davon aus, da? diese rachsuchtigen Seelen keine Moglichkeit haben, in dieser Nacht zuruckzukehren und an uns Vergeltung zu uben!«
Fidelma machte sich nicht die Muhe, darauf zu antworten. Sie argerte sich immer noch uber sich selbst, da? sie das Ganze nicht vorhergesehen hatte. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, da? Clydog sich so sicher fuhlen konnte, um in Llanwnda einzureiten und die Herrschaft an sich zu rei?en.
»Wann werden sie wohl unsere Flucht in den Wald bemerken?« stohnte Eadulf.
Fidelma war so unvermittelt stehengeblieben, da? Eadulf fast in sie hineingerannt ware.
»Was ist ...?« fing er an.
»Wasser, genau vor uns«, erwiderte sie. »Das mu? der Flu? sein, der an der Ortschaft vorbeiflie?t. Wir mussen eine Stelle finden, wo wir ihn durchqueren konnen.«
Kurz darauf standen sie vor dem dunkel dahinstromenden Wasser. Wo es Steine und Felsen im Flu?bett umspulte und Strudel bildete, zeigten sich in der Finsternis kleine wei?e Tupfer.
»Der Trampelpfad der Hirsche fuhrt genau dort hinunter«, machte Fidelma Eadulf klar. »An dieser Stelle ist der Flu? nur zwei, drei Meter breit. Ich glaube, ich kann erkennen, wie es auf der anderen Seite weitergeht. Das bedeutet, da? das Wild hier eine Furt benutzt, und wenn ein Hirsch das kann, dann konnen wir das allemal. Bist du bereit?«
»La? mich zuerst gehen, nur fur alle Falle«, sagte Eadulf.
Fidelma lie? ihn gewahren. Manchmal war sie so konzentriert auf eine Sache und achtete nicht darauf, da? sie Eadulfs mannlichen Stolz verletzte, wenn sie ihm nicht zugestand, in Dingen die Fuhrung zu ubernehmen, wo er es fur wichtig hielt.
Sie blieb stehen und wartete, wahrend er ins Flu?bett hinunterkletterte. Dann watete er durch das Wasser und schwankte, wenn sich dessen trugerische Kraft gegen ihn stemmte. Es ging ihm jedoch nicht hoher als bis zu den Knien, und bald hatte er das andere Ufer erklommen. Sie wartete nicht ab, bis er sie heruberrief, sondern folgte ihm sofort. Als sie den Flu? durchquert hatte, beugte er sich zu ihr vor und half ihr aufs Ufer.
Nun schoben sich die Wolken zusammen und hinderten das schwache Licht des tief stehenden Mondes daran, zu ihnen zu dringen. Der Wald war fast tintenschwarz. Nur ein kaum sichtbares Schimmern verriet ihnen, wo der schmale Hirschpfad entlangging, dem sie mit hastigen Schritten folgten.
»Jetzt sind wir bestimmt ein gutes Stuck von Llanwnda entfernt«, murmelte Eadulf ganz au?er Atem, nachdem sie eine Weile so gelaufen waren.
»Ich glaube, wir haben uns in einem Halbkreis bewegt«, widersprach ihm Fidelma leise.
Kurz darauf gelangten sie zu einer dunklen Hutte. Eadulf zitterte, als er die Umrisse erkannte. »Das ist die Unterkunft des Holzfallers. Wir haben uns nicht weit genug von Llanwnda entfernt«, sagte er enttauscht.
»Zumindest sind wir auf den eigentlichen Weg durch den Wald gesto?en. Wenn wir ihn weitergehen, gelangen wir zur Schmiede von Goff ...«
»Doch die liegt ungefahr sieben oder acht Meilen von hier entfernt, und ohne Pferde ... Nun ...!«
Gewi? verzog er jetzt jammervoll das Gesicht, doch es war viel zu finster, um etwas zu sehen, und so konnte Fidelma nur seine Stimme horen.
»Bei gutem Tempo, Eadulf, sind wir bei Tagesanbruch dort. Vielleicht konnen wir von Goff Pferde bekommen und zur Abtei Dewi Sant reiten, damit wir die Verschworung noch rechtzeitig aufdecken.«
Auf einmal blieb sie stehen. »Sei still! Ich glaube, da vorn hat sich etwas bewegt«, flusterte sie.
Eadulf beugte sich vor und spahte den Weg entlang. Die Baume schienen sich uber ihnen zu einem dunklen Gewolbe aus Zweigen zu verschranken. Er erschauerte.
»Ist hier nicht auch der Baum, an dem sie Idwal aufgehangt haben?« murmelte er.
Fidelma nickte, doch dann fiel ihr ein, da? er die Geste gar nicht sehen konnte.
»Ich denke, ja«, pflichtete sie ihm bei.
Auf einmal taten sich die Wolken auf, und der Mond erschien wieder. Ein silberner Streif fiel auf den Wald. Jetzt bemerkten es beide.
