sich all diese wertvollen Stucke scheinbar in Luft aufgelost. Es geschah in Museumsvitrinen, in dunklen Sammlungsschubladen und mitten auf den Arbeitstischen forschender Palaontologen.

Er hatte gro?e Muhe, die aufgeregten Anrufer zu beruhigen. Fossilien aus Messel waren nicht gerade billig, ganz davon abgesehen, da? an Nachschub in beliebiger Menge nicht zu denken war.

Bei ihnen im Hause sei dasselbe passiert, sagte er den Anrufern, als konne er sie damit uber ihren Verlust hinwegtrosten. Vielleicht handele es sich um einen bisher unbekannten Zerfallsproze?, eine Art chemischer Zersetzung, sie tappten da selber noch im dunkeln, sagte er und uberhorte den mitunter durchklingenden vorwurfsvollen Ton seiner Gesprachspartner, so, als ob sie irgend etwas damit zu tun hatten, als hatten sie eine Art Bestandsgarantie auf ihre Messeler Fossilien abgegeben, die von geprellten Kunden einklagbar ware.

So chaotisch und undurchschaubar sich die Situation zunachst darstellte, es gab ein paar Gemeinsamkeiten, die Axt im Geiste sorgsam notierte. Es schien nur Fossilien aus Messel zu betreffen, nur solche, die aus der relativ spaten Messelzeit stammten. Da war kein allgemeines Fossiliensterben im Gange oder so etwas.

Reginald Wood vom New Yorker Museum of Natural Histo-ry, das uber eine besonders umfangreiche Dinosauriersammlung verfugte, schnappte horbar nach Luft, als Axt ihn fragte, ob bei ihnen im Haus noch andere Fossilien verschwunden seien. »Na, horen Sie mal! Die Leute rennen uns hier in Scharen die Bude ein, weil sie unsere Dinos sehen wollen. Was meinen Sie wohl, was hier los ware, wenn sich plotzlich unser Tyrannosaurus verkrumeln oder die Dinomumien in Luft auflosen wurden? Um Himmels willen, ich darf gar nicht daruber nachdenken. Eine Katastrophe ware das. Wir konnten den Laden hier dichtmachen, sofort. Nichts fur ungut, Dr. Axt, aber wegen der jetzt verschwundenen Messeler Schlange ist bestimmt niemand ins Museum gegangen, so schon und bedeutend sie auch gewesen sein mag. Ich furchte, au?er uns wird sie kaum jemand vermissen.«

Auch alle anderen Gesprachspartner, die er danach fragte, versicherten ihm, da? ihnen keine vergleichbaren Falle mit Fossilien aus anderen Epochen der Erdgeschichte bekannt seien, weder jungeren noch alteren Datums.

Es gab noch andere Gemeinsamkeiten. Es schien nur Tiere zu befallen, Landtiere, um genau zu sein, Tiere mit amphibischer Lebensweise und gro?erem Aktionsradius sowie solche, die fliegen konnten, wie Vogel, Insekten und naturlich Fledermause. Fische waren bisher nicht betroffen, was ihn als Ichthyologen in gewisser Weise beruhigte.

Das war zwar nicht viel, aber immerhin etwas, auch wenn es auf der nicht gerade beeindruckenden Datengrundlage von nur acht ahnlichen Fallen beruhte. Seltsamerweise schien ausgerechnet die umfangreiche Messel-Sammlung des Frankfurter Senckenberg-Museums von dieser weltweit grassierenden Fossilienseuche verschont zu bleiben.

Das Ganze war sicher alles andere als erfreulich, und Axt hatten die Tranen kommen konnen angesichts der schier unersetzlichen Fundstucke, die verschwunden waren, aber was ihn wirklich wutend werden lie? und endgultig auf die Palme brachte, war, wie Schmaler sich in dieser Sache verhielt. Er hatte naturlich schon mehrmals mit ihm daruber sprechen wollen, schlie?lich war er der Chef, und wann, wenn nicht in einer solchen Situation, sollte ein Direktor schnellstens und aus erster Hand unterrichtet werden, aber entweder Schmaler war nicht im Hause, lie? sich schlicht verleugnen, fuhrte irgendwelche bedeutenden Besucher durch die hochmodernen Museumsraumlichkeiten, oder er zeigte sich seltsam uninteressiert und schien das Ganze am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Axt stie? bei Schmaler auf eine undurchdringliche Mauer erstaunlichen Verdrangungsvermogens. Eigentlich hatte ihn das kaum noch uberraschen durfen. Er hatte es ja in anderem Zusammenhang schon einmal durchexerziert. Auch die gro?artig angekundigte Aussprache uber das Homo sapiens-Skelett hatte bis zum heutigen Tage nicht stattgefunden.

Trotz wiederholter Enttauschungen hatte Axt aber bisher die Beherrschung behalten konnen. Bei einem erneuten Versuch, mit Schmaler zu reden, platzte ihm dann allerdings der Kragen.

