatten euch vernichten konnen.«

»Stimmt, das hatten sie tun konnen. Das konnten sie immer noch tun, wenn sie den Mut hatten, sich mit uns zu messen.«

Eadulf rieb sich nachdenklich die Wange. »Ich glaube nicht, da? es ihnen an Tapferkeit mangelt. Doch ich verstehe nicht, warum sie euch verschont haben. Und warum haben sie nur die Leichen uber Bord geworfen?«

»Was sind das fur Leute?«

»Monche. Ich habe den Verdacht, da? sie der vermi?ten Klostergemeinschaft von Llanpadern angehoren. Doch ich begreife den Sinn des Ganzen nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Ich nehme jedoch an, da?, wer immer dieses rote Drachenschiff befehligt - du sagst, Morgan hei?t er? -, da? derjenige versucht, dir die Schuld am Tod all der Monche zuzuschieben. Neben den Leichen, die man an der Kuste fand, vor der ihr neulich geankert habt, lagen Waffen der Hwicce. Warum macht sich jemand die Muhe, solche falschen Fahrten zu legen?«

Osric lachte grimmig. »Es ist nicht das erstemal, da? die Hwicce von den Welisc angegriffen wurden, und es ist nicht das erstemal, da? wir Christen der Welisc ermordet haben. Also kann es uns gleich sein, wem man die Schuld am Tod dieser Monche anlastet.«

»Warum sollte man die Schuld den Angelsachsen anlasten?« fragte Eadulf nachdenklich. »Um Feindseligkeit zu schuren? Allein das Wort >Angelsachse< reicht doch hier schon aus, um Ha? zu erwecken, ob bei Christen oder Heiden. Steckt vielleicht noch etwas anderes dahinter?«

»Was geht mich das an, Eadulf, der Christ. Ich be-daure nur, da? mein Schiff nicht klar war, sonst hatte ich das Drachenschiff aus Gwent vernichtet. Jetzt hat es sich wahrscheinlich irgendwo an der Kuste aufwarts ein Versteck gesucht.«

Eadulf blickte zu Osrics Schiff hinuber. »Wie lange dauert es, dein Schiff wieder seetauglich zu machen?«

»Das haben wir in einer Stunde geschafft. Sobald der Mast richtig steht, werde ich die Ruder ausfahren lassen und die Kuste entlang weitersegeln, falls die feindlichen Krieger wieder auftauchen und uns angreifen wollen. Die Takelage reparieren wir auf See.« Er zogerte. »Aber was ist mit dir? Du bist doch von nun an nicht mehr sicher in diesem Konigreich.«

Innerlich stimmte Eadulf ihm zu, laut sagte er jedoch: »Ich mu? nach Llanwnda zuruck. Ehe ich in meine Heimat zuruckkehren kann, habe ich hier noch ein paar Dinge zu erledigen.« Wahrend er sprach, hatte er mit den Augen den Strand und die Klippen da-hinter abgesucht. Dabei hatte er mehrere dunkle Offnungen entdeckt. »Diese Hohlen konnten sich als sehr nutzlich erweisen«, sagte er auf einmal.

»Nutzlich wofur?«

»Die Leichen der Monche wurden offenbar nur zu einem Zweck uber Bord geworfen: Jene, die die Toten finden, sollen glauben, deine Leute hatten sie umgebracht. Es konnte sein, da? die Welisc nun an der ganzen Kuste entlang Alarm schlagen. Und dann kommen sie vielleicht zuruck, um euch zu vernichten.«

»Dafur brauchten sie keine Rechtfertigung«, ent-gegnete Osric.

»Das wei? ich auch«, erwiderte Eadulf, »aber Tatsache ist, da? das alles ziemlich geplant aussieht. Wem es jedoch als Rechtfertigung gelten soll, das ist es, was wir nicht wissen.«

»Was willst du damit sagen, gerefa?«

»Bis ich herausgefunden habe, was dahintersteckt, wurde ich noch etwas Zunder ins Feuer werfen.«

»Wie willst du das anstellen?« fragte Osric.

»Vielleicht konnte ich mir zwei deiner Leute nehmen, um die Leichen, die noch im Wasser treiben, an Land zu bringen. Sie konnten mir auch dabei helfen, die Toten in einer dieser Hohlen zu verstecken. So entdeckt man sie nicht gleich, und das konnte den Plan der Welisc zunichte machen, was immer sie vorhaben.«

Osric grinste und schlug sich auf die Schenkel. »Du sprichst wie ein Mann der Tat und wie ein wahrer gerefa, Eadulf, der Christ. Ich habe stets angenommen, alle Leute des neuen Glaubens

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