An einem der unteren Aste der Eiche vor ihnen schwang etwas hin und her. Beim Naherkommen machten sie eine Gestalt aus, die so tief uber dem Boden baumelte, da? die Fu?spitzen fast die Erde beruhrten. Der Kopf hing in einem merkwurdigen Winkel zum Korper herab.
Eadulf lief jetzt neben Fidelma her. Er wunschte, Fidelma hatte ihm nichts von den Brauchen dieses Festes erzahlt, dem Vorabend zu Allerheiligen.
Vor dem Erhangten blieben sie stehen. Wieder war der Mond hinter den Wolken verschwunden. Es war unmoglich zu erkennen, um wen es sich handelte, auch wenn es Eadulf so vorkam, als sei ihm die Person bekannt. Und im gleichen Moment wu?ten sie beide -es war Iorwerth.
»Du scheinst nicht gerade uberrascht zu sein«, murmelte Eadulf, der die Zeile von Vergil erkannt hatte, in der es hie?, da? Gott aller Not eine Ende bereite.
»Das bin ich auch nicht«, antwortete sie. »Selbst wenn ich annahm, er sei aus festerem Holz geschnitzt. Sonst hatte ich ihm die Kette nicht gezeigt. Komm, wir schneiden ihn ab.«
Eadulf nahm sein Messer und trennte den Strick durch. »Ich begreife nicht, was du eben gesagt hast. Wer hat ihn umgebracht?«
»Er selbst war es.«
Eadulf lie? den Toten zu Boden gleiten. »Warum sollte er .?«
Plotzlich horten sie Gerausche. Lichter bewegten sich in der Dunkelheit; brennende Fackeln. Woher sie stammten, war klar. Fidelma packte Eadulfs Hand.
»Lauf! Das sind Clydog und seine Manner, die nach uns suchen.«
Sie rannten durch den Wald. Da schrie hinter ihnen jemand, sie waren entdeckt worden. Eben noch hatte Eadulf die Wolken verflucht, die sich vor den Mond geschoben hatten. Jetzt fluchte er, da? es nicht dunkel genug war, um sich zu verbergen.
Nach wenigen Augenblicken wurde ihnen klar, da? ihre Flucht aussichtslos war. Die Verfolger waren beritten. Voller Verzweiflung suchten sie nach einem schmalen Pfad, der sie tiefer in den Wald und fort von dem Hauptweg bringen konnte. Doch es gab keine Moglichkeit, ihnen zu entkommen. Das Unterholz war so dicht und dunkel, es war einfach undurchdringlich.
Einen Moment spater hatte einer der Reiter sie eingeholt. Er wandte sein Pferd um und stellte sich ihnen in den Weg, wobei er bedrohlich sein Schwert durch die Luft sausen lie?.
»Bleibt stehen, oder ihr werdet erschlagen!« fuhr er sie bose an.
Hinter sich horten sie Clydogs Stimme spotten: »Habe ich dir nicht gesagt, da? ich dich bald wiedersehen wurde? Zwischen uns gibt es noch etwas zu klaren, Schwester Fidelma von Cashel.«
Sie drehten sich um und starrten im Mondlicht auf Clydog. Fidelma schwieg.
»Wir haben heute nacht schon genug Zeit vergeudet«, sagte Clydog auf einmal in beinahe nuchternem Ton. »Fesselt ihnen die Hande auf dem Rucken und nehmt beide mit. Wir kehren nach Llanwnda zuruck.«
Einer der Manner sprang vom Pferd, drehte Fidelmamit einem Ruck die Arme nach hinten und band die Handgelenke mit einem Strick zusammen. Das tat sehr weh. Eadulf hatte die Hande zu Fausten geballt und machte einen Schritt auf Fidelma zu, doch da spurte er eine kalte Schwertspitze in seinem Nacken und hielt inne. Es war der Krieger, der sie vorhin vom Pferd aus bedroht hatte. Der andere, der Fidelma gefesselt hatte, trat mit zorniger Miene an ihn heran, durchsuchte ihn und nahm ihm das Messer weg. Dann wurden auch Eadulfs Arme brutal nach hinten gezogen. Er versuchte sich zu wehren, doch der Krieger versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf, so da? er ins Taumeln geriet. Ehe er es sich versah, waren seine Hande festgezurrt. Und dann sa?en sie auch schon hinter den Kriegern auf den Pferden.
Clydog gab das Signal zum Aufbruch. Zu Fidelmas Erstaunen schienen weder Clydog noch seine Gefahrten Iorwerths Leiche zu bemerken, denn sie ritten ohne einen Blick an der Eiche vorbei. Ihr fiel ein, da? Eadulf den Toten ins hohe Gras gelegt hatte, wo man ihn im Dunkel nicht sehen konnte.
»Was hast du jetzt vor, Clydog?« rief Fidelma.
Der Anfuhrer der Gesetzlosen drehte sich zu ihr um. »Stellst du immer noch Fragen, Gwyddel?« Er lachte hohnisch.
»Ich furchte, ich bin einfach so«, erwiderte Fidelma munter. »Seit unserer letzten Begegnung bist du sehr kuhn geworden.«
»Was brutet dein schlaues Hirn jetzt aus?« fragte Clydog mi?trauisch.