Ich bin da wirklich uberfragt.« Rothmann klang jetzt etwas ungehalten. »Vielleicht sollten Sie es mal bei ihm zu Hause versuchen. Soviel ich wei?, lebt er in einer Wohngemeinschaft irgendwo in Charlottenburg. Falls Sie mit ihm sprechen, erinnern Sie ihn doch bitte daran, da? er sich mal bei uns melden soll. Mit der Telefonnummer kann ich allerdings nicht dienen.«

»Macht nichts! Ich danke Ihnen vielmals«, sagte Axt.

Kaum hatte er aufgelegt, wahlte er schon die Nummer der Auskunft. Michael Hofmeister war zwar nicht gerade ein besonders ausgefallener Name, aber vielleicht hatte er ja Gluck.

Besuch

Kaum hatte der Mann das Ende des Pfades erreicht, der eng an den Felsen geschmiegt bis hinauf zu seiner Hohle fuhrte, hockte er sich auf einen flachen Stein und stellte den leeren Eimer neben sich auf dem Boden ab. Wie oft er hier schon rauf- und runtergegangen war. Er hatte den Pfad selbst angelegt und im Laufe der Jahre Schritt fur Schritt ausgetreten. Er zog seine Pfeife aus der Tasche und begann sie zu stopfen. Er mu?te dringend einmal ein paar Minuten in Ruhe daruber nachdenken, was er hier eigentlich tat. Oben in seiner Behausung lungerten jetzt diese drei jungen Leute und der Dackel herum, und eine mitunter recht laute Stimme in seinem Kopf fragte ihn, ob er denn eigentlich noch ganz bei Trost sei.

Was, wenn sie jetzt alles auf den Kopf stellten, wahrend er weg war, sich mit seinen Vorraten oder anderen fur ihn lebenswichtigen Utensilien aus dem Staube machten?

Er gonnte sich zur Beruhigung einen Schluck von seinem Krauter- und Beerenschnaps, den er in muhevoller Arbeit selbst herstellte. Er hielt die braune Flasche gegen das Licht. Fast leer! Und alles nur, um den Kerl mit dem Armbruch betrunken zu machen und die Wunde zu desinfizieren. Welche Verschwendung! Er wurde wieder tagelang Krauter sammeln mussen, wenn er nicht bald ganz auf dem trockenen sitzen wollte. Er verzichtete hier wirklich auf allerhand, aber ein gutes Schnapschen hin und wieder, das mu?te einfach sein. Er fluchte mi?mutig in sich hinein.

Aber was hatte er tun sollen, sie einfach verrecken lassen? Nachdem er sie einmal gesehen hatte, war es dafur zu spat. Er konnte sie nicht einfach ihrem Schicksal uberlassen. Und der gebrochene Arm sah ziemlich schlimm aus. Jede orthopadische Spezialklinik hatte mit einem solchen Bruch ihre liebe Muhe gehabt. Oder hatte sich die Medizin in den vielen Jahren seiner Abwesenheit vielleicht schon so weit entwickelt, da? selbst eine Verletzung wie diese zur Bagatelle geworden war? Manchmal reizte es ihn, mehr uber das zu erfahren, was druben vor sich ging, auf der anderen Seite, wie er es nannte, im Holozan.

Er lehnte sich an den Felsen, paffte ein paar dicke Rauchwolken in die Luft und lie? seinen Blick uber die urzeitliche Savanne schweifen, die er so liebte. Nein, nein! Er hatte nicht vor, seine Position hier zu raumen oder gar mit anderen zu teilen. Niemals! Schon gar nicht mit solchen Grunschnabeln.

Aber er hatte nicht langer mitansehen konnen, wie der Junge sich qualte. Seit Tagen schon hatte er sie beobachtet, lange, bevor es zu dem Unfall gekommen war. Wie jeden Abend nach dem Essen hatte er in der Dammerung vor seiner Hohle gesessen und plotzlich ein Feuer gesehen, weit weg, aber doch deutlich zu erkennen. Es brannte wahrscheinlich in der Nahe des Flusses, ein winziger flackernder Lichtpunkt in der endlosen Ebene, ein seltsamer und ungewohnter Anblick, der in zutiefst verwirrte. So etwas hatte es in all den Jahren, die er hier lebte, noch nicht gegeben.

Anfangs glaubte er naturlich, das musse dieser Unbekannte sein, dem er schon seit langerem auf der Spur war, der Fallensteller, den er im Verdacht hatte, auch fur den Erdrutsch verantwortlich zu sein. Dieser Jemand da unten kam jedenfalls den Flu? entlang, den Flu?, der uber die Berge in die Wuste und letztlich auch zur Hohle fuhrte, denselben Weg, der auch ihn einmal hierhergefuhrt hatte. Wer sollte es sonst sein? Alle die Jahre hatte es hier nur einen Menschen gegeben, ihn.

So reagierte ein Teil von ihm mit Ha? und Widerwillen auf den vermeintlichen Eindringling, und wenn das Feuer nicht so weit entfernt gewesen ware, hatte er womoglich alles stehen und liegengelassen und ware augenblicklich dorthin gesturzt, um den Kerl wieder dorthin zuruckzujagen, wo er hergekommen war.

Aber da war auch ein anderes Gefuhl, ein starkes, machtiges Gefuhl, das seine Knie schwach werden und ihn, ohne da? er es wollte, fast sehnsuchtsvoll in Richtung Flu?ufer blicken lie?.

