»Also vor gut sechs Wochen.«

»Ja, wenn Sie das sagen. Nachgerechnet habe ich noch nicht.«

»Ah, ja.« Ganz schon schnippisch, dachte Axt, aber er lie? sich nicht beeindrucken. »Und . ah, sagen Sie, kennen Sie vielleicht auch einen jungen Mann, sehr dunn, kantiges Gesicht, mit irgendeinem Kristall, vielleicht einem Diamanten im rechten Schneidezahn?«

Es war ihm ganz plotzlich eingefallen. Er hatte diese mysteriose Gestalt in seinem Vortrag gesehen. Sie hatte unmittelbar hinter Hofmeister gestanden, wenn er sich recht erinnerte. Vielleicht bestand da eine Verbindung. Er versuchte es einfach und hatte Gluck.

»Ach, ein Diamant soll das sein«, antwortete Karin. »Ich hab mich schon immer gefragt, was er da fur ein scheu?liches Ding an seinem Zahn hat.«

»Sie kennen ihn also?«

»Tobias? Naturlich kenn ich den. Schrecklicher Typ. Micha war immer ganz genervt, wenn der hier aufkreuzte. Deswegen habe ich mich ja so gewundert, als er ausgerechnet mit diesem Kerl wegfahren wollte.«

Axt sa? plotzlich kerzengerade. »Wie bitte? Die beiden sind zusammen weg?«

»Sag ich doch! Erst verdreht er jedesmal die Augen, wenn er ihn sieht, und dann fahrt er zusammen mit ihm in Urlaub. Ist doch irgendwie merkwurdig, oder?«

»Allerdings! Tobias hie? der, sagten Sie?«

»Ja.«

»Den Nachnahmen wissen sie nicht zufallig?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Schade! Aber Sie haben mir trotzdem sehr geholfen. Vielen Dank, ich danke Ihnen wirklich vielmals. Schonen Gru? noch an Herrn Rothmann!«

Axt legte auf und rieb sich nervos die Stirn.

Das Puzzle setzte sich langsam zusammen. Die beiden kannten sich. Und er hatte ihnen gegenubergestanden, in ihre Augen geschaut, mit ihnen gesprochen. Kaum zu fassen!

Er war sich seiner Sache immer noch sicher, auch wenn dieses intensive, kribbelnde Gefuhl des gestrigen Abends etwas nachgelassen hatte. Sicherlich gab es noch mehr Menschen, die sich Diamanten oder ahnliches in die Schneidezahne einsetzen lie?en, aber dieser hier stand schlie?lich in irgendeinem Zusammenhang mit Sonnenberg. Was hatte der Alte uber ihn gesagt, als er wahrend ihres Treffens uberraschend im Palaon- tologischen Institut auftauchte? Ein Student, einer meiner besten. Und von Sonnenberg stammte auch der Kafer, mit dem er gerade herumspielte. Was hatte der Spitzbart sich nur gedacht, als er ausgerechnet ihm das Tier schenkte? Das waren jedenfalls zu viele Zufalle auf einmal, um nicht mi?trauisch zu werden.

Er uberlegte kurz, dann rief er noch einmal in Berlin an. Das Ganze hatte schon viel zu lange gedauert. Warum sollte er also noch langer warten? Nein, er war jetzt genau in der richtigen Stimmung und wurde versuchen, die Sache noch heute zum Abschlu? zu bringen.

Sonnenberg wirkte seltsam zerstreut und konnte die von Axt an den Tag gelegte Eile nicht nachvollziehen, zumal sich der Anrufer weigerte, ihm am Telefon zu sagen, worum es uberhaupt ging. Aber Axt lie? nicht locker, und auf sein Drangen hin willigte Sonnenberg ein, ihn noch heute nachmittag zu treffen. Sie verabredeten sich fur funf Uhr.

Axt zogerte keine Sekunde. Wenn er sich beeilte und nicht im Stau steckenblieb, konnte er es bis dahin gut schaffen. Er packte seine Sachen zusammen und sagte Sabine, da? er fur ein paar Tage dringend nach Berlin musse.

»Was denn, so plotzlich?« fragte sie verblufft.