»Ach, du bist es«, meldete sich Schmaler zerstreut und nicht gerade begeistert. Immerhin, ein erster Teilerfolg. Es geschah selten genug, da? man ihn uberhaupt einmal in seinem Buro erwischte. »Was gibt es denn, Helmut?«

»Was es gibt?« Axt war fassungslos. »Du fragst allen Ernstes, was es gibt? Du hast nicht das Gefuhl, da? es irgend etwas zu besprechen gabe, nein? Ich meine, in aller Welt losen sich unsere Fossilien in Rauch auf, ach was, wenn es wenigstens Rauch ware, buchstablich in nichts losen sie sich auf, und du fragst mich, was es gibt?«

»Ja, ja, dumme Geschichte«, sagte Schmaler mit gequalter Stimme. »Sehr unangenehm, aber, hor mal, ich erwarte ...«

Nun reichte es. Axt sprach mit dem Mann, dem er vieles, fast alles zu verdanken hatte, und zum ersten Male brullte er ihn an, so laut er konnte: »Wei?t du, es ware wirklich sehr hilfreich, wenn du deinen Verstand einmal dazu benutzen konntest, daruber nachzudenken, was hier, verdammt noch mal, eigentlich vor sich geht!«

6

Safari

Je weiter sie sich von ihrem Nachtlager am Berghang entfernten, desto vielgestaltiger wurde das Leben um sie herum, desto uppiger die Vegetation. Anfangs nur vereinzelt, saumten bald dichte Bestande hoher Laubbaume den gewundenen Flu?lauf. In ihren ausladenden Kronen lebten viele Vogel, und Lemuren flohen mit lautem Kreischen die Stamme hinauf, wenn die kleine Expedition ihnen zu nahe kam. In einer Art Dominoeffekt scheuchten sie ihrerseits die dort sitzenden Vogel auf und regten sie zu heftigem Geflatter und Gezeter an. Nach der leblosen Stille in den Tagen zuvor war dieses schier uberquellende Leben fur Micha ein Schock. Er hatte sich auch in den zwei Tagen, die sie in ihrem Lager am Berghang zugebracht hatten, noch nicht daran gewohnen konnen.

Pencil schien sich hier wohl zu fuhlen, war aber sehr aufgeregt. Er flitzte durch das dichte Gebusch, sturmte ruhelos vorneweg, entfernte sich aber nie sehr weit von den Menschen und kam bald zuruck, um zu schauen, wo sie blieben.

»Seht mal da druben!« rief Claudia und deutete auf eine kleine Herde hirschahnlicher Tiere, die ohne Eile am gegenuberliegenden Flu?ufer entlangtrotteten. Sie schaute durch das Fernglas. »Merkwurdig! Die haben Eckzahne wie Raubtiere.«

Tatsachlich konnte man durch das Glas erkennen, da? einigen der Tiere lange, spitze, eher an Katzen oder Paviane erinnernde Eckzahne senkrecht nach unten aus dem Maul ragten, ein irritierender, befremdlicher Anblick. Schon in den Tagen zuvor waren sie uberall auf ahnlich verwirrende Details gesto?en. Solche Zahne hatten fur ihre Begriffe im Maul von friedlichen Pflanzenfressern nichts zu suchen.

»Sabelzahnhirsche«, sagte Micha spottisch, aber in Wirklichkeit verfolgte er die Bewegungen der kleinen Herde eher mit gemischten Gefuhlen, war froh, da? sie sich auf der anderen Flu?seite aufhielten.

»Die Moschushirsche haben heute noch solche Zahne«, kommentierte Tobias beilaufig. »Mit heute meine ich naturlich die Neuzeit, das Holozan.« Er grinste.

Micha spurte, wie ihn leichter Arger uberkam. Er hatte es kapiert, er hatte es jetzt wirklich kapiert und mu?te es nicht alle funf Minuten erneut aufs Butterbrot geschmiert bekommen. Ja, sie waren im Tertiar gelandet, wie Tobias es gesagt hatte. Ja, er hatte letztlich doch recht gehabt. Ja, ja, ja.

Aber uber die Moschustiere mu?te er ihm nichts erzahlen, das wu?te er selber. Sie prasentieren ihre Eckzahne drohend bei Rivalenkampfen. Tobias sollte lieber bei seinen Steinen bleiben.

Nach etwa einer Stunde machte der Flu? eine gro?e Schleife. Dahinter bot sich ihnen ein prachtvoller Ausblick auf die beiden kegelformigen Vulkane, deren Grollen sie schon seit vielen Tagen gehort hatten. Es war mehr als nur ein Gerausch, das ihnen durch Mark und Bein ging. Ein leichtes Zittern der Erde schien es zu begleiten, in dem die Androhung einer ungeheuren Kraft und Gewalt lag.

Den ganzen Abend hatten sie gestern damit zugebracht, sich vorzustellen, wie die Welt denn aussah, in der sie sich jetzt befanden. Die beiden Vulkane waren sichtbare Zeichen fur die dramatischen geologischen Prozesse, die zu dieser Zeit uberall auf der Erde abliefen. Im Tertiar entstanden die Alpen, der Himalaja, die Rocky Mountains und der Oberrheingraben. Letzterer war ein riesiger, mehrere hundert Kilometer langer Ri? der Erdkruste, in den hinein, wie ein gigantischer Keil, der heutige Rheingraben mehrere tausend Meter tief abgesackt war. Es entstand eine Schlucht von derart monstrosen Ausma?en, da? sich der Grand Canyon dagegen wie ein harmloser Kratzer in der Erdkruste ausnahm, Jahrmillionen der Erosion haben die ursprunglichen

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