charakteristischen Bewegungen, der federnde schaukelnde Gang. Aber irgend etwas an ihnen stimmte nicht. Es war offensichtlich, aber es dauerte einen Moment bis Micha verstand, was ihn an den Tieren irritierte. Er bekam eine Gansehaut.
Das da waren ganz und gar keine gewohnlichen Elefanten. Was er da sah, waren Dinotherien. Es war der Rheinelefant, das beruhmte Schreckenstier von Eppelsheim, das da quicklebendig im Familienverband die Tranke ansteuerte, ein Tier, dem die Leute im 19. Jahrhundert angesichts der ersten ausgegrabenen Schadelfragmente ziemlich ratlos gegenubergestanden hatten und das Micha aus Abbildungen wohlbekannt war. Kein Wunder, da? die verwirrten Gelehrten der damaligen Zeit den Unterkiefer zunachst falsch herum am Kopf montierten.
Es waren vor allem die Sto?zahne, die nicht stimmten. Anders als beim modernen Elefanten ragten sie in scheinbar sinnlosem Bogen nach unten aus dem Kiefer. Wegen der furchtbaren Eckzahne dachten die Leute damals, ihr Fund konne nur ein gro?es Raubtier gewesen sein, und ehrten es wie die gro?en Saurier mit der Vorsilbe Dino-:
Micha setzte das Fernglas langsam ab. Mit offenem Mund schaute er zuerst Tobias, dann Claudia an, die nach unten starrte und dabei versuchte, ihre Augen mit der Hand zu beschatten.
»Na, wei?t du jetzt, wo wir sind?« fragte Tobias spottisch, nahm dem konsterniert wirkenden Micha das Glas aus der Hand und reichte es an Claudia weiter.
Ja, er wu?te es.
Dinotherien waren eine im Tertiar erfolgreiche Russeltiergruppe. Sie hielten sich viele Millionen Jahren lang und starben erst zwei Millionen Jahre vor der Neuzeit aus. Jetzt konnten sie vielleicht herausfinden, was sie nun wirklich mit ihren nach unten gerichteten Zahnen taten, ob sie Wurzeln ausgruben oder ob sie tatsachlich, wie einige glaubten, Flu?lebewesen waren, die ihre Zahne vom Wasser aus in den Uferboden rammten, um sich auf diese Weise zu verankern und beim Ruhen nicht von der Stromung fortgerissen zu werden.
Es konnte wohl wirklich keinen Zweifel mehr geben. Tobias hatte recht gehabt, von Anfang an.
Sie befanden sich in einer anderen Zeit. Das hier war das Tertiar.
Sabines
»La?t mich doch endlich in Ruhe«, hatte sie geschrien und die Hande verzweifelt vors Gesicht geschlagen.
Zuerst verhielten sie sich ziemlich idiotisch, aber angesichts der au?ergewohnlichen Umstande war das vielleicht zu entschuldigen. Vollkommen unsystematisch durchsuchten sie Schranke und Schreibtischschubladen, durchstoberten dicke Papierstapel und wuhlten in Abfalleimern herum, so, als sei es bei ihnen ublich, wertvolle Fossilien achtlos herumliegen zu lassen und zu vergessen, oder als sei es moglich, da? seit Aonen konservierte Tiere plotzlich zum Leben erwachten und sich angstlich irgendwo verkrochen, um den Manipulationen durch ihre Entdecker und deren furchteinflo?endes Instrumentarium zu entgehen.
Dabei lag der Fall ziemlich klar, nur wollte es zunachst niemand wahrhaben. Sie hatten namlich mit der Aufarbeitung und Praparation von Fossilien genug zu tun, als da? es ihnen in den Sinn gekommen ware, vollkommen normale, fossillose Schieferplatten, wie sie unten in der Grube tonnenweise herumlagen, mit einem Holzrahmen zu versehen, diesen sauberlich mit Kunstharz auszugie?en, um dann von der Ruckseite vorsichtig, Schicht fur Schicht, den Schiefer abzutragen und zu einer makellos leeren Kunstharzplatte vorzudringen, auf der es absolut nichts zu sehen gab. Genau das mu?te aber mit dem fraglichen Stuck geschehen sein, denn auf dem holzgerahmten leeren Harzblock, der vor Sabine auf dem Tisch lag, klebten, wie Axt bei naherer Betrachtung feststellte, hier und da noch Reste des Schiefers. Wenn Sabine sich also in den letzten Wochen nicht mit einem vollkommen leeren Stuck Olschiefer abgeplagt hatte - und das war ja wohl auszuschlie?en -, dann hatte sie, so schwer das auch zu begreifen war, recht, und das ursprunglich darin befindliche Skelett hatte sich regelrecht in Luft aufgelost. Sie beteuerte immer wieder, noch den ganzen Tag daran gearbeitet zu haben, auch vorhin, als Di Censo sich neben ihr aufgebaut hatte. Irgendwann sei sie nur mal rasch auf die Toilette gegangen, und als sie zuruckkam, sei ihre schone
Axt blieb in der ganzen Aufregung seltsam gelassen. Er plagte sich ja nun schon seit Monaten mit einem ahnlich absurden, wenn auch vollig anders gelagerten Fall herum, von dem die anderen nicht die Spur einer Ahnung hatten, auch wenn der kaum zu ubersehende Beweis nur wenige Meter unter ihren Fu?en im Kellermagazin lagerte. Plotzlich gab es nicht nur dieses wahnwitzige Menschenskelett, sondern nun auch dieses vollkommen ratselhafte Verschwinden eines Fossils. Aus einem obskuren, jeglichen gesunden Menschenverstand sprengenden, isolierten Phanomen waren nun unversehens deren zwei geworden, und er vermutete sofort, da? es eine Verbindung geben konnte, einen verruckten, nie dagewesenen, aber erklarbaren Zusammenhang.
Plotzlich war er sicher, da? die Zweifel und die Verunsicherung, die er in den letzten Monaten durchgemacht hatte, nicht ein Produkt seiner zu lebhaften Phantasie waren, sondern da? hier tatsachlich etwas sehr, sehr Merkwurdiges im Gange war, da? es irgendwo da drau?en ein mysterioses Phanomen gab, das ihnen diese bisher unerklarlichen Ereignisse bescherte. Der ernsten Situation ganzlich unangemessen, verspurte er tatsachlich so etwas wie Erleichterung. Was auch immer es war, es harre sich nun nicht mehr nur ihn allein als Zielscheibe fur seine seltsamen Scherze ausgesucht.
Und das Verschwinden von Sabines Fledermaus sollte kein Einzelfall bleiben. In den nachsten Tagen und Wochen hauften sich Meldungen wie diese. Von uberall her kamen plotzlich aufgeregte Anrufe, aus Brussel, aus Berlin, aus New York, sogar aus Tokyo, aber der erste, der Axt erreichte, kam hier ganz aus der Nahe, aus dem in dem alten Fachwerkrathaus untergebrachten Fossilien- und Heimatmuseum des Stadtchens Messel. Am Telefon war eine vollig aufgeloste Gertrude Hohnerbach, eine pensionierte Lehrerin, die dort an den Wochenenden ehrenamtlich Dienst tat.
»Wirklich, Dr. Axt«, schluchzte sie herzzerrei?end, »mir ist vollig unerklarlich, wie das geschehen konnte.«
»Nun beruhigen Sie sich mal, liebe Frau Hohnerbach. Niemand macht Ihnen einen Vorwurf.«
Sie schien ihn gar nicht gehort zu haben. »Ich wei? noch nicht einmal, wann das eigentlich passiert ist. Ich schaue ja nicht jedes einzelne Ausstellungstuck an, bevor ich abschlie?e.« Sie schneuzte sich so laut in ein Taschentuch, da? Axt den Horer weghalten mu?te und den Anfang ihrer weiteren Beteuerungen verpa?te. ». verstehen. Naturlich kontrolliere ich alle Schlosser an den Vitrinen, bevor ich gehe, das ist ja selbstverstandlich, und wenn eines der Schlosser aufgebrochen oder eine Scheibe zerschlagen gewesen ware, hatte ich das bestimmt bemerkt, schon wegen der Glasscherben. Sie wissen ja, da? ich es in solchen Dingen sehr genau nehme. Ich fege jeden Abend einmal von oben bis unten durch. Die Menschen bringen ja soviel Dreck von drau?en herein, Sie machen sich keine Vorstellung, wie .«
»Ist das Vogelskelett denn gestohlen worden? Sie sagten doch, da? es ein Vogel war, oder habe ich Sie da falsch verstanden?«
»Ja, eine Ralle, jedenfalls steht das auf dem Schild. Eine Ralle ist doch ein Vogel, oder nicht? Himmelherrgott, ich bin vollkommen durcheinander. Da? ausgerechnet mir so etwas passieren mu?. Es ist mir so schrecklich peinlich. Sie glauben ja gar nicht, wie mir zumute war, als ich das entdeckt habe. Ich .«
»Was haben Sie den nun entdeckt, Frau Hohnerbach?« Die arme Frau. Sie konnte einem wirklich leid tun.
»Es ist weg«, schluchzte sie, »einfach verschwunden. Ich meine, nur das Skelett. Die Platte steht noch vollig unversehrt in der Vitrine, aber da ist nichts mehr. Sie ist leer.«
Spater kamen dann die Anrufe aus Brussel und den anderen Stadten. Keine Tranen, weniger Emotionen, aber immer wieder gro?e Aufregung und dieselben Botschaften. In Brussel waren es gleich zwei Fledermause, allerdings keine