Achseln zu zucken.

Er legte das Herbarblatt zur Seite - Botanik war nicht gerade seine Starke, und das fragliche Exemplar sah fur ihn zunachst einmal aus wie jede andere plattgepre?te und vertrocknete Pflanze auch - und widmete sich der Zigarettenschachtel. Neben einigen Blatt zusammengeknullten Toilettenpapiers beforderte er schlie?lich einen schillernden, etwa vier Zentimeter gro?en Kafer zu Tage, der in einem kleinen durchsichtigen Kunstharzblock eingeschlossen war.

»Ohh, ein Buprestide.«

Ein Prachtkafer, und was fur einer. Die langlich-ovalen Flugeldecken glanzten wie ein Juwel und schimmerten je nach Lichteinfall in allen Farben des Regenbogens. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie in der Hand gehabt. Flugeldecken, Halsschild und Kopf des Tieres schillerten in metallischem Blau und Grun. Auf mehreren der inneren Flugeldeckenrippen zogen sich unterbrochene, bronzefarbene Linien entlang. Er war wirklich wunderschon, prachtig.

Dann stutzte er. Micha bildete sich ein, schon recht gut mit den einheimischen Kaferarten vertraut zu sein, aber ein solches Juwel war ihm noch nie untergekommen. Wenn er es sich recht uberlegte, war er eigentlich ziemlich sicher, da? dieses Tier nicht zur einheimischen Fauna gehorte. Und jetzt, da er daruber nachzudenken begann, konnte er sich auch kaum vorstellen, da? ein paar hundert Kilometer weiter - in der Slowakei -plotzlich Spezies vorkommen sollten, die aufgrund ihrer Gro?e und Farbausstattung eher in die Tropen pa?ten. Einheimische Arten konnten da in der Regel nicht mithalten. Blo? nicht auffallen, hie? die Devise. Da unterschieden sie sich kaum von den Menschen, die hier lebten. Fur mitteleuropaische Verhaltnisse prasentierte ja ein Marienkafer mit seinem schlichten Rot-Schwarz schon eine zugellose Farborgie. Aber die Kafer waren ungeheuer vielgestaltig, die artenreichste Tiergruppe, die es uberhaupt gab. Bei weltweit fast einer halben Million Arten war sein Wissen notgedrungen luckenhaft. Er konnte nicht restlos ausschlie?en, da? es in der Slowakei nicht doch schon ganz andere, etwa aus den Steppengebieten Osteuropas stammende Kaferarten gab, von denen er nichts wu?te.

Au?erdem, wo sollte das Tier denn sonst herkommen? Tobias hatte doch sowohl am Telefon als auch in seinem Brief eindeutig von einem Mitbringsel gesprochen, von einem Tier, das ihm gegen die Campinglampe geflogen war.

Vielleicht trieb er nur einen Scherz mit ihm. Mit seinen Kommilitonen hatte Micha sich auch schon das verbluffte Gesicht von Prof. Rothmann ausgemalt, einem Insektenkund-ler, der mit Hilfe von alten, in den Boden gegrabenen Joghurtbechern den Kafern des heimischen Grunewaldes nachstellte, wenn er einmal einen Exoten, vielleicht eine mediterrane Art, vorfande, die sie ihm unter des Grunewalds Kafereinerlei geschummelt hatten. Sie waren sich alle sicher, da? er in heller Aufregung die Institutsgange entlangsturmen und jedem, der ihm uber den Weg lief, von seinem sensationellen Erstnachweis dieser Kaferart fur Mitteleuropa berichten wurde. Das sind die raren Hohepunkte eines Forscherlebens.

So wie sich Tobias ihm bisher prasentiert hatte, traute er ihm hintergrundigen Humor dieser Art durchaus zu. Er nahm sich vor, in den nachsten Tagen einmal in der Institutssammlung nachzuschauen, ob es eine solche Art in Deutschland gab. Und wenn er in der Sammlung nicht fundig werden sollte, gab es da zumindest reichlich Literatur und sicherlich auch eine Fauna Tschechoslowakia oder so etwas, wo er sich Klarheit verschaffen konnte.

Er legte den Harzblock mit dem Kafer auf seinen Schreibtisch, verstaute das Herbarblatt in einer der Schreibtischschubladen und zundete sich dann schmunzelnd eine Zigarette an. Nein, so leicht wurde Tobias ihn nicht hinters Licht fuhren.

Ein paar Tage spater suchte er in der Zoologischen Sammlung des Instituts in dem Schrank mit der Kafersammlung nach den Buprestiden, den Prachtkafern. Er war zwar uberrascht, da? einige der einheimischen Arten sich, was Schonheit, Farbenpracht und Metallglanz anging, durchaus mit Tobias’ Mitbringsel messen konnten, aber nicht hinsichtlich ihrer Korpergro?e, und das gab seinem Verdacht letztlich recht. Die gro?ten deutschen Prachtkafer ma?en kaum mehr als drei Zentimeter und waren eher unscheinbar, jedenfalls alles andere als prachtig und sowieso so gut wie ausgestorben. Und die, die farblich in Frage kamen, die bunten, schillernden Arten der Gattungen Lampra und Palmar, waren erheblich kleiner.

Zwei, drei Stunden intensiven Suchens und Blatterns in der institutseigenen Bibliothek bestatigten ihn dann in einem weiteren Punkt: Auch die Prachtkafer der Slowakei machten ihrem Namen wenig Ehre und sahen eher aus wie graue Mause.

Der Kerl hatte tatsachlich versucht ihn hereinzulegen. Er brauchte einen Moment, um das zu verdauen. Dann begann er Racheplane zu schmieden, allerdings ohne da? ihm zunachst etwas Adaquates eingefallen ware.

Wahrscheinlich hatte Tobias das Ding in einem dieser Naturalienladen gekauft, wo angeblich naturliebende Astheten sich mit farblich zum Teppich oder zur Gardine passenden Schmetterlingen, bizarren Korallenstocken oder horrorfilmreifen Riesenheuschrecken ausstatten konnten, eine ziemlich perverse Auspragung gro?stadtischer Naturverbundenheit. Als naturschutzbewegter Mensch durfte man dort nichts kaufen. Noch ein Grund mehr, sich uber Tobias zu argern.

Zunachst einmal beschlo? er, so zu tun, als sei ihm der Betrug gar nicht aufgefallen. Aus seinem Munde wurde Tobias kein Sterbenswortchen daruber horen. Wahrscheinlich verbarg sich hinter der getrockneten Pflanze der gleiche Schmu.

Eines Abends, knapp zwei Wochen spater, rief ein aufgekratzter Tobias an und versuchte ihn mit Hilfe eines kaum zu bremsenden Wortschwalls in eine Kreuzberger Kneipe zum Bier einzuladen. Er hatte alle Muhe, sich gegen die enorme Gerauschkulisse im Hintergrund durchzusetzen. Micha lie? sich uberreden und traf ihn eine halbe Stunde spater an der Theke eines lauten und verqualmten Ladens, den er vorher nie betreten hatte.

Tobias grinste Micha mit seinem blitzenden Zahn an, klopfte ihm zur Begru?ung kumpelhaft auf die Schulter und sagte: »Da bist du ja.«

»Hallo!«

»Komm, wir setzen uns dahinten hin, da ist es ein bi?chen ruhiger.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter, griff nach seinem Bier und schob ihn durch die dichtgedrangt stehenden, durcheinander redenden Menschen. Er schien sich hier auszukennen, denn sie erreichten einen zweiten Raum, in dem es wesentlich ruhiger war. Sie setzten sich an einen freien Tisch, und Micha bestellte bei der gerade vorbeieilenden Bedienung ein Bier.

»Bist du ofter hier?« fragte er.

»Hin und wieder.« Er lachte. »In Sechsunddrei?ig herrscht kein Mangel an Kneipen.«

»Anders als in eurem Dorf, was?«

Sie redeten eine ganze Weile uber Gott und die Welt, uber Gro?stadt und Landleben, uber Berlin und Stuttgart, die Schwaben, die einem hier uberall uber den Weg liefen, und uber das Universitatsleben. Tobias wirkte gelost und ausgesprochen gut gelaunt und machte nicht den geringsten Versuch, das Gesprach auf seine Reise oder gar das Packchen zu lenken, das er geschickt hatte. Micha hatte sich zwar vorgenommen, nichts zu sagen, aber je langer sie plauderten, desto irritierender fand er Tobias’ Verhalten. Nachdem sie so mindestens zwei Stunden zugebracht und etliche Biere geleert hatten, beschlo? er, zwei alten, bewahrten Grundsatzen zu folgen. Der erste hie?: Was kummert mich mein Geschwatz von gestern, der zweite: Angriff ist die beste Verteidigung.

»Ach ja, ubrigens vielen Dank fur dein Packchen. Hat mich wirklich gefreut, besonders der tolle Prachtkafer.«

»Ein schones Tier, nicht wahr?« Tobias lachelte breit, zeigte aber ansonsten keine Reaktion. »Hast du uber diese Wasserpflanze etwas herausfinden konnen?«

»Eine Wasserpflanze ist das? Nein, du, ich mu? gestehen, da? Botanik meine schwache Stelle ist. Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, mir die Pflanze genauer anzusehen, aber ich furchte, selbst wenn ich es tate, wurde nicht viel dabei herauskommen.«

»Na ja, du kannst ja mal sehen, vielleicht schaffst du es irgendwann einmal«, antwortete er ohne besonders gro?e Enttauschung. »Wurd mich interessieren.«

Und damit war dieses Thema fur ihn offenbar erledigt, denn er begann von etwas anderem zu reden.

Micha war verwirrt. Wenn Tobias nur schauspielerte, dann war er ungewohnlich talentiert, und da er seinem Jugendfreund Begabungen dieser Art eigentlich nicht zutraute, fing er an, an den Ergebnissen seiner Recherchen zu zweifeln.

Sie sa?en eine Weile schweigend am Tisch, leerten ihre Bierglaser und betrachteten die anderen

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