»Ja . aber von plotzlich kann eigentlich keine Rede sein«, antwortete er und druckte ihr spontan einen Ku? auf die Stirn. »Und sag bitte Schmaler Bescheid!« Er wollte schon weiterlaufen, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. »Oder besser nicht, la? es bleiben! Ist mir eigentlich egal.«

Eine halbe Stunde spater brauste er auf der Autobahn in Richtung Berlin.

»Guten Tag, Dr. Axt! Hatten Sie ein gute Fahrt?« In Sonnenbergs Stimme klang ein leichter Vorwurf mit. Er stutzte sich auf seinen Schreibtisch, stemmte sich hoch und griff nach seinem Stock, um dem Gast entgegenzukommen.

»Sparen Sie sich die Muhe!« sagte Axt beim Hineingehen. »Bleiben Sie ruhig sitzen! Glauben Sie mir, es ist besser so.«

»Was gibt es denn so Dringendes? Sie klangen ja am Telefon, als ginge es um Leben und Tod.«

»So konnte man sagen«, murmelte Axt und schlo? die Tur hinter sich. Drau?en war ihm Sonnenbergs Assistentin uber den Weg gelaufen und hatte ihn neugierig gemustert, als er im Eiltempo auf das Buro ihres Chefs zusteuerte. Er wollte nicht, da? sie mitbekam, was er mit Sonnenberg zu besprechen hatte.

»Sie machen mich neugierig.« Die Augen des kleinen Mannes flackerten sonderbar und wichen Axt aus, als er sich wieder auf seinen Stuhl fallen lie?. Mit einer mechanischen Bewegung fingerte er sich eher nervos als nachdenklich an seinem Spitzbart herum.

»So, mein lieber Professor!« Axt zog seinen Mantel aus und warf ihn achtlos uber eine Stuhllehne. Ihm war beim Hereinkommen sofort aufgefallen, da? auf einem der Papierstapel auf Sonnenbergs Tisch ein neues Exemplar des angeblich mittelamerikanischen Prachtkafers lag. Dieser Anblick lie? ihn die Anstrengungen der langen Autofahrt sofort vergessen, und er setzte sich mit einer halben Pobacke direkt neben den zuruckweichenden Sonnenberg auf die Schreibtischplatte. Der Professor schnappte nach Luft.

»Was ...?«

»Nun wollen wir mal Klartext reden«, sagte Axt, zog das Rontgenbild mit dem vergro?erten Schadel des Messeler Homo sapiens aus seiner Jackentasche und legte es direkt vor den immer kleiner werdenden Palaontologen auf den Tisch.

»Wissen Sie, was das ist?« fragte er und tippte mehrmals mit dem Zeigefinger auf Tobias’ Zahndiamanten.

Neugier

Zuerst hatte sie sich nur daruber gewundert, wie dieser Mensch aus Messel, den sie sofort wiedererkannt hatte, hier hereinfegte, schnurstracks in Sonnenbergs Arbeitszimmer lief und hinter sich die Tur schlo?, als ware er hier zu Hause, aber dann hatte sie laute Stimmen in dem Zimmer gehort und sich aus irgendeinem Grunde beunruhigt vor das Schlusselloch gehockt, wie ein kleines Kind, das herausfinden wollte, warum sich seine Eltern so laut stritten. Sie kam sich vollig blod dabei vor, aber irgend etwas war hier im Busch. Dieser Typ brullte jetzt herum wie ein Lowe, zwischendurch konnte sie undeutlich Sonnenbergs wimmernde Stimme horen, und bald gewann sie den Eindruck, da? es da drinnen um sehr wichtige Dinge ging, die sie auf keinen Fall verpassen sollte. Es dauerte nicht lange, da lief es ihr eiskalt den Rucken herunter. Sie verstand zwar nicht alles, was die beiden sagten, aber das, was durch die geschlossene Tur an ihr Ohr drang, reichte aus, um sie in hochste Alarmbereitschaft zu versetzen.

»Er ist tot!« brullte Sonnenbergs Besucher jetzt - richtig, Axt hie? er, jetzt erinnerte sie sich wