Eadulf versuchte, sich so genau wie moglich an den Wortlaut ihres Gesprachs zu erinnern. Von Zeit zu Zeit nickte Fidelma, hin und wieder fragte sie nach. Als er fertig war, wirkte sie besorgt.
»All das gibt uns nur noch gro?ere Ratsel auf«, sagte sie schlie?lich mit bedruckter Stimme.
Eadulf lachelte ein wenig bekummert. »Die Fidelma, die ich einst kannte, hatte gesagt:
Fidelmas grungraue Augen leuchteten kurz wutend auf. »Richtig, der hat Erfolg, der beharrlich bleibt, Eadulf«, erwiderte sie. »Ich habe gar nicht gewu?t, da? du dich fur einen Verfechter der Beharrlichkeit haltst!«
Eadulf errotete auf ihre bissige Antwort hin. »Ich wollte nur ...«, fing er an, doch sie fiel ihm ins Wort.
»Du hast unserem Bild einen kleinen Mosaikstein hinzugefugt, doch wir wissen nicht, an welche Stelle er pa?t, wenn wir unserem sachsischen Freund uberhaupt trauen durfen. Wir haben also ein Kriegsschiff der Hwicce, das ein Schiff aus Gwent verfolgt. Es ankert nachts in einer kleinen Bucht. Einer von der Besatzung, zur Erkundung an Land, wird gefangengenommen. Das Schiff segelt weiter, gibt auf. Dann wird derjenige, der auf Erkundungsgang war, in einem Sarkophag in Llanpadern gefunden, die Brust durchbohrt. Bringt uns dieses Wissen einer Erklarung naher?«
Noch nie zuvor hatte Fidelma so niedergeschlagen gewirkt und ihre Stimme so hoffnungslos geklungen.
Eadulf wollte etwas sagen, das helfen konnte, doch ihm fiel nichts ein, und er schwieg. Er hatte Sorgen ganz anderer Art. Seit sie im Land von Dyfed herumreisten, hatten sie sich immer wieder gestritten, und er begriff den Grund nicht. Was war nur aus ihrer Beziehung geworden, seit sie das Ufer von Laigin verlassen hatten?
Er hatte Fidelma uberredet, ihn auf seiner Ruckreise nach Canterbury zu begleiten. War er blind gewesen? War sie gegen ihren Willen mitgekommen? Schlie?lich hatte sie ihn in Cashel allein gelassen, um zum Grab des heiligen Jakob zu pilgern. Und er hatte sich ohne sie nach Canterbury auf den Weg gemacht. Sie war nur zuruckgekehrt, um ihn vor der falschen Mordanklage zu retten. Er war ziemlich verwirrt. Da erklarte Fidelma: »Reiten wir nach Llanwnda zuruck und sagen wir Gwndas Leuten, da? die Gefahr vorbei ist.«
Er unterdruckte einen Seufzer, als sie auf ihr Pferd stieg. Sie erwartete, da? er es ihr gleichtun wurde. »Nein«, sagte er plotzlich. Sie blickte erstaunt zu ihm herunter.
»Nein«, wiederholte er, als er sich auf sein Pferd schwang. »Zuvor werde ich zur Landspitze reiten und prufen, ob sie den Mast aufgerichtet und mir die Wahrheit gesagt haben und wirklich nach Suden segeln.«
Sie starrte ihn eine Weile an, dann wendete sie, ohne etwas zu erwidern, ihr Pferd, um nach Llanwnda zu reiten.
Eadulf blickte ihr nach, bis sie zwischen den Baumen verschwunden war. Schlie?lich lenkte er sein Pferd auf den Pfad, den die sachsischen Krieger genommen hatten. Als er die Landspitze erreicht hatte, von der man die kleine Bucht uberblicken konnte, sah er unten auf dem Wasser das fremde Schiff. Der Hauptmast fehlte wirklich, und die Manner waren angestrengt dabei, die Taue und die Takelage vorzubereiten, damit der neue Mast aufgestellt werden konnte.
Osric und seine Krieger ruderten gerade mit dem neuen Mast auf das Schiff zu. Eadulf bewunderte die Leichtigkeit, mit der sie ihre Boote auf das lange, flache Kriegsschiff zusteuerten. Um das zu konnen, mu? man sein Leben auf dem Meer zubringen, dachte er. Er selbst hielt sich fur einen Experten der Seefahrerei. Nicht da? er jemals ein Seemann gewesen ware, doch inzwischen war er viel auf dem Meer gereist. Viermal hatte er das gro?e Meer zwischen Britannien und dem Land Eireann uberquert; viermal war er auf seinen Pilgerfahrten nach Rom uber die Meere gesegelt. Und er hatte die turbulenten Gewasser entlang der ostlichen Kuste von Britannien kennengelernt, um im Jahre 664 zum gro?en Konzil von Whitby zu gelangen.
