Opfer verschluckte. Er selbst hatte einen Raubfisch gefunden, der an einem viel zu gro?en Beutetier jammerlich krepiert war. Fur die quasi im Maul verklemmte Beute hatte es kein Vor und Zuruck mehr gegeben, und der Rauber war entweder verhungert oder erstickt.
Mit knackenden Knien richtete Axt sich wieder auf und sagte: »Wir mussen die Platte heraustrennen und vorsichtig nach oben schaffen.«
»Klar, Chef.«
»Aber pa?t auf, da? nichts kaputt geht.«
»Logisch«, sagte Max und verdrehte die Augen.
Axt schickte Rudi in die Station, um schwereres Werkzeug und Unterstutzung zu holen. Der anfallende Abraum mu?te ebenfalls sorgfaltig untersucht werden. Um ja nichts zu zerstoren, trennten sie in stundenlanger Arbeit mit Spaten, Stemmeisen und Motorsage einen gro?en Quader heraus, etwa siebzig Zentimeter breit, zwanzig Zentimeter dick und gut zwei Meter lang. Der schwarze Gesteinsblock ruhte auf einem Schiefersockel. Mit klopfendem Herzen stand Axt schlie?lich am spaten Nachmittag vor dem Ergebnis ihrer Arbeit, das aussah wie ein archaisches Monument. Es war atemberaubend.
Ihr gro?tes Problem bestand darin, die schwere Schieferplatte mit dem unschatzbar wertvollen Inhalt unversehrt nach oben in die Station zu transportieren. Fur derartige Dimensionen waren sie nicht ausgerustet. Die meisten ihrer Funde lie?en sich bequem in Plastiktuten nach oben tragen. Sie mu?ten sich etwas einfallen lassen. Ohne einen Kran oder etwas Entsprechendes kamen sie nicht weiter. Au?erdem war es spat geworden. Schweren Herzens brach Axt die Bergung ab und schickte seine Mitarbeiter nach Hause.
Ratlos umkreisten sie am nachsten Tag den aufgebahrten Quader wie eine Horde tanzender Wilder, die um Regen bitten.
Plotzlich hatte Max eine Idee. Er erinnerte sich an ein Turblatt, das schon ewig im Keller der Station stand. Wenn sie es unter den Quader schieben konnten, bestande keine Gefahr, da? der Fund beim Transport auseinanderbrach. Aber wie?
Sabine Schafer, die Fledermausexpertin, schlug schlie?lich vor, bei den Leuten von der Mullkippe nachzufragen, ob sie nicht einen kleinen Kran hatten, den sie fur die Bergung zur Verfugung stellen konnten.
Axt verzog widerwillig das Gesicht. Er konnte diese Typen nicht ausstehen. Menschen, die die Grube Messel mit Mull vollkippen wollten, zeigten in seinen Augen ein derart erschreckendes Ausma? an Ignoranz, da? es ihm regelrecht die Sprache verschlug. Man stelle sich vor, die agyptische Regierung kame auf die Idee, das Grab der Konige zu einer Deponie fur Sondermull auszubauen oder in der Cheopspyramide einen Atombunker einzurichten. Er sah sich jedenfalls au?erstande, diese Leute um irgend etwas zu bitten.
Sabine erklarte sich bereit, selbst hinuberzugehen und zu fragen. Vielleicht konnte sie mit weiblichem Charme etwas ausrichten. Als sie eine Stunde spater zuruckkam, hatte sie uberall rote Flecken im Gesicht, und ihre Nase schien noch spitzer geworden zu sein.
»Na?« fragte Axt. »Wie ist es gelaufen?«
»Beschissen«, fauchte sie. Ihre Augen funkelten wie zwei Warnlampen. »Aber wir kriegen unseren Kran.«
»Oh, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«
»Es war auch ein hartes Stuck Arbeit«, sagte sie und warf einen giftigen Blick zu den Gebauden der Mulldeponie hinuber. »Ich glaube, die hatten es am liebsten gesehen, wenn ich ihre Stiefel geleckt hatte und vor ihnen auf Knien auf dem Boden herumgerutscht ware. Widerliche Typen. Schei?freundlich, aber dieses arrogante Grinsen war einfach unertraglich.« Sie schuttelte sich.
Axt schaute sie mitfuhlend an. »Mach dir nichts draus! Du hast doch erreicht, was du wolltest.«
»Ja, aber erst am Freitag. Sie sagen, da? sie den Kran die ganze Woche uber selbst brauchen. Dabei steht das Ding dahinten nur rum.«
»Hm, vielleicht ist er kaputt.«
»Quatsch! Die wollen uns nur zappeln lassen.«
Nach kurzer Diskussion entschieden sie, den Schieferquader mit einem primitiven Zelt aus Plastikplanen vor Witterungseinflussen zu schutzen. In dem Zelt konnten sie das Fossil schon fur den Transport vorbereiten. Um den Schieferblock wurde ein Holzrahmen gebaut und dieser anschlie?end mit Polyurethan ausgeschaumt.
Am Freitag morgen warteten sie zunachst vergeblich auf den versprochenen Kran. Sie bauten das Zelt wieder ab, und Max war nach oben gelaufen, um das Turblatt aus dem Keller zu holen. Es lehnte jetzt gegen den wieder freigelegten Schieferblock, und die ganze Gruppe stand eine Weile wie Falschgeld herum und starrte unschlussig zur Deponie hinuber.
Axt kochte vor Wut. Genau das hatte er befurchtet. Es war unfa?bar, welchen Demutigungen sie ausgesetzt waren. Nicht genug, da? es ihnen an allen Ecken und Enden an Geld fehlte und sie mitunter gezwungen waren, wegen lacherlicher Etatposten einen entwurdigenden Eiertanz aufzufuhren, jetzt waren sie auch noch auf die Hilfe der Leute angewiesen, die eine der beruhmtesten Fossilienlagerstatten der Welt unter Tonnen von Joghurtbechern und Bananenschalen verschwinden lassen wollten. Da trostete es ihn wenig, da? es auch anderen Fundstatten nicht viel besser ergangen war. Die franzosischen Kollegen aus Montceau-les-Mines konkurrierten zum Beispiel jahrelang mit einem Tagebauunternehmen. Unter der Woche schabten die Bagger meterdicke Kohleschichten von den Hangen, und an den Wochenenden schwarmten dann die Palaontologen aus, um noch zu retten, was zu retten war. Als sich der Kohleabbau nicht mehr lohnte, wurde die ganze Grube einfach zugeschuttet, ein mehr als klarer Hinweis, wieviel den Menschen die Erforschung der Vergangenheit wert war. Den Schweizern vom Monte San Giorgio oberhalb des Luganer Sees erging es noch schlimmer. Der dortige Tonschiefer wurde kurzerhand zermahlen und als Rheumaheilmittel verkauft. Weil sich in dem Schiefer so viele Dinosaurierknochen fanden, wurde das Praparat
Irgendwann stohnte Sabine auf und sagte: »Ich geh noch mal ruber.« Man sah, da? es ihr schwerfiel, aber sie hatte Erfolg. Eine halbe Stunde spater war der Kran endlich an Ort und Stelle. Man hatte sie schlicht vergessen.
Im Fuhrerhaus sa? ein murrischer, zigarettenrauchender Kerl, der sich Muhe gab, so uninteressiert und gelangweilt wie nur moglich zu wirken. Er drangelte ununterbrochen, schaute alle funf Minuten auf die Uhr und quittierte ihr ubervorsichtiges Treiben mit spottischem Grinsen oder genervtem Stohnen. Sie versuchten nicht darauf zu achten.
Es gelang ihnen, den Quader mit Hilfe des Krans leicht anzuheben. Dann schoben sie vorsichtig, Zentimeter fur Zentimeter, die Holzplatte unter den Gesteinsblock.
Das Turblatt samt Schieferplatte schwebte hoch in der Luft. Es schaukelte bedenklich. Axt konnte nicht hinsehen, so aufgeregt war er. Wenn sie nun herunterfiel oder irgendwie aus dem Gleichgewicht kam und von der glatten Holzplatte rutschte. War dieser kleine Kran fur solche Gewichte uberhaupt ausgelegt? Er sah sich schon am Boden herumkriechen und die Bruchstucke einsammeln.
Aber alles lief reibungslos, und wenige Minuten spater befand sich die schwere Last auf dem knarrenden Anhanger des Stationstreckers. Gut eingepackt in feuchtes Zeitungspapier und von je einem Mann an den Ecken bewacht, machte sich der Schieferblock hinter dem von Max gesteuerten Trecker auf den gefahrvollen, weil unebenen Weg in die Station. Dort wurde unterdessen in fieberhafter Eile Platz geschaffen. Kurz nach funf Uhr am Nachmittag wuchtete der Kran den Schieferquader vor der Station auf einen Rolltisch, der unter der ungewohnten Last bedenklich achzte und anschlie?end durch die gro?e Flugeltur in den ebenerdig gelegenen Praparationsraum geschafft wurde.
Es herrschte eine fuhlbare knisternde Spannung im Haus. Die Luft war wie elektrisiert. Keiner wollte sich auf den Heimweg machen, bevor nicht klar war, was sie da gefunden hatten. Ernuchterung trat ein, als sie den Tisch in den Rontgenraum fahren wollten, denn er pa?te weder durch die Tur noch unter das Rontgengerat, das nur fur Objekte von maximal zwei Metern Lange ausgelegt war. In der ganzen Aufregung hatte niemand daran gedacht. Axt uberlegte einen Moment, dann erklarte er die Aktion erst einmal fur beendet und verschob alles weitere auf Montag. Aufgeregt diskutierend verabschiedeten sich alle vor der Eingangstur der Station. So etwas erlebte man auch in der Grube Messel nicht alle Tage.
Michas uberraschendes Zusammentreffen mit Tobias hatte ihn in eine seltsame Stimmung versetzt. Plotzlich drangten langst vergessen geglaubte Erinnerungen an die Oberflache, tauchten Gesichter und Namen auf.