Au?erdem interessierte ihn noch etwas anderes, etwas, das Axt trotz Dutzender solcher Vortrage noch nie jemand gefragt hatte.

»Kann man sie einfach trocknen?«

Das waren doch eigentlich seltsame Fragen. Damals war ihm das nicht aufgefallen, aber jetzt .

Diese Fragen klangen fur ihn so, als ob der junge Mann ein solches Tier schon einmal gesehen hatte. Er hatte sich nach dem Prachtkafer erkundigt, nicht nach irgendeinem der anderen Messeler Insektenfunde, nach genau demselben Kafer, dessen tauschend echtes Pendant in Sonnenbergs Kunstharzblock steckte und laut Di Censo eine raffinierte Falschung darstellte.

Mit einem Stohnen lie? er sich wieder auf seine Matratze fallen und schlo? die Augen. Die Grabungsrauber waren vergessen. Er spurte, er wu?te, da? er jetzt ganz nah an der Losung des Ratsels war, so nah wie noch nie zuvor, auch wenn ihm noch viele Mosaiksteinchen fehlten. Er lag noch lange wach und uberlegte, was er als nachstes unternehmen konnte.

Von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, schlug er am fruhen Morgen die Augen auf, ohne da? es zu irgendwelchen Zwischenfallen gekommen ware. Einmal war ihm, als hatte ihn der Schein einer Taschenlampe gestreift, aber er wu?te nicht, ob er das nur getraumt hatte. Langsam erwachte einer nach dem anderen zum Leben, und eine Stunde spater kamen auch die anderen Mitarbeiter der Station den Kiesweg herunter. Sie brachten ihnen Thermoskannen mit hei?em Kaffee und belegte Brotchen.

Als sie ihren Kaffee tranken und die Brotchen verzehrten, kam Max den Kiesweg herunter. Er wirkte murrisch, hatte tiefe Ringe unter den Augen. Er sei gestern vollig von der Rolle gewesen, was sie ihm angesichts seines Aussehens auch ohne weiteres abnahmen, aber nachdem ihn Rudi gestern abend angerufen und berichtet hatte, was passiert sei, habe er sich aus dem Bett gequalt und sei hergekommen. Axt freute sich, da? sie noch einen Mann mehr hatten, der mitanpacken konnte. Trotz der unbequemen kalten Nacht fuhlte er sich seltsam erfrischt und voller Tatendrang.

Sie entschlossen sich schweren Herzens, die gro?e Schieferplatte mit dem Krokodilskelett in der Mitte durchzuschneiden. Die Gefahr, da? der sperrige Block beim Transport unkontrolliert in viele einzelne Bruchstucke zerfiel, war einfach zu gro?. Mit uber zwei Metern Lange waren die beiden Teile noch immer gro? genug, um ihnen viel Muhe zu bereiten. Und es war kein Problem, die mit einem sauberen, geraden Schnitt getrennten Teile spater nach der Praparation wieder zusammenzusetzen. Es passierte bei ihrer normalen Arbeit immer wieder, da? Fossilien auseinanderbrachen. Der Schiefer war ohnehin an vielen Stellen auseinandergerissen. An diesen Stellen setzten sie dann mit ihren Brechstangen, Aluminiumkeilen und Vorschlaghammern an, um die senkrechten Klufte zu vergro?ern. Dabei kam es oft vor, da? sie auf Fossilienbruchstucke stie?en. Sie mu?ten dann an der Bruchkante nach dem Rest des Fundes suchen. Spater, nach der Praparation, wurden die Teile wieder zusammengesetzt. Auch den Krokodilhalswirbel, den die Geologen in ihrem Bohrkern gefunden hatten, wurden sie am Ende wieder in die ursprungliche Position einfugen wie das letzte Teil eines gro?en dreidimensionalen Puzzlespiels.

Es dauerte den ganzen Tag, bis sie die beiden Schieferplatten nach oben in die Station transportiert hatten. Mit ein paar Flaschen Sekt, den Axt schnell in einer nahegelegenen Tankstelle besorgt hatte, feierten sie die erfolgreiche Bergung. Alle waren mude und stolz, und die Stimmung war ausgelassen. Sie hatten es geschafft. Sie hatten eines der gro?ten Fundstucke, die jemals in Messel gefunden wurden, fur die Allgemeinheit und die Wissenschaft gerettet und waren diesen Plunderern zuvorgekommen.

Einer nach dem anderen verabschiedete sich. Schlie?lich blieb Axt allein in der Station zuruck, er und Max, der sich den ganzen Tag uber sehr schweigsam gezeigt hatte. Wahrend ihrer kleinen Feier hatte er sich irgendwo im Hintergrund gehalten, und Axt war uberrascht, da? er uberhaupt noch in der Station war. Nun kam Max auf ihn zu und fragte: »Konnt ich Sie mal ‘n Moment sprechen?« Er sah wirklich krank aus.

Max

Auch wenn Max im Grunde kerngesund war, er fuhlte sich ziemlich mies. Ware es nur irgendwie moglich gewesen, er hatte die Zeit bis zu diesem gottverdammten Abend in Manfreds Kneipe zuruckgedreht und diesem Freddy, anstatt sich von ihm um den Finger wickeln zu lassen, in die Eier getreten, da? ihm Horen und Sehen verging. Aber was hatte er statt dessen getan? Sich auf dieses Schei?spiel eingelassen und nur noch Geldscheine gesehen vor seinem inneren Auge. Ein kleiner, schabiger Krimineller war aus ihm geworden, ein schmieriger Gauner, der seine eigene Visage kaum noch ertragen konnte.

