XX

Man tauche unter Wasser und lasse einen anderen wiederholte Male gro?e Steine zusammenschlagen, zunachst in einer Entfernung von zwanzig bis drei?ig Yards, sodann naher, so lange, bis es nicht mehr auszuhalten ist — dann bekommt man einen ungefahren Begriff von dem, was nun passierte.

Ich kann unmoglich meine Gefuhle in dieser Situation beschreiben. Da ich sekundenlang ohne Bewu?tsein war, kann ich eigentlich gar nicht behaupten, da? ich etwas fuhlte. Dennoch war ich nicht ganz ohne Gefuhl. Mir war, als wurde mir jemand mit einem Vorschlaghammer gleichzeitig jeden einzelnen Quadratzoll meines Korpers bearbeiten. Doch ich mochte Ihrem eigenen Vorstellungsvermogen nicht vorgreifen und liefere das eben beschriebene Bild nur als Pha ntasiestutze.

Der Schock war fur uns alle annahernd gleich. Eine Minute oder mehr mu?te vergehen, ehe wir kehrtmachten und unter Aufbietung aller Kraftreserven zuruck zu jener Stelle schwammen, wo wir die anderen zuruckgelassen hatten.

Dabei war keiner im Zweifel daruber, was nun passiert war. Und niemanden drangte es so recht zu der Stelle zuruck.

Und doch legten wir allerhochstes Tempo vor.

Ich hatte erwartet, an jener Stelle, wo unsere vier Begleiter sich zum Spiel niedergelassen hatten, vier Tote vorzufinden. Aber so einfach war das nicht.

Das Wrack befand sich, soweit ich das beurteilen konnte, noch an der fruheren Stelle. Die Schockwelle, die bei der Implosion des Rumpfes entsta nden war, hatte eine Schlammwolke hochgewirbelt, und unsere Lampen halfen uns jetzt nicht viel weiter. Wir blieben also eng beisammen und durchschwammen die Finsternis nach allen Richtungen und suchten den Meeresboden nicht nur nach sichtbaren Trummerstucken, sondern auch nach Gege nstanden ab, die sich unter dem sich setzenden Schlick verborgen haben mochten. Dazu bedurfte es keiner Verstandigung.

Den ersten fanden wir etwa funfzehn Fu? vom nachsten Wrackteil entfernt halb begraben. Er schien gar nicht schwer verletzt, doch wu?te ich, da? er tot sein mu?te. Die Druckwelle hatte uns in einer Entfernung von mehreren hundert Yards umgehauen, und das reziproke Quadratgesetz gilt auch unter Wasser.

Keinen der anderen konnten wir auf dem Boden finden, doch als der Schlamm sich setzte, wurde einer zwanzig Fu? uber uns sichtbar, wie er langsam in die Hohe trieb. Eine dunne Spur oliger Tropfchen entstromte seinem Helm. Mir war gar nicht der Gedanke gekommen, da? die Anzuge, da sie ja mit einer dichten Flussigkeit gefullt waren, auch Flotationsmaterial haben mu?ten, damit die Trager im Wasser schwimmen konnten. Mit dem Ausstromen der schwereren Flussigkeit wurde nun der Auftrieb des Toten positiv.

Damit war klar, warum wir die anderen beiden nicht finden konnten. Wahrscheinlich hatten sie gro?ere Lecks. Ich konnte mir vorstellen, wie sie irgendwo uber uns in der Schwarze trieben, der Oberflache entgegen, wahrend die letzten Reste der Flussigkeit, die ihr merkwurdiges Leben ermoglicht hatte, zuruck auf den Meeresboden tropften. Mir fiel ein, da? wir nach oligen Tropfen Ausschau halten und an Hand dieser Spuren die Suche wieder aufnehmen konnten, doch konnte ich leider diesen Vorschlag den anderen nicht klarmachen, und uberdies war mir klar, da? unsere Lichter fur eine Suche ohnehin zu schwach waren. Die anderen teilten offenbar meine Meinung. Mit den zwei Leichen im Schlepptau machten wir uns auf den Ruckweg zum Eingang.

Ich wunschte, es ware so hell gewesen, da? ich die Mienen unserer Begleiter hatte deuten konnen.

Ich hatte viel darum gegeben, wenn ich annahernd ihre Gefuhle den Fremden gegenuber hatte deuten konnen, deren Machinationen vier Gefahrten getotet hatten. Ich wu?te nicht, wie Bert die ganze Prozedur begrundet hatte. Vielleicht glaubten sie gar, es handle sich um einen wichtigen technischen Vorgang, welcher der Forschung diente oder ahnliches. Hoffentlich. Mir reichten meine eigenen Schuldgefuhle, ich konnte gut darauf verzichten, da? die anderen mir nun alle Schuld in die Schuhe schoben.

Au?erdem wunschte ich, ich hatte Berts Gedanken lesen konnen. Die Opfer hatten ja gute Freunde von ihm sein konnen.

Vielleicht wurde ich am Eingang nahere Aufklarung erhalten, doch ich sollte enttauscht werden.

Als wir hineinschwammen, gab es zwar jede Me nge Aufregung, aber ich konnte beim besten Willen nicht unterscheiden, was die Mienen nun ausdruckten.

Mir war bislang gar nicht klar gewesen, wie ko nventionell diese Mienen eigentlich waren. Wenn man nicht in einer Gesellschaft gro? geworden war, in der es eine standardisierte Gesichtsmaske fur Wut und eine andere fur Widerwillen und so fort gibt, erweist sich das Deuten des menschlichen Gesichtsausdruckes als hochst unsicheres Mittel zum Sammeln von Informationen. Die Leute mochten wutend, traurig oder angewidert sein, ich konnte es nicht unterscheiden. Es gab viel Gestikulieren, als die Toten fortgeschafft wurden, dazu Gesten zwischen einigen von ihnen und Bert, aber was die Haltung uns gegenuber betrifft, kann ich nur sagen, da? man uns in Ruhe lie?. Ich konnte nicht mal sicher sein, da? die Situation so bleiben wurde.

Vielleicht waren im Moment keine Freunde oder Angehorigen der Opfer zugegen.

Die Aktivitat um den Eingang hatte sich nach einer halben Stunde wieder beruhigt. Die Toten waren fortgeschafft, unsere Helfer waren fortgeschwommen und mit eigenen Angelegenheiten befa?t, und die Schwimmer, die man standig um den Eingang herumwimmeln sah, schenkten uns nicht mehr Beachtung als sonst. Das aber war nicht wenig. Das Madchen, das mit uns gemeinsam zum Kraftwerk geschwommen war, war nun wieder mit ihren Freunden zur Stelle.

Endlich konnte Bert sich wieder mittels der Schreibtafel au?ern. Ich hatte sehr viel zu sagen gehabt, ich fuhlte mich noch immer aufgewuhlt, schuldbewu?t, und vieles andere — das Gefuhl des Dummseins war dabei noch das Schmeichelhafteste —, doch wurde ich durch meine Kommunikationsschwierigkeiten wie zuvor gehemmt. Es kann vorkommen, da? ein Mensch gar nicht schnell genug reden kann, aber noch ofter kommt es vor, da? er nicht schnell genug schreiben kann.

Eigentlich hatte ich erwartet, Bert wurde sich uber den Vorfall au?ern. Seine Miene wenigstens konnte ich deuten und wu?te, da? es ihn ebenfalls schwer getroffen hatte. Was er nun aber aufschrieb, beschrankte sich strikt aufs Sachliche.

„Das wenigstens sollte Marie uberzeugen. Am besten, du schwimmst hin zu ihr, und erzahlst ihr, man hatte Joeys Boot als Wrack gefunden. Versuch sie zu uberreden, da? sie mit ihrem eigenen Boot hinausfahrt und sich uberzeugt. Vielleicht willigt sie dann ein, an die Oberflache zu gehen. Wenn sie dir nicht glaubt und sich nicht von der Stelle ruhrt, mussen wir das Wrack hereinscha ffen. Wenn das nicht wirken sollte, dann wei? ich nicht, was wir anfangen werden.“

„Ihr konntet ja aufhoren, ihr Nahrung zu geben.“

Er sah mich an und zog eine Braue hoch.

„Konntest du das?“ kritzelte er. Ich hob die Schultern und wu?te, da? ich es nicht konnte.

„Fuhr mich zu ihr“, schrieb er. Er schwamm voraus.

Die gesprachslosen Pausen wahrend des Schwimmens hatten mir eigentlich Gelegenheit zum Nachdenken geben mussen und vielleicht auch dazu, die Locher in dem Gewebe zu entdecken, das ich so eifrig spann, wenn ich blo? hundert Prozent flinker im Begreifen gewesen ware. So aber brachten mich die zwanzig Minuten Schwimmen auf keine brauchbare Idee. Ich dachte mir blo? ein paar Einzelheiten fur meine bevorstehende Begegnung mit Marie aus.

Und keine dieser Ideen war erstklassig. Ich fuhlte mich hochst unbehaglich, wie ich da auf ihr U-Boot zuhielt — Bert hielt sich wie beim letzten Mal unsichtbar im Hintergrund —, und klopfte an den Rumpf. Ein wahres Gluck, da? meine Verlegenheit vorzuglich zu der Rolle pa?te, die ich spielen sollte.

Marie meldete sich auf der Stelle. Ihr Gesicht wurde am oberen Fenster sichtbar. Es war richtig nett, wieder mal ein menschliches Gesicht zu sehen, dessen Miene man einigerma?en deuten konnte, obwohl ich mir bei Marie eine ganz andere Miene gewunscht hatte. Als sie mich erkannte, blickte sie um eine Spur freundlicher. Wie beim letzten Mal kam ihr Tonfall nicht vollig zur Geltung, doch die Worte waren klar verstandlich. „Wo hast du blo? gesteckt? Ich dachte schon, man hatte sich deiner ebenfalls entledigt.“ Ich beantwortete den wichtigeren Teil der Frage mit Hilfe der Schreibtafel.

„Ich versuchte, einiges in Erfahrung zu bringen.“

„Von Bert?“

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