ubrigbleiben sollten. An der Ausrottung der dritten, der Mammuts, waren ja wahrscheinlich die eiszeitlichen Fruhmenschen nicht ganz unbeteiligt. Einer der fruhesten Falle von Menschen verschuldeter Ausrottung einer Gro?tierart. In jungster Zeit hatte man allerdings auf der Wrangelinsel in der ostsibirischen See die Uberreste von Zwergmammuts entdeckt, die sich dort noch ein paar tausend Jahre langer halten konnten als ihre gro?en Vettern auf dem Festland und erst 4500 Jahre vor der Neuzeit ausstarben. Micha konnte nicht anders, als an das Schicksal ihrer Verwandten zu denken. Ob es in der Zukunft fur die letzten Uberlebenden der Russeltiere, die Elefanten, auch solche Ruckzugsgebiete geben wird? Oder werden diese Refugien aussehen wie Zirkuszelte und Freigehege zoologischer Garten?
Die Schaufelzahner besa?en vier Sto?zahne, von denen zwei als flache parallele Schaufeln ausgebildet waren und nach vorne aus dem langgestreckten Unterkiefer ragten. Die Tiere operierten damit wie ein Bagger, fuhren mit ihrer Zahnschaufel zwischen die dichten Matten der Wasserpflanzen, klemmten sie mit ihrem daruber hangenden, breiten Russel fest, rissen mit einer kraftigen Kopfbewegung dicke Buschel aus dem Untergrund und kauten dann langsam und genu?lich, wobei ihnen eimerweise eine grunlich braune Flussigkeit, eine Mischung aus schlammigem Wasser und Pflanzensaft, aus den Maulern lief.
Wie gebannt beobachteten sie diese friedlichen Riesen, die keinerlei Notiz von ihnen nahmen. Eine sanfte Brise wehte ihnen entgegen, so da? die Tiere sie nicht wittern konnten. Atemlos vor Spannung hockten sie hinter ihrem Felsen und verhielten sich so still wie moglich, nur Claudia hatte alle Hande voll damit zu tun, Pencil zu beruhigen, der offenbar am liebsten aus ihrem Versteck gesturzt ware, um sich den beiden Schaufelzahnern als neuer Spielpartner vorzustellen.
Es herrschte ein ununterbrochenes Kommen und Gehen.
Durch Zufall hatten sie einen Platz ausfindig gemacht, der anscheinend die bevorzugte Badestelle und Tranke der ganzen Gegend darstellte. Sie mu?ten sich nur ruhig verhalten und abwarten, dann flanierte alles an ihnen vorbei wie auf dem Boulevard einer Gro?stadt.
Neben den Tieren mit den seltsamen Eckzahnen stellten sich allerlei andere Arten von Antilopen und Hirschen ein. In kleinen Gruppen oder gro?eren Herden naherten sie sich vorsichtig dem Wasser, tranken und verschwanden wieder. Eine Gruppe fiel ihnen besonders auf, denn die Tiere trugen zwei Paar Geweihe, wieder eines dieser merkwurdigen Details, die ihnen sofort ins Auge stachen. Hunderte von »normalen«, zweihornigen Exemplaren hatten sie kaum beachtet, angesichts der Vierhornigen bekamen sie sofort eine Gansehaut. Aber gab es einen anderen Grund, Vierhornige weniger normal als Zweihornige zu finden, als da? sie einfach neu fur sie waren? Das zusatzliche Geweihpaar wuchs den Tieren auf der Mitte des Kopfes zwischen Nase und Augen, und die beiden V-formig auseinanderstrebenden Horner waren wie die Fuhler einer Schnecke an den Enden zu Kolben verdickt. Einer anderen Art wuchs dort nur ein einzelnes, an der Spitze gegabeltes Horn. Sie konnten beobachten, wie einzelne Tiere kurze Kampfe damit ausfochten. Der Wind wehte das Krachen der aufeinanderprallenden Geweihe und Schadel bis zu ihrem Versteck hinuber.
Unter den Horntragern sah man auch einzelne massige, schwerfallige Tiere, die drei paar knocherne, grotesk aussehende Fortsatze auf ihren schweren Kopfen trugen. Tobias nannte sie Uintatherien. Die gro?en Eckzahne des Oberkiefers, die ihnen wie den Hirschen aus dem Maul ragten, gehorten hier wohl zur Grundausstattung. Vielleicht war es in diesen harten Zeiten notig, sich mit Hilfe eines moglichst grimmigen Au?eren unter all diesen urzeitlichen Riesen Respekt zu verschaffen, auch wenn nicht viel dahintersteckte.
Zwei riesige Dinotherien fanden sich ein. Erst jetzt konnten sie sehen, wie gro? diese Dickhauter wirklich waren. Von oben und aus gro?er Entfernung hatten sie in der endlosen Savanne doch eher wie fehlkonstruierte Spielzeugelefanten gewirkt. Jetzt aber uberragten sie mit ihren hohen Schultern alle anderen Tiere, und ihr Aussehen erzeugte in Micha ein ganz ahnliches Befremden wie zuvor die vierhornigen Geweihtrager. Diese seltsamen, fast rechtwinklig nach unten gekrummten Unterkiefersto?zahne deklassierten sie zu einer jahrmarktreifen Elefantenmi?geburt. Die Riesen planschten eine Weile wurdevoll herum, tranken, bespritzen sich mit Wasser und zogen dann langsam und majestatisch ausschreitend wieder davon. Was sie mit ihren umstrittenen Sto?zahnen anfangen konnten, blieb weiterhin ein Ratsel.
