Seine Antwort uberraschte Marie. Was sie bei mir bewirkte, war mir nicht so ohne weiteres klar.
„Sicher doch. Ich werde spater vielleicht wieder hierher zuruckkommen mussen — hier unten kann ich viel nutzliche Arbeit leisten. Aber es ist vielleicht wirklich das Beste, wenn ich jetzt mit dir gehe. Es gibt viel Berichtenswertes, das wir beide dir in aller Eile nicht erklaren konnen.“ Sehr taktvoll, wie er damit ihre Weigerung uberspielte, ihm in all den Wochen zuzuhoren. „Ich konnte das viel grundlicher machen.“ Er hielt nachdenklich inne, langer als Marie zum Lesen brauchte. Dann fuhr er fort: „Wir schleppen dein U-Boot in den Umwandlungsraum ab — das ist einfacher, als wenn du es selbst steuerst — und schlie?en es an die Schleuse an. Ich steige ein und lasse meinen Druck senken.
Man wird keine gro?en Einwande dagegen erheben. Dann kann ich durch deine Schleuse einsteigen, und wir steigen gemeinsam auf.“ Zu mir gewandt fragte er: „Gut so?“
Ich war da nicht so sicher. Soweit ich beurteilen konnte, wurde ich ohne Bert hier nichts anfangen konnen. Zweifellos wurde das Madchen, das uns noch immer standig beobachtete, und ihre Freunde mich vor dem Verhungern bewahren, bis ich mich hier besser zurechtfand. Sie wurden mich vielleicht zuruck zu Joey dirigieren, damit ich mit ihm zusammenarbeiten konnte, falls dies me ine Hauptaufgabe hier sein sollte. Aber ich sah nicht recht ein, wie ich auf diese Weise der Behorde von Nutzen sein konnte. Zum Unterschied von Joey hatte ich nie beabsichtigt, fur immer hier zu bleiben, das war hoffentlich klar. In diesem Punkt wenigstens hatte ich Marie nicht belogen.
Es hatte keinen Zweck vorzuschlagen, wir konnten gemeinsam zu dritt nach oben. Das Boot war zu klein. Es war ein Ein-Mann-Boot, und es wurde schon schwierig sein, Bert hineinzupferchen.
Da fiel mir ein, da? ja Berts Boot noch irgendwo vorhanden sein mu?te. Ich schnappte mir die Tafel.
„Wieso konnen wir nicht alle gemeinsam zuruck?“ schrieb ich. „Dein Boot mu? hier irgendwo vorhanden sein. Wenn Marie dich unbedingt bei sich haben will, konnte ich ja dein Boot benutzen.
Du konntest nachher wieder herunterkommen, oder gar wir beide, falls die Arbeit es erforderlich erscheinen la?t.“
Mir erschien das als fabelhafte Idee, und sogar Marie schien angetan davon, doch Bert hatte dazu eine oder zwei Fragen. Und nicht unbegrundete, wie ich feststellen mu?te.
„Der Umwandlungsraum fa?t nur einen. Und wenn ich fertig bin, wird es wahrend deiner eigenen Druckminderungsbehandlung Verstandigungsschwierigkeiten geben.“
„Du konntest denen doch das ganze Programm erst mal erklaren. Und ich konnte als erster drankommen.“
„Ich bin nicht sicher, ob ich es ihnen richtig erklaren konnte. Du mu?t bedenken, da? ich kein Experte im Fingerwackeln bin.“
„Warum aber konnte ich nicht als erster behandelt werden, wahrend du Anweisungen gibst, welches Boot als erstes angeschlossen wird und dergleichen, bis du selbst an die Reihe kommst?“
„Moglich ware es. Aber sehen wir uns erst lieber mein Boot an. Es ist schon lange hier unten und wurde hier zu routinema?igen Arbeiten verwendet.
Wahrscheinlich mu? man das Flotations-System uberholen. Ich wurde nicht riskieren, es gro?en Druckunterschieden auszusetzen, aber wir werden ja sehen. Verschaffen wir uns erst mal daruber Klarheit.“
Marie hatte unser Gesprach mitgelesen und nickte beistimmend. Unser Rudel machte sich also auf zum Boot.
Er hatte recht. Die Flotations-Flussigkeit war ausgelaufen. Es war schon seit Monaten unbenutzt, da es hier keine Einrichtungen zur Herstellung des Kohlenwasserstoffs gab, den die Schwimm-Tanks brauchten. Die hier gebrauchlichen Maschinen benutzten dieselbe Art fester Korper von geringer Dichte, die in den Schwimm-Coveralls verwendet wurden. Und um diese in das U-Boot einzufuhren, hatte es gro?erer struktureller Veranderungen bedurft. Das hatte man nicht fur der Muhe wert befunden.
„Ich konnte ja eines der hier verwendeten Boote nehmen“, schlug ich vor.
