verpackten Schieferplatten und verspurte eine tiefe Befriedigung, landlich mal wieder ein greifbarer Erfolg. Er uberlegte, ob er Schmaler anrufen und ihm von der erfolgreichen Bergung des Riesenkrokodils berichten sollte. Aber dann entschied er sich dagegen. Schmaler schien das alles ja nicht mehr zu interessieren. Er wurde es auch so noch fruh genug erfahren.
Ohne so recht zu wissen wie, stand er dann plotzlich vor der Kellertur. Er fuhlte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. Dort unten ruhte das andere, das menschliche Skelett. Wie in einer Familiengruft, dachte er. Er schlo? die Tur auf, knipste das Licht an und ging hinunter. Da lag es inmitten der anderen Fossilien, genauso verpackt und gesichert wie die beiden Schieferplatten, die sie heute geborgen hatten. Eigentlich deutete nichts daraufhin, da? dieser Fund etwas ganz Besonderes war, etwas, das ihn in die bisher schwerste Krise seines Lebens gesturzt hatte.
Da der Schieferblock so ungewohnlich gro? war, hatten sie ihn nicht wie die anderen in die deckenhohen Regale gelegt -wie hatten sie ihn auch da hinuberwuchten sollen -, sondern auf einem Rolltisch in der Mitte des Raumes stehenlassen. Deswegen war es ihm ja uberhaupt nur moglich gewesen, den Tisch nach drau?en zu rollen, ihn mit dem Lastenfahrstuhl nach oben zu transportieren und unter das Rontgengerat zu schieben, wenn er es sich noch einmal anschauen wollte.
Wieviel Zeit hatte er wohl in den einsamen Abendstunden der letzten Monate vor dem Schirm verbracht und uber diese Ansammlung von Knochen meditiert, die sich auch nach stundenlangem Anstarren zu nichts anderem als einem
Spontan beschlo? er, es trotz seiner Mudigkeit noch einmal zu versuchen. Zehn Minuten spater leuchtete der Rontgenschirm auf, und Axt setzte sich in den knarrenden Stuhl, in der Hand ein Glas Sekt, das er sich aus den Resten in den uberall im Praparationsraum herumstehenden Flaschen zusammengekippt hatte. Naturlich sah es unverandert aus, und doch hatte er das Gefuhl, als konne er es nach den Uberlegungen der letzten Nacht mit anderen Augen betrachten. Seine Gedanken hatten eine neue Scharfe gewonnen, wagten sich in Gebiete vor, die ihnen bisher verschlossen waren.
Er betrachtete die gezackten Rander der Schadelknochen, die Suturen, die durch den ungeheuren Druck, der auf ihnen gelastet hatte, auseinanderklafften. Er mu?te plotzlich an diesen Amerikaner denken, einen Computerspezialisten, der mit Hilfe seines sicherlich imposanten Maschinenparks aus nackten Schadelknochen Gesichter und Kopfe rekonstruieren konnte. Anthropologen aus der ganzen Welt schickten ihm ihre Fruhmenschenschadel, damit er sie in seinem Computer wieder mit Haut, Muskeln und Haaren versehen konnte. Viele der Abbildungen in den einschlagigen Veroffentlichungen stammten von diesem Mann. Wie hie? er doch gleich? Er soll sogar dabei geholfen haben, einige uralte Mordfalle aufzuklaren, bei denen die Polizei lange im dunkeln getappt hatte. Seine Darstellungen waren bei den Museumsbesuchern und der sonstigen Offentlichkeit sehr beliebt. Die Menschen wollten wissen, wie ihre Vorganger denn nun genau ausgesehen hatten. Da reichten die blanken Schadelknochen nicht aus. Sie schienen die Phantasie der Menschen eher zu blockieren als anzuregen.