Es waren drei Mann gewesen, Freddy und noch zwei Burschen, die aussahen, als ware nicht gut Kirschen essen mit ihnen. Sie kamen mit einem gro?en Transporter ohne Licht wie ein Geisterschiff den Fahrweg hinunter und hielten knirschend vor dem Tor, wo Max auf sie wartete. Er schlo? auf, stieg zu ihnen in das von Zigarettenrauch vollig verqualmte Wageninnere, und zusammen rollten sie mit ausgeschaltetem Motor hinunter zu den Ausgrabungsstellen.

Max stand unschlussig in der Gegend herum, als die drei mit Spitzhacken und Vorschlaghammern auf den Schiefer eindroschen. Er hatte ihnen tatsachlich die Stelle gezeigt, die sie suchten, aber kurzzeitig auch daran gedacht, ob er sie nicht einfach zu irgendeinem der anderen Bohrlocher fuhren sollte. So wie er die Kerle einschatzte, hatten sie so wenig Ahnung von Fossilien wie eine Ameise von altagyptischen Hieroglyphen, oder wie die Dinger hie?en. Sie hatten den Irrtum sicher erst bemerkt, wenn es zu spat war. Aber dann hatte er es doch mit der Angst bekommen. Was wurden sie mit ihm machen?

Als sie dann mit ihren brachialen Methoden ohne Rucksicht auf Verluste den Schiefer abraumten, stand er Hollenqualen aus und mu?te ununterbrochen an die vielen kleinen Fossilien denken, die da jetzt achtlos zerschlagen und zertreten wurden. Plotzlich hatte er die Leute aus der Senckenb erg-Station vor Augen, wie liebevoll und sorgfaltig sie selbst mit den kleinsten Fundstucken umgingen.

Mit einem Mal erschien es ihm, als ob seine Arbeit, auch wenn er sie oft verfluchte, doch Teil eines irgendwie gro?artigen Ganzen war, ein winziges, kaum wahrnehmbares Radchen in einem riesigen, unuberschaubaren Getriebe, von dessen Bedeutung, dessen eigentumlicher Schonheit und Faszination diese armseligen Wichser nicht die geringste Ahnung hatten. Banausen waren das, stumpfsinnige, geldgeile, brutale Arschlocher. Ihr wahlloses Drauflosgehacke war plotzlich so unertraglich fur ihn, da? er sich abwenden und hinuber zur Mullkippe schauen mu?te, wo einige kahle Gluhbirnen gegen die Finsternis ankampften.

Aber es war eiskalt in dieser Nacht, der Schiefer von feinem Rauhreif uberzogen, und die Kerle kamen nur langsam voran.

Es war wie ein Wunder. Der Fruhling hatte ja schon fast begonnen, uberall sah man frische Triebe, und in einigen Garten bluhten schon die ersten Obstbaume. Und nun diese Kalte. Der Schiefer war gefroren, das horte er an dem charakteristischen knirschenden Gerausch, mit dem die Platten auseinanderbrachen, und in dem Ma?e, wie deutlich wurde, da? sie es nicht schaffen wurden, stieg seine Stimmung. Zweieinhalb Meter Schiefer auf einer Flache von mehreren Quadratmetern abzuraumen war kein Pappenstiel, schon gar nicht bei diesen Temperaturen und mit dieser Ausrustung. Wer hatte das besser beurteilen konnen als er?

Als sich der Zeiger seiner Uhr auf drei, dann auf vier Uhr morgens zubewegte, wurden die drei sichtlich nervos, und schlie?lich kam Freddy zu ihm heruber und forderte ihn auf mitzuarbeiten.

»Nee, mach ich nich. Das war nicht abgemacht«, sagte Max kategorisch und spurte ein Gefuhl des Triumphes, als er im schwachen Lichtschein von Freddys glimmender Zigarette die wachsende Wut in dessen Augen sah. Zuerst hatte es den Anschein, als ob Freddy sich gleich auf ihn sturzen wurde, und er kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an, weil er glaubte, gleich wurde eine Faust in seinem Gesicht explodieren oder ein Pistolenschu? die nachtliche Stille zerrei?en und er im nachsten Moment mit glasigen Augen im uberfrorenen Schiefer liegen, eine klaffende Wund im Kopf, aus der sein warmes Blut lief und leise knisternd in den feinen Spalten und Rissen des uralten Gesteins versickerte. Aber kurze Zeit spater horte er, wie Freddys Schritte sich wieder entfernten, und er lie? die Luft aus seiner Lunge entweichen, bis nichts mehr da war, was entweichen konnte. Dann atmete er tief durch. Er wu?te, da? es zu spat war.

Um funf gaben sie endlich auf. Fluchtartig packten sie ihre Geratschaften zusammen und stiefelten mit wutenden Gesichtern zum Wagen zuruck. Einer von Freddys Begleitern lie? den Motor an, und ohne ein Wort fuhren sie hinauf zum Tor, wo Max ausstieg. Als er Freddy nach dem Geld fragte, warf dieser ihm einen giftigen drohenden Blick zu und zischte: »Ohne Skelett keine Kohle, das ist doch wohl logisch, oder? Mach, da? du nach Hause kommst, und halt ja die Klappe, sonst gibt’s Arger, kapiert?«

Er schlug Max die Wagentur vor der Nase zu. Der Transporter setzte sich in Bewegung und lie? Max allein am Tor zuruck. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Mit einem Lacheln auf den Lippen machte er sich auf den Heimweg.

Zu Hause begann dann der Katzenjammer. Den nachsten Tag brachte er mehr oder weniger im Bett zu und

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