Eadulf mochte das Meer, und doch hatte er jedesmal auch Furcht davor. War Furcht das richtige Wort? Nein, er hatte Respekt vor dem Meer. Es war grausam und kannte keine Gnade. Doch was waren die Menschen ohne das Meer? Es war wie eine gro?e Stra?e, die die Volker miteinander verband. Ohne das Meer waren sie voneinander isoliert. Doch das Meer war auch tuckisch und hinterhaltig, es wartete ab, lag auf der Lauer wie ein Morder in einer dunklen Nacht, um in einem unerwarteten Augenblick zuzuschlagen.
Seufzend verscheuchte Eadulf seine Gedanken. Er sa? ab, band sein Pferd fest, setzte sich auf einen Fels, von dem er den Kriegern beim Klarmachen des Schiffs zusehen konnte. Die spate Herbstsonne schien lauwarm vom wolkenlosen Himmel herab. Zum erstenmal seit vielen Tagen hatte Eadulf das Gefuhl, da? er sich entspannen und uber seine Sorgen nachdenken konnte.
Fidelma.
Warum kamen sie so schlecht miteinander aus in den letzten Tagen? Was hatte ihn einst ein Weiser des Sudvolks gelehrt? Niemand kann einen anderen verstehen, wenn er sich nicht selbst treu bleibt und den freien Willen des anderen respektiert. Nun, er hatte einst geglaubt, da? er Fidelma verstand. Doch jetzt mu?te er zugeben, da? es leichter war, sieben Sprachen zu beherrschen, als diese Frau zu verstehen.
Er horte in der Ferne jemanden rufen, schreckte aus seinen Gedanken auf und schaute in die Bucht hinunter, dann blickte er zur nordlichen Landzunge. Er sah ein zweites Schiff, das mit vollen Segeln in die Bucht einfuhr. Es war ein schneidiges Kriegsschiff, und auf den straffen Segeln prangte ein riesiger roter Drache.
Kapitel 18
Eadulf sprang auf.
Die Rufe kamen von den Sachsen; sie hatten das sich nahernde Schiff entdeckt. Die Absichten des anderen Schiffes waren unverkennbar. Nicht zu ubersehen war auch, da? es sich um ein Schiff der
Eadulf beobachtete fassungslos das Schiff der
Eadulf bemerkte, da? er seine Hande vor Verzweiflung zu Fausten geballt hatte, und das so fest, da? sich die Fingernagel in das Fleisch seiner Handflachen gruben. Osrics Manner hatten die Schilde und Waffen ergriffen und waren auf eine Seite ihres Schiffes geeilt, um in einem aussichtslosen Versuch zu verhindern, da? die Feinde das Schiff enterten. Und dann geschah das Eigenartige.
Als nur noch wenige Meter zwischen dem hohen Bug des feindlichen Schiffes und der Langsseite des sachsischen lagen, drehte das rote Drachenschiff ab, machte, immer noch in voller Fahrt, eine vollstandige Kehrtwendung und entfernte sich rasch von den Hwicce. Wieder vernahm Eadulf laute Rufe, dann sah er, wie von den Britanniern ein paar Brandfackeln auf das Deck der Sachsen geworfen wurden, wo an mehreren Stellen Flammen aufloderten, die aber sofort von Osrics Leuten geloscht wurden.
Eadulf verstand nun gar nichts mehr. Er hatte erwartet, da? ein Pfeilhagel aus den Bogen niederprasseln wurde, die die Britannier so gern verwendeten, oder da? sie, bewaffnet mit Schwertern und Schilden, das Schiff entern wurden. Doch die
Eadulf wartete eine ganze Weile, denn er meinte, das Schiff wurde sich noch einmal zeigen. Als das nicht der Fall war, beschlo? er, hinunter an den Strand zu laufen.
Die Sachsen waren wieder bei der Arbeit und richteten gerade den neuen Mast auf. Er horte Rufe von Wachposten und sah jemanden in seine Richtung weisen, als er den Strand erreichte. Zwei angeschwemmte Leichen lagen im seichten Wasser, mit dem Gesicht nach unten. Sie bewegten sich sanft mit den Wellen hin und her.