verwickeln.

Claudia schlief ein paar Meter weiter, gleich neben der Feuerstelle, und hatte sich so tief in ihren Schlafsack verkrochen, da? kaum noch etwas von ihr zu sehen war. Nur ein paar blonde Haarstrahnen lugten heraus. Pencil lag mit der Schnauze auf den Vorderpfoten und offenen Augen neben ihr und verfolgte jede seiner Bewegungen.

Es ist schon, da? sie hier ist, mu?te er plotzlich denken. Ob sie das genauso sah? Er empfand ihr gegenuber fast so etwas wie Dankbarkeit, weil sie ihn nicht mit diesem Lugner allein gelassen hatte. Wer wei?, was aus ihnen geworden ware, wenn Claudia sie nicht getrennt hatte, vor ein paar Tagen, als er drauf und dran gewesen war, Tobias zu Hackfleisch zu verarbeiten. Er hatte gar nicht gewu?t, da? er zu einem solchen Ausbruch von Aggressivitat uberhaupt fahig war. Einen kurzen Moment lang hatte er rotgesehen. Seitdem beschaftigte ihn immer wieder der Gedanke, wie weit er wohl gegangen ware, wenn es Claudia nicht gegeben hatte. Wie sie mit dieser ganzen, fur sie vollig unerwarteten Situation fertig geworden war, notigte ihm jedenfalls gro?ten Respekt ab.

Nur langsam verschwanden die Bilder des Traumes aus seinem Bewu?tsein und hinterlie?en ein unbestimmtes Gefuhl der Bedrohung. Er war nervos und versuchte sich abzulenken, indem er aus seinem Schlafsack kroch und das Feuer neu entfachte.

Sie hatten gestern tatsachlich Holz am Ufer gefunden, einen gro?en, vollig ausgeblichenen und blankpolierten Ast, und der Versuchung nicht widerstehen konnen, damit ein Lagerfeuer zu entfachen. Es war eine nette Abwechslung und der Situation irgendwie angemessener als die Petroleumlampe, die ihnen sonst als Lichtquelle diente. Aber, was viel wichtiger war als die Moglichkeit, ein Feuer zu machen: Der Ast bewies, da? es hier anscheinend doch irgendwo Baume gab. Claudia konnte zwar an Hand des Holzes nicht feststellen, um was fur eine Art von Pflanze es sich handelte, aber der Ast stammte zweifellos von einem Baum und mu?te vom Flu? hierhertransportiert worden sein.

Hatte Tobias womoglich recht, und sie mu?ten nur da hinuber, auf die andere Seite der Berge?

Er schaute hinauf und verfolgte einige Wolken, die gerade uber die Gipfel trieben. Der Bergzug war nicht besonders hoch. Es gab uberall Sattel und Passe, die sie sicher ohne halsbrecherische Klettertouren erklimmen konnten. Ob sie allerdings auf der anderen Seite wieder herunterkamen, mu?te sich erst noch herausstellen. Wasser wurde ein Problem sein, und die Vorrate. Sie wurden alles tragen mussen. Vielleicht konnten sie sich in der Nahe des Flusses halten.

Aber wenn es so ware, wenn da oben oder dahinter tatsachlich Dinge auf sie warteten, die sie aus ihrem irgendwie zeitlosen Zustand herausrissen, etwas, das ihnen unmi?verstandlich anzeigte, was die Uhr geschlagen hatte, ein ... nun ja, ein Dinosaurier zum Beispiel oder ein Urpferdchen, lebendig wohlgemerkt, warum hatte dann Sonnenberg Tobias nur so mangelhaft darauf vorbereitet, warum hatte er nichts davon erzahlt, da? sie auf dem Weg dorthin erst eine siebentagige Wustendurchquerung mit anschlie?ender Gebirgswanderung absolvieren mu?ten? Das war so, als bitte man jemanden einzutreten, ohne ihm zu sagen, da? hinter der Schwelle ein etwa zwei Meter breites und funf Meter tiefes Loch wartete. Nicht auszudenken, was geschehen ware, wenn sie kein Wasser mitgefuhrt hatten. Was hatte sich Sonnenberg dabei gedacht? So verkalkt hatte er gar nicht gewirkt. Oder war auch diese Version der Geschichte wieder nur eine von Tobias’ Lugen?

Und was war mit ihm selbst? Ware er wirklich zufriedener, wenn er endlich Gewi?heit hatte? Hatte er diese ganze Reise nicht nur angetreten, um endlich zu beweisen, da? Tobias log? In diesem Falle hatte der Beweis doch kaum uberzeugender ausfallen konnen und er hatte wirklich allen Grund, zufrieden zu sein. Tobias hatte tatsachlich gelogen, allerdings in einem ganzlich anderen Zusammenhang, als Micha das ursprunglich vermutet hatte. Es gab die Hohle, und es geschahen zweifellos ungewohnliche Dinge, wenn man durch sie hindurchfuhr, aber auch Tobias kannte all das nur vom Horensagen. Er war alles andere als ein vertrauenswurdiger Expeditionsleiter, an dem sie sich aufrichten konnten, wenn Angst und Zweifel sie uberkamen. Sie drei zusammen waren hier auf einem vollig neuen Trip, einer Reise, die, wollte man Tobias’ neuer Geschichte ausnahmsweise einmal Glauben schenken, zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren unternommen worden war.

