mu?te er wieder daran denken, was ihm hier erst vor wenigen Wochen zugesto?en war. Von einem Moment auf den anderen fuhlten sich seine Beine schwer und bleiern an.

Wenn es ihm nun wieder passierte, wenn er noch mal einen solchen Anfall hatte und zusammenbrach, jetzt, wo sie alle auf ihn warteten, wo es darauf ankam, da? sie schnell und zielstrebig handelten? Er zogerte. Durch den Maschendraht erkannte er unten eine Gruppe von Menschen, die mit Spaten und Brecheisen im Schiefer arbeiteten.

Sie haben schon angefangen, dachte er. Ich mu? hinuntergehen, sonst wundern sie sich, wo ich bleibe. Vielleicht haben sie mich schon gesehen. Man kann von unten den gesamten Kiesweg gut uberblicken. Winkte da jemand?

Er schlo? das Tor auf und ging mit gesenktem Kopf den Kiesweg entlang. Nicht hinunterschauen, dachte er, nur nicht hinunterschauen. Hier irgendwo mu? es doch gewesen sein. Es darf nicht wieder geschehen. Ich mu? mich zusammenrei?en, mu? mich konzentrieren.

Es schockierte ihn ungemein, da? er Angst davor hatte, diesen Weg zu gehen. Bis vor wenigen Wochen noch war dies alles hier sein Leben gewesen, seine Bestimmung. Und jetzt sollte er nicht einmal mehr in der Lage sein, hinunter zu ihren Ausgrabungsstellen zu gehen? Nein, er durfte sich nicht so gehen lassen, nicht zulassen, da? diese wahnwitzigen Ereignisse sein Leben zerstorten. Er mu?te dagegen ankampfen, wieder zu alter Tatkraft und Initiative finden, er mu?te .

Ein Ruck ging durch seinen Korper. Er richtete sich auf und lief nun entschlossenen Schrittes und mit erhobenem Kopf weiter.

Funfzehn Minuten spater stand er unten bei den anderen. Lehmke, Kaiser, Sabine, die beiden Praktikantinnen und Rudi schuttelten ihm erleichtert die Hand. Max fehlte. Alle redeten aufgeregt durcheinander, und er verstand zunachst uberhaupt nichts. Erst, nachdem er laut um Ruhe gebeten hatte, konnte Sabine ihm im Zusammenhang erzahlen, was geschehen war.

Rudi hatte es als erster entdeckt. Er war wie jeden Morgen in die Grube gegangen und hatte gesehen, da? sich dort jemand ziemlich brutal am Bohrloch zu schaffen gemacht hatte.

Sie gingen hinuber zum Grubenrand, damit sich Axt selbst ein Bild machen konnte. Es war zum Heulen. In einer Nacht hatten sie etwa zehn Quadratmeter rigoros abgeraumt. Die zerstorten Schieferplatten lagen naturlich ohne Abdeckung in der Gegend herum. Vielleicht steckten noch die gro?ten Schatze darin, aber vieles war unwiederbringlich zerstort. Glucklicherweise war es in der Nacht ja sehr kalt und feucht gewesen, so da? sich die Schaden durch die Austrocknung des Schiefers noch in Grenzen hielten.

Das war ja das Schlimme an diesen Grabungsraubern. Nicht nur, da? sie fur irgendwelche reichen Fanatiker, die nicht wu?ten, wohin mit ihrem Geld, Fossilien stahlen, diese unschatzbar wertvollen Zeugnisse der Vergangenheit, die allen Menschen gehorten, insbesondere naturlich den Wissenschaftlern, nein, sie zerstorten mit ihrem rucksichtslosen Vorgehen viele unscheinbare, aber wertvolle Fundstucke, die nur fur die Palaontologen von Interesse waren. Diese kriminellen Banausen konnten damit naturlich nichts anfangen.

Axt teilte die Anwesenden in zwei Gruppen ein. Die einen sollten das achtlos weggeworfene Abraummaterial der Plunderer nach noch verwertbaren Stucken durchsuchen. Vielleicht lie? sich da noch einiges retten. Fur sie waren ja auch geringste Spuren von Interesse, Abdrucke von Blattern etwa, fossilisierte Fruchte oder winzige Insekten. Um die zu entdecken, mu?te man sich jedes einzelne Schieferbruchstuck noch einmal genau anschauen.

Leider waren die ursprunglichen Lagebeziehungen der einzelnen Schieferplatten nicht mehr zu rekonstruieren. Schon das alleine war eine Katastrophe. Selbst, wenn sie darin noch etwas fanden, hatte es doch viel von seiner ursprunglichen Aussagekraft verloren. Die Olschieferablagerungen in Messel hatten eine Starke von etwa 190 Metern. Wenn man fur den tertiaren Messel-See von einer durchschnittlichen Ablagerungsrate ausging, wie sie von anderen, heutigen Seen her bekannt war, bedeutete dies, da? die Schieferschicht einem Zeitraum von immerhin zwei Millionen Jahren entsprach. Das war kein Pappenstiel und entsprach in etwa der durchschnittlichen Lebensdauer einer Saugetierart. Es war fur die exakte Zuordnung und Interpretation der Funde also sehr wichtig zu wissen, wo genau die Fossilien gelagert hatten. Feine mineralische Sedimentschichten wie die sogenannten Sandhaute waren dabei wichtige Orientierungsmarken. Alles kaputt, alles sinnlos zerstort. Uberall Stiefelabdrucke. Axt fluchte.

Gegen Mittag traf die Verstarkung aus Frankfurt ein. Sechs Studenten und Studentinnen machten sich durch lautes Rufen oben am Tor bemerkbar. Axt teilte sie sogleich der zweiten Gruppe zu, zu der auch er selbst sowie Lehmke und Rudi gehorten. Seltsamerweise war Max noch immer nicht aufgetaucht, und niemand schien zu wissen, was mit ihm los war. Sie hatten ihn heute wirklich dringend gebraucht.

Die zweite Gruppe arbeitete weiter an der Freilegung des Krokodils. Vorsichtig trugen sie Schicht fur Schicht ab, ubergaben die Schieferplatten zur Feinuntersuchung an die Kollegen und tasteten sich so langsam an das Skelett heran. Um vier Uhr hatten sie es erreicht.

Es war ein wirklich au?ergewohnliches Fossil, mindestens drei, wenn nicht vier Meter lang. Axt mu?te naturlich sofort an das andere, menschliche Skelett denken, das oben in der Station lag. Dieses hier war noch wesentlich gro?er.

Im Laufe des Nachmittags wurde ihm klar, da? sie es heute wohl kaum noch schaffen wurden, den Fund in Sicherheit zu bringen. Die Grabungsstelle befand sich in relativ schlecht zuganglicher Lage in der Nahe des Grubenrandes und war fur schweres Bergungsgerat praktisch unerreichbar. Ob ihnen die Deponie noch einmal ihren Kran zur Verfugung stellen wurde, mu?te sich erst noch herausstellen. Darum kummerte sich Sabine.

Im das freigelegte Fossil in eine fur den Abtransport gunstigere Position zu bringen, mu?ten sie eine Art Rampe bauen. Die Studentengruppe aus Frankfurt sollte sich darum kummern. Die sechs jungen Leute machten sich sofort mit Feuereifer an die Arbeit, begannen Schieferplatte auf Schieferplatte zu schichten und arbeiteten sich langsam an die Fundstelle heran. Fur sie schien das Ganze eine Mordsgaudi zu sein. Axt war es nur recht.

Wieder mu?ten sie einen gro?en Schieferquader herausarbeiten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit heulte immer wieder die Motorsage auf, mit der sie einen nahezu funf Meter langen schwarzen Schieferblock aus dem weichen Gestein schnitten. Diesmal wu?te Axt zwar, was darin verborgen war, aber die auf einem breiten Sockel liegende, irgendwie bedrohlich wirkende schwarze Steinplatte erinnerte ihn fatal an ihr kleineres Gegenstuck im Keller der Station. Er hoffte, da? es den anderen nicht genauso ging.

Als es zu dunkel wurde, um weiterzuarbeiten, brachen sie die Bergung ab, und Axt rief alle Beteiligten zu sich.

»Wer bleibt heute nacht mit mir hier unten?« fragte er und schaute in die Runde. Die meisten sahen ziemlich erschopft aus. Immerhin hatten sie den ganzen Tag lang ohne gro?ere Pausen durchgeschuftet.

Zuerst schien sich niemand besonders darum zu rei?en, ihm hier unten in der Kalte Gesellschaft zu leisten, aber dann meldete sich Sabine, und nach einem kurzen Palaver trat einer der Studenten vor und sagte, wenn er, Axt, nichts dagegen hatte, wurde sich die ganze Gruppe gerne zur Verfugung stellen.

»Wunderbar!« rief Axt hocherfreut. »Wir sind fur jede Hilfe dankbar. Ich denke, dann sind wir genug. Treffpunkt fur die anderen ist morgen fruh acht Uhr drei?ig hier unten in der Grube. Wir mussen die Sache morgen unbedingt zum Abschlu? bringen. Dank Frau Schafers Verhandlungsgeschick werden unsere Nachbarn uns dann hoffentlich wieder mit ihrem Kran zu Hilfe kommen. Vielen Dank, da? ihr alle so tatkraftig mitgeholfen habt.«

Der Gedanke, die Nacht hier unten in der Grube zu verbringen, war ihm schon vor Stunden gekommen. Er hatte zwar nach seinem kleinen morgendlichen Ruckfall auf dem Weg hinunter ein mulmiges Gefuhl dabei, aber wenn sie ihren Fund jetzt unbeaufsichtigt lie?en, dann mu?ten sich die Fossilienjager heute nacht nicht einmal mehr die Finger schmutzig machen und brauchten sich nur zu bedienen. Das im Schiefer eingeschlossene Skelett lag jetzt wie auf dem Prasentierteller.

Sie gingen nach oben in die Station. Einige der Studenten fuhren nach Hause, um Schlafsacke und Luftmatrazen zu holen. Zwei Stunden spater waren sie zuruck und mit ihnen etliche Flaschen Rotwein und ein Kassettenrekorder.

Er selbst griff zum Telefonhorer, um seiner Frau Bescheid zu sagen. Danach fuhr er nach Hause, um seine Campingutensilien abzuholen und kurz nach Stefan zu sehen. Im Schein zweier Petroleumlampen hockten sie dann abends auf ihren Luftma-trazen, lie?en den Wein kreisen und hofften, ihre blo?e Gegenwart werde die Plunderer davon abhalten, ihr Zerstorungswerk fortzusetzen.

Weil alle von der anstrengenden Arbeit mude und erschopft waren, verkroch sich bald einer nach dem

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