„Und warum darf er von ihr nichts erfahren?“

„Aus denselben Grunden. Er wurde wissen, warum sie hier ist, und das ware ebenso schlimm, als hinge sie sich ihm an den Hals. Er hat es selbst nie zugegeben, aber ich glaube, Marie war einer der Grunde, weswegen er sich zum Hier bleiben entschlo?.“

„Er soll absichtlich verschwunden sein? Er soll von dieser Anlage schon vorher gewu?t haben?“

„Aber nein. Er geriet hierher wie ich und wie Marie. Als er ein Arbeitsboot sichtete, das nicht der Behorde gehorte, nahm er die Verfolgung auf.“

Ich uberlegte. Die Geschichte hatte ein paar uberzeugende Aspekte. Joeys Haltung Marie gegenuber war fast ebenso allgemein bekannt wie meine, obwohl kein Mensch Marie davon hatte uberzeugen konnen. Es hatten auch nur wenige versucht. Joey selbst gehorte nicht zu den Typen, die einem Madchen unverblumt sagen, es solle sich zum Teufel scheren, auch wenn es ganz klar war, da? es fur ihn und sie das Beste war. Er hatte irgendwie das Gefuhl, es sei sein Fehler, da? er nicht auf sie flog.

„Aber warum hast du mir gegenuber lugen mussen?“ fragte ich schlie?lich.

„Weil du zu Marie wolltest und ich einige Hoffnungen hatte, du wurdest sie zur Umkehr bewegen.

Wenn du von Joeys Anwesenheit hier gewu?t hattest, so warest du wohl nicht imstande gewesen, sie vom Gegenteil zu uberzeugen. Ich mochte deine Schauspielkunste nicht herabsetzen, aber du hattest es in diesem Fall einfach nicht fur notig gehalten.“

„Ich bin gar nicht sicher, ob ich es jetzt fur notig halte. Ich bin noch immer nicht im Bilde uber diesen bedeutsamen Job, den Joey zu erledigen hat und bei dem ich ihm helfen soll.“

„Das stimmt leider. Wir werden also darangehen, deine Bildungslucken aufzufullen. Auf, in die Bibliothek!“

„Werden diese Bewacher, oder was immer das sind, bis zum Schlu? dabeisein?“

„Schwer zu sagen. Es sind keine Bewacher, sondern nur interessierte Beobachter. Eigentlich solltest du dich geschmeichelt fuhlen.“

„Ach, bin ich auch. Ich war noch nie zuvor eine Beruhmtheit.“ Komisch, wie schwierig es ist, Ironie ausschlie?lich mit Hilfe des geschriebenen Wortes zu vermitteln. An Bert ging meine Anzuglichkeit voruber, soweit ich es beurteilen konnte. Er schwamm in die Richtung des Tunnels, den wir entlanggekommen waren, zuruck und wir anderen folgten ihm.

Wie ich vermutet hatte, fuhrte der Ruckweg uber eine andere Route — besser gesagt eine andere Rohre —, wobei, wie ich ebenfalls erwartet hatte, uns die Stromung unterstutzte.

Wie ublich wurde die Strecke nicht durch muntere Gesprache aufgelockert. Trotzdem war es nicht langweilig. Das Madchen schwamm neben mir, anstatt mit den anderen das Schlu?licht zu bilden.

Wie vorhin, so wu?te ich auch jetzt nicht, wie lange die Tour dauerte.

Ich habe keine Ahnung, wie die Stromung geste uert wurde. Sie hatte uns einen Gang entlanggetragen, sie fuhrte uns in denselben Raum durch einen anderen Gang, aber in dem Raum selbst konnten wir ohne weiteres anhalten. Bert offnete die gro?e Tur, und wir entledigten uns unserer Coveralls auf der anderen Seite. Dann ging er uns wieder voraus.

Ich war ein wenig erstaunt und noch mehr enttauscht, als wir an diesem Punkt unsere Begleitung loswurden. Kaum hatten wir die Coveralls abgelegt, zweigten sie in einen anderen Tunnel ab.

Zweifellos mu?ten auch sie von Zeit zu Zeit Arbeiten verrichten. Ich verdrangte sie mehr oder weniger aus meinem Bewu? tsein und folgte Bert.

Nun folgte einer der Punkte, die man nur schwer in allen Einzelheiten beschreiben kann, ohne La ngeweile zu erzeugen. Eine Bibliothek bleibt eine Bibliothek, auch wenn sie auf dem Kopf steht. Die Bucher waren in Form und Stil ganz gewohnlich, wenn nicht gar auch dem Inhalt nach. Die Filme und Karten waren in keiner Hinsicht bemerkenswert. Ahnlich schwerelosen menschlichen Korpern verharrten die meisten im Schwebezustand. Stuhle, Tische und Lesenischen befanden sich an der De kke, und die Stander zum Ablegen der Ballastgurtel waren unter — nein, ich meine oberhalb — der Stuhle. Aber nicht jeder legte sie ab. Viele Leser hatten ihre Gurtel umgeschnallt, wahrend sie vor dem Lese-Bildschirm trieben oder mit einem Buch in der Hand im Wasser schwebten.