Dieses Skelett da auf dem Schirm war ja nicht einfach nur ein
Wenn dies - nur mal angenommen, er war keineswegs bereit, das so einfach als Tatsache hinzunehmen -, aber wenn dies wirklich eine Art Zeitreisender war, ein unglucklicher zweifellos, und wenn er dessen Schadel diesem amerikanischen Spezialisten zukommen lie?, dann mu?te es doch moglich sein herauszubekommen, wen er da vor sich hatte, rein theoretisch, versteht sich, denn er konnte mit den Bildern des Amerikaners ja wohl kaum zur Polizei gehen oder uberall in der Welt herumfragen, wer das sein konnte und ob ihn oder sie jemand vermi?te.
Axt hatte es ja eigentlich nicht fur moglich gehalten, aber wie der grellen Schlagzeile einer Tageszeitung neulich zu entnehmen war, verschwanden offensichtlich andauernd Menschen, Tausende allein in Deutschland. Vom sprichwortlichen Ehemann, der nur mal Zigaretten holen geht und nie zuruckkehrt, uber Jugendliche, die sich zu irgendwelchen obskuren Sekten absetzten, von ungeklarten und unerkannten Mordfallen, Aussteigern, die sich einen schonen Lenz in der Sudsee machten, bis hin, ja, moglicherweise bis hin zu Leuten, die sich irgendwo herumtrieben, wo sie absolut nichts zu suchen hatten: in vergangenen Erdzeitaltern.
Leider lie? sich diese brillante Idee schlecht in die Tat umsetzen, denn das brachte ihn doch in einen erheblichen Erklarungsnotstand. Menschliche Skelette lagen nicht einfach in der Gegend herum, und wenn man wider Erwarten doch einmal uber eines stolpern sollte, konnte man damit noch lange nicht machen, was man wollte. Angefangen bei dem Computerspezialisten bis hin zur Polizei wurden die Leute ihn fragen, wo er den Schadel, dessen Aussehen er rekonstruieren lassen wollte, denn herhatte, und damit ware genau das passiert, was er unter allen Umstanden vermeiden wollte. Nein, so phantastisch sich die Idee auch anhorte, sie war leider undurchfuhrbar.
Er seufzte, trank einen Schluck Sekt und lie? seine Augen zum wiederholten Male uber die Gesichtsknochen des unbekannten Toten streifen. Wie mag er oder sie wohl ausgesehen haben?
Plotzlich entdeckte er etwas, das ihm bisher noch nie aufgefallen war, ein winziges Detail, kaum zu erkennen, vielleicht nur eine Verunreinigung oder ein Fleck auf dem Schirm. Er stand auf und trat naher heran, um es besser erkennen zu konnen.
Tatsachlich, da war etwas, nur ein, zwei Millimeter gro?, und es schien irgendwie regelma?ige Umrisse zu haben. Er hauchte den Schirm an und fuhr ein paarmal mit der Fingerkuppe uber seine kuhle glatte Oberflache. Keine Veranderung. Dieses Ding befand sich eindeutig im Schieferblock.
Er machte eine Aufnahme und begab sich mit Fotoplatte und Sektglas in die Dunkelkammer. Zehn Minuten spater materialisierte sich im Entwicklerbad der stark vergro?erte Schadel des Skeletts, und Axt fiel fast das Glas aus der Hand, als er den Fleck auf dem rechten Schneidezahn mit Hilfe einer Lupe genauer betrachtete. Er hatte eine regelma?ige achteckige Struktur, wie ein Kristall, wie ein geschliffener Stein, wie ...
Axt schnappte nach Luft und spurte, wie sein Herzschlag einen Moment lang aussetzte, dann nur stotternd wieder ansprang. Er mu?te sich setzen, die Mudigkeit, der Alkohol setzte ihm zu. Ein Schwall von Erinnerungen stromte auf ihn ein. Er sah ein kantiges Gesicht vor sich, eingefallene Wangen, ein Grinsen und schlechte, schief stehende Vorderzahne, ein blitzendes Etwas im rechten Schneidezahn. Ihm wurde schwindlig. Er mu?te sich fast ubergeben, so uberwaltigend war die Erkenntnis. Sie sprengte ihm fast den Schadel.
Er
Niles Eldredge,
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