Plotzlich wurde Micha von einer Bewegung auf ihrer Seite des Flusses abgelenkt. Mit lautem Getrappel traf eine Gruppe hundegro?er Tiere auf der Lichtung vor dem Wald ein und begann sogleich, an den Blattern der Straucher am Waldrand herumzuknabbcrn.
»Urpferdchen!« flusterte Tobias.
»Das sollen Pferde sein?« fragte Claudia unglaubig, wobei sie unter Muhen Pencil festzuhalten versuchte, den es unwiderstehlich auf die Lichtung zu ziehen schien.
»Nicht Pferde,
»Das sagst du so«, erwiderte Claudia mit dem zappelnden Dackel auf dem Arm. »Ich wei? nicht, ob ich ihn noch lange festhalten kann.«
Wie Pferde sahen die kleinen Gesellen wirklich nicht aus, eher schon wie Miniesel. Sie hatten ein paar Fohlen bei sich, die ausgelassen auf der Lichtung herumtollten.
Plotzlich geschah etwas Unglaubliches. Vollig uberraschend brach ein riesiger, auf zwei Beinen laufender Vogel aus dem dichten Unterholz des Waldchens, stie? mit seinem fast pferdegro?en Kopf und weit aufgerissenen Schnabel nach einem der Fohlen. Augenblicklich herrschte auf der Lichtung helle Aufregung. Die Urpferdchen rannten wiehernd in panischer Angst hin und her, und kurze Zeit spater war die ganze Herde verschwunden. Micha konnte sie gut verstehen, denn seine Gefuhle gingen in eine ahnliche Richtung, und um ein Haar hatte er sich ihnen angeschlossen. Sogar auf der anderen Flu?seite machte sich Unruhe bemerkbar. Die diversen Horntrager hatten ihre Kopfe gehoben und starrten zu ihnen heruber. Sogar die Schaufelzahner hielten kurz inne.
Erst jetzt sah Micha, da? der braungefiederte Angreifer mit seinem Uberfall Erfolg gehabt hatte. Eines der jungen Urpferde hing schlaff in seinem furchterregenden Schnabel, und mit eisigen Augen spahte der Vogel sichernd umher. Diese unbeweglichen Raubvogelgesichter mit dem durchdringenden Blick hinterlie?en bei Micha immer den Eindruck, die Tiere seien irgendwie unleidlich und gerade furchtbar schlecht gelaunt, auf jeden Fall sei nicht gut Kirschen essen mit ihnen. Auf diesen hier traf das ganz besonders zu.
»O Gott, was ist das denn fur ein Bursche?« flusterte Claudia. Micha spurte, wie sie sich fest an seinen Arm krallte.
Sie druckten sich eng an den Felsblock. Claudia pre?te Pencil fest an sich und hielt ihm die Schnauze zu. Tobias spahte mit dem Fernglas vorsichtig zu dem Riesenvogel hinuber, der keine funfzig Meter von ihnen entfernt war.
»Ein
Neugierde lie? auch Micha wieder uber den Felsen schauen. Der Vogel hatte seine Beute auf dem Boden abgelegt, einen Fu? mit den furchtbaren Krallen daraufgesetzt und stand nun mit gesenktem Kopf da.
»Der Schnabel reicht mir schon. An dem ist alles gigantisch«, sagte Micha. Das Tier uberragte ihn sicher um einiges.
Der Kopf des Vogels zuckte plotzlich nach oben, und seine riesigen Augen schienen Micha genau zu fixieren. Wie zwei Pfeile bohrten sich die starren Pupillen des Raubers in sein Gehirn. Ihm blieb fast das Herz stehen. Er wagte kaum zu atmen und mu?te daran denken, da? der Diatryma vielleicht schon die ganze Zeit uber dort im Unterholz gehockt und auf Beute gelauert hatte. Moglicherweise wu?te er, da? sie hier hinter dem Felsen sa?en. Als potentielle Beute waren sie fur ihn sicherlich zu gro?, aber es reichte ja, wenn er sie als Konkurrenten ansah, die ihm seine Beute abspenstig machen wollten. Micha war jedenfalls fest entschlossen, sich auf keinerlei Auseinandersetzung mit diesem Burschen einzulassen und konnte nur hoffen, da? dieser es genauso sah.
»Was hat er denn, dein Diadingsda?« Claudia war kaum zu verstehen, so leise sprach sie. Pencil schien auf ihrem Arm endlich begriffen zu haben, da? jetzt nicht der Moment fur Spielereien war, und verhielt sich ruhig.
Der Riesenvogel schaute immer wieder zu ihnen heruber, spahte zum anderen Flu?ufer und in die offene Savanne und wandte sich dann wieder seiner Beute zu. Von einer Gansehaut begleitet wurde Micha klar, da? es sich bei den dunklen Flek-ken an seinem Schnabel um frisches Blut handeln mu?te. Ein paarmal hob er den kleinen Kadaver in die Luft und lie? ihn wieder fallen. Er oder sie war unschlussig.