„Das versuch erst, wenn du die Sprache verstehst“, laute te seine Antwort. Das kam mir unsinnig vor. Ein U-Boot bleibt ein solches, und man kennt sich damit aus oder nicht. Aber ein Blick in eines der Boote belehrte mich eines Besseren.
Ich begreife noch immer nicht, warum die Steuereinrichtungen hier so und nicht anders sind. Die physikalischen Gesetze gelten hier unten ebenso wie oben. Aber der Unterschied in der grundlege nden Denkungsart, die mit der merkwurdigen graphischen Sprache Hand in Hand geht, erstreckt sich bis auf Faktoren, an die man mit gesundem Me nschenverstand gar nicht denken wurde.
Es sah nun ganz so aus, als mu?ten die anderen zwei allein nach oben gehen. Bert schien sich damit abzufinden, und sogar ich gewohnte mich an den Gedanken. Aber als wir wieder bei Marie waren und es ihr beibrachten, hatte sie wieder eine ihrer brillanten Ideen. Langsam drangte sich mir der Verdacht auf, sie konnte mehr im Sinn haben, als mich blo? an die Oberflache zu schaffen, aber sie lie? sich nicht in die Karten blicken. Vielleicht auch nur, weil sie mit mir nicht unter vier Augen sprechen konnte.
„In meinen Tanks habe ich ausreichend Schwimmkraft“, sagte sie unvermi ttelt und entschlossen. „Hangt einfach Berts Wrack an meine Schleppvorrichtung, und wir ziehen es mit hoch.
Ihr sagtet doch, der Rumpf konnte den verminderten Druck aushallen.“
Bert schien erschrocken, zweifellos, weil ihm das nicht selbst eingefallen war. Das vermutete ich jedenfalls. Aber er willigte prompt ein. Und damit war die Sache abgemacht. Er schwamm los, um Hilfe fur das Abschleppen der Boote zu holen und den Umwandlungsraum vorzubereiten. Ich benutzte seine Abwesenheit und schrieb fur Marie eine Mitteilung auf.
„Du scheinst dich in Bert getauscht zu haben. Er hat die Probe bestanden, als er so prompt auf deinen Vorschlag einging.“
„Das habe ich auch gemerkt…“
Ich wartete auf einen weiteren Kommentar, aber es kam keiner. Ich hatte eigentlich wissen mussen, da? keiner zu erwarten war. Und als sie wieder etwas au?erte, war ein ganzlich anderes Thema an der Reihe, dachte ich.
„Vergi? nicht, die Poller zum Befestigen der Taue sehr sorgfaltig nachzusehen.“
Ich nickte erstaunt. Das war eine Routinesache und bedurfte nicht eigens der Erwahnung.
„Und auch die Taue. Die sind neuer.“ Ich gab schweigend mein Einverstandnis und wunderte mich und fa?te auch ein wenig Hoffnung. Alles was von Marie kam und nach Interesse an meinem Wohlergehen klang, lie? mich hoffen. Ich hinkte noch immer meilenweit hinter ihren Uberlegungen her, weil ich nicht von derselben Sammlung von Vorurteilen ausging. So wollte sie es wohl, schatze ich. Da wechselte sie wieder das Thema und fragte mich uber die Leute aus, die neben mir im Wasser trieben.
„Was ist mit deinen Freunden? Ist die Dame einer der Grunde, warum du die Luftatmung aufgegeben hast?“
„Nein!“ schrieb ich mit Nachdruck. „Meines Wissens sah ich sie vor meiner Umwandlung gar nicht.“ Ich begriff nicht, warum Marie lachte. „Ich kann euch nicht miteinander bekannt machen, weil ich ihren Namen nicht kenne. Bei dieser Sprache kann man sich ja nicht vorstellen, wie ein Personenname aussieht. Vielleicht gibt es hier gar keine Namen.“
Zum erstenmal lachte sie hier unten.
„Ach, deswegen bist du also hier geblieben! Nein, mach dir nicht die Muhe, zu betonen, da? du bis vor kurzem von der Sprache keinen Schimmer hattest. Ich wei? es ohnehin. In deinen Augen sind die hiesigen Sprachbesonderheiten gewi? eine Empfe hlung.“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Sie hatte vollig recht. Eines der gro?ten Argernisse meines Lebens war hier unten bedeutungslos. Marie lie? mich nicht aus den Augen und las in meiner Miene wie in einem offenen Buch. Und jetzt lachte sie noch lauter als vorhin. In dieser Umgebung klang es nicht wie Gelachter, unterschied sich aber von ihrem normalen Sprechton so stark, da? meine Begleiter aufmerksam wurden. Sie sahen abwechselnd zum Boot und zu mir und konnten sich keinen Reim auf die Situation machen.
Marie hatte recht. Falls ich aus irgendeinem Grund hier unten bleiben sollte…
Diesen Gedanken unterdruckte ich sofort. Wohin Marie ging, dahin wollte ich fruher oder spater auch gehen.