Die Bilder auf den Schirmen gehorten zu dem allgemeinen Typ, den mir das Madchen aufgezeichnet hatte. Es waren Vettern zweiten Grades der elektrischen Diagramme oder topologischer Ubungen an hoheren Schulen. Ich beobachtete die Leser eingehend und gelangte zu der Oberzeugung, da? sie zwar lasen, da? aber dieses Lesen eine andere Art der Lesetechnik erforderte. Sie lasen Seite fur Seite oder Bild fur Bild, und brauchten dafur etwa eine halbe oder ganze Minute je nachdem, ehe sie zur nachsten Seite ubergingen. Doch die Augen fuhrten nicht die ubliche linksrechts Bewegung des Buc hlesers aus. Die Blicke wanderten bar jeglicher Regelma?igkeit uber die Seite wie der Blick eines Menschen, der ein Bild betrachtet.

Das war allerdings nicht allzu sehr erstaunlich, uberlegte ich. Das wurde mir auch so gehen, wenn ich ein Netz-Diagramm ansehen mu?te. Langsam fing ich an, die ganze Situation zu begreifen, langsam, aber sicher. Ich hatte mir bis jetzt nicht vorstellen konnen, da? technische Zeichnungen als eine Art Sprache dienen konnten.

Bert schwamm unauffallig eine Weile umher, und lie? mir Zeit, den Raum eingehend zu betrachten.

Schlie?lich winkte er mich an einen unbesetzten Filmbetrachter heran. Daneben stand ein gro?er Behalter mit Buchern. Ich brauchte etwa zwei Sekunden, um zu entdecken, da? diese Bucher in ganz gewohnlichen Sprachen verfa?t waren. Chinesisch… Urdu… Latein… Englisch… Russisch…

ich erkannte sie alle, wenn ich sie auch nicht alle lesen konnte.

Bert fing wieder zu schreiben an.

„Diese Unterlagen werden dir die ganze Geschichte viel schneller vermitteln, als ich es konnte.

Inzwischen ist es ja fur dich kein Schock mehr, da? viele Menschen, und zwar nicht nur Behordenangestellte, in der Vergangenheit auf diese Anlage gesto?en sind. Sie besteht schon langer, als es uberhaupt die Behorde gibt. Viele dieser Menschen sind hier geblieben. Sie haben diese Bucher zum Teil mitgebracht, zum Teil hier selbst geschrieben. Die aus diesen Buchern gewonnene Information hat mich schlie?lich uberzeugt von den Dingen, von denen ich dir gegenuber sprach — uber die Versuche einer Verbindung mit der Behorde und so weiter.

Du kannst hier beliebig lange bleiben. Du mu?t hier alles grundlich durchlesen. Es ist sehr wichtig, da? du die Sache in ihrer Gesamtheit verstehst. Ich werde dann kommen und dich zum Essen abholen.“

Er legte die Tafel unter einen Stuhl — eigentlich ist das falsch, die Tafel war namlich dichter als die Flussigkeit, also kann man sich vorstellen, was damit geschah — und er schwamm davon. Mir blieb also nichts ubrig, als mi t der Lekture zu beginnen.

Nein, Kopien oder Tonbander dieser Bucher besitze ich nicht. Und ich wei?, da? Bert ein Luge nbold war. Aber mein Wort darauf, diese vielen Bucher hatte er unmoglich in der Zeit, die er hier unten verbracht hatte, selbst fabrizieren konnen. Die meisten waren handgeschrieben, manche getippt.

Ich verbrachte an die achtzehn Stunden damit, jene Bucher zu uberfliegen, die in den mir bekannten Sprachen abgefa?t waren. Diese achtzehn Stunden wurden naturlich von Mahlzeiten und Schlafpausen unterbrochen, aber die Beschreibung dieser Tatsachen des Lebens wurde zu weit fuhren, obgleich diese Verrichtungen in me iner jetzigen Umgebung ziemlich ungewohnlich ausfielen. Ich werde nun versuchen in moglichst knapper Form ein Bild der Situation zu entwerfen.

XVIII

Die Anlage hatte tatsachlich schon vor der Schaffung, der Aufsichtsbehorde existiert. Wahrend der letzten Jahrzehnte vor der Rationierung war den verschiedenen, damals existierenden politischen Institutionen langsam klargeworden, da? die Energiereserven der Menschheit im Schwinden begriffen waren. Nun wurden verzweifelte Versuche unternommen, um den Folgen auszuweichen oder sie zumindest hinauszuschieben, ohne der offentlichen Meinung weh zu tun — oder vielmehr, ohne die Selbstzufriedenheit der Offentlichkeit zu storen.

Meine historischen Kenntnisse stehen auf wackeligen Beinen, aber ich glaube mich zu erinnern, da? es die Periode des „Blitzprogramms“ war, eines Programms, das damalige Techniker zynisch als einen administrativen

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