Ein Lagerfeuer. Dort waren Menschen!

Am nachsten Morgen, nach einer Nacht, in der er vor Aufregung kaum ein Auge zugetan hatte, war er in aller Fruhe aufgebrochen. Er mu?te herausfinden, wer dort in der eozanen Savanne ein Lagerfeuer angezundet hatte. In der nachsten Nacht sah er das Feuer wieder. Die Entfernung war deutlich zusammengeschrumpft. Er lief dem anderen entgegen - waren es uberhaupt einer oder viele?

Aber es dauerte noch drei Tage, bis er sie endlich entdeckt hatte, und mit jeder Nacht, die er das Feuer wieder flackern sah, schwand seine Zuversicht, da? es sich tatsachlich um den Fallensteller handelte. Bisher war er so vorsichtig gewesen, nahezu unsichtbar. Wer wei?, wie lange sich ihre Wege hier schon gekreuzt hatten. Wu?te der andere von ihm? Warum sollte er sich plotzlich so auffallig verhalten?

Sie wanderten sorglos am Flu?ufer entlang, drei junge Leute und - zunachst glaubte er seinen Augen nicht zu trauen - ein Dackel. Er folgte ihnen, hielt sich aber stets in sicherer Entfernung. Am gefahrlichsten war der Hund. Mehr als einmal dachte er schon, das kleine Biest hatte ihn entdeckt. Aber glucklicherweise hatte die tertiare Savanne genug andere Ablenkungen zu bieten. Sie merkten nichts von seiner Anwesenheit. Dann geschah der Unfall.

Er war schon vorher zu dem Ergebnis gelangt, da? dies unmoglich die Leute sein konnten, nach denen er gesucht hatte. Wie auch immer sie hierhergefunden haben mochten, nichts, aber auch gar nichts deutete daraufhin, da? sie etwas mit den Fallen und den anderen Dingen zu tun haben konnten. Das waren ganz normale Studenten oder so etwas. Wei? der Teufel, was die hier zu suchen hatten.

Es war schon ein merkwurdiger Zufall, jahrelang hatte er hier in volliger Abgeschiedenheit gelebt, nicht die geringste Spur menschlicher Gegenwart, nur er, die Tiere, die Natur, und dann, plotzlich, ging es zu wie in einem Taubenschlag. Was war hier los? Hatte Sonnenberg etwas damit zu tun? Womoglich war das nur eine erste Vorhut, und in wenigen Tagen naherte sich eine breite Phalanx aus hupenden Gelandewagen, scheppernden Hubschraubern und drohnenden Flugzeugen, um das Gelande zu sondieren.

Ein schmerzhaftes Gefuhl hatte von ihm Besitz ergriffen, und es drohte ihn nicht mehr in Ruhe zu lassen, ein Gefuhl des Verlustes. Es schnurte ihm die Kehle zu. Er wurde den Gedanken nicht los, da? etwas Wichtiges geschehen war, irgend etwas, das die Situation entscheidend verandert hatte und das ihn sehr direkt betraf. Er mu?te herausfinden, was die drei hier zu suchen hatten. Deshalb hatte er ihnen geholfen. Er hatte nichts anderes tun konnen.

Er klopfte die Pfeife aus, griff nach dem Blecheimer und lief hinaus in die Savanne.

Klartext

»Mit einem oder zwei f?« hatte die Frau in der Auskunft gefragt.

Naturlich gab es in dieser Riesenstadt nicht nur einen, sondern gleich funf Michael Hofmeister, dazu noch einen mit zwei f und zwei M. Hofmeister, die Mathias oder Martina oder eben auch Michael hei?en konnten. Wie hatte er nur so naiv sein konnen. Typisch Kleinstadter. Er lie? sich alle Nummern geben und machte sich an die Arbeit.

Der halbe Tag verging mit vergeblichen Versuchen. Einige der Hofmeisters waren nicht zu erreichen, andere kamen nicht in Frage. Bald reduzierte sich seine Liste auf zwei Hofmeisters, die nicht zu Hause waren. Immer wieder versuchte er sein Gluck. Irgendwann gegen Mittag ri? ihm der Geduldsfaden, und er rief noch einmal im Zoologischen Institut der Freien Universitat an. Er hatte in dieser Sache wirklich genug Geduld bewiesen. Jetzt war Schlu? damit. Er war fest entschlossen, nicht locker zu lassen. Deshalb reagierte er auch relativ gelassen auf Rothmanns wenig begeisterte Begru?ung.

»Sie schon wieder?«

»Ja, tut mir leid, da? ich Ihnen noch einmal auf den Wecker fallen mu?, aber ich sagte ja, es ist sehr wichtig fur mich.« Er erzahlte Rothmann von seinem Mi?erfolg. »Ich dachte, wenn nicht Sie, dann wei? vielleicht irgend jemand anders bei Ihnen .«

»Warten Sie«, unterbrach ihn Rothmann, »da kommt gerade eine Doktorandin von mir herein. Vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen. Moment!«

Axt horte, wie Rothmann nach einer Karin rief. Kurz darauf hatte er sie am Apparat und horte gleichzeitig, wie Rothmann sich im Hintergrund uber ihn beschwerte.

Er stellte sich vor und fragte noch einmal nach der Reise.

»Er ist Anfang Februar losgefahren, kurz vor Semesterschlu?«, sagte Karin.

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