Zwanzig Jahre. Micha hatte gedacht, ihm schwinden die Sinne, als Tobias fast beilaufig erwahnte, wie lange Sonnenbergs Reise schon zurucklag. Wie konnten die beiden nur so naiv sein und glauben, da? etwas so Unbegreifliches wie diese Hohle nach mehr als zwanzig Jahren noch haargenau so funktionieren wurde wie damals? Im Grunde waren sie nichts weiter als Versuchskaninchen. Wie die Affen, die als erste mit Gemini in den Weltraum fahren durften.

Was hatte dieses Loch im Fels mit ihnen gemacht? Was war das hier, das Erdmittelalter, das Devon? Australien? Oder doch das mittlere Tertiar, das Eozan, wie Tobias noch immer behauptete, obwohl er nicht die geringsten Beweise dafur hatte?

Das alles war sehr verwirrend. Micha mu?te an den Planet der Affen denken. Das Ganze hier hatte sowieso sehr viel mehr Ahnlichkeit mit Hollywoods Zelluloidwelten als mit der Realitat. Charlton Heston, die junge, aus der Sklaverei der Affen gerettete Menschenfrau hinter sich im Sattel, reitet am Ende des Films durch das flache Wasser immer an der Meereskuste entlang. Er ist auf dem Weg in das verbotene Land und findet dort den spektakularen Beweis dafur, da? er sich auf der Erde befindet: die zerschmolzene und verschuttete New Yorker Freiheitsstatue. War das hier am Ende eine Art MadMax-Endzeit-Szenario, weder Vergangenheit noch Gegenwart, sondern die Zukunft? Schei?zeitreisen!

Michas Vertrauen in Tobias war so tief erschuttert, da? er uberhaupt nicht mehr wu?te, was er glauben sollte und was nicht. War wirklich Sonnenberg, dieses kleine verkruppelte Mannchen, derjenige, der hinter dieser ganzen mysteriosen Angelegenheit stand? Naturlich war ihm auch Ellen wieder eingefallen und was Tobias uber sie gesagt hatte. Steif wie ein Brett. Mit Sicherheit war auch das eine Luge.

Die Luft war kalt, und mit seinen Handflachen versuchte er, die von den bald aufflackernden Flammen ausgehende Warme aufzunehmen. Das Holz brannte gut. Es ging in dieser toten Welt etwas beruhigend Lebendiges von dem kleinen Feuer aus. Vielleicht durch das Knacken des brennenden Holzes geweckt, kam Leben in die gro?e blaue Plastikrolle, bis schlie?lich Claudias verschlafenes Gesicht herausguckte.

»Morgen!«

»Morgen, Claudia! Gut geschlafen?«

»Na ja, es ging.« Sie offnete den Rei?verschlu? ihres Schlafsacks und richtete sich auf. »Es ist noch fruh, oder?« Sie gahnte.

»Hm.«

Er schaute auf die Uhr: halb sieben. Normalerweise bekam ihn zu dieser Zeit kein Mensch aus dem Bett. Er sah hier nur noch selten auf die Uhr. Sein Bezug zur Zeit hatte irgendwie Schaden genommen auf dieser Reise.

Er stand auf, ging zu Claudia hinuber, hockte sich auf die Knie und nahm sie in den Arm. »Ich hab vielleicht wieder einen Unsinn zusammengetraumt«, flusterte er. Er spurte, wie sie sich an ihn druckte.

»Was war’s denn diesmal?«

»Du kamst auch vor, als Kettenraucherin.«

»Als was?«

»Ach, ist doch unwichtig.« Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Es tat gut, ihre Warme zu spuren. Eine Weile hielten sie sich eng umschlungen.

»Ah, schon auf, die Turteltaubchen.«

Micha fuhr zusammen, verkrampfte sich und stand ruckartig auf. Tobias’ Kopf schaute aus dem Schlafsack und blinzelte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

»Sieht nach idealem Reisewetter aus!« sagte er.

Micha fuhlte sich ertappt. Gleichzeitig argerte er sich daruber, da? Tobias’ Auftauchen ein solches Gefuhl in ihm hervorrufen konnte. Der Kerl hatte schon wieder eine ziemlich gro?e Klappe. Ein, zwei Tage lang war er wie ein verprugelter Hund mit gesenktem Kopf umhergeschlichen, aber je naher sie den Bergen kamen, desto besser wurde seine Laune. Er war uberzeugt davon, da? der Dschungel hinter der Bergkette lag und da? Sonnenberg aus irgendeinem Grunde nicht mehr daran gedacht hatte, genauso wie ihm die Sache mit der Meeresbucht erst im allerletzten Moment wieder eingefallen war. Das Holz am Flu?ufer kam ihm da naturlich wie gerufen. Jetzt wu?ten sie immerhin, da? es irgendwo auf diesem Planeten Baume geben mu?te, was den Rahmen der in Frage kommenden Erdzeitalter immerhin um ein paar hundert Millionen Jahre einengte. Seitdem hatte er eindeutig Oberwasser.

Trotz ihrer vollkommen ungeklarten Lage dachte Micha seltsamerweise nicht daran, umzukehren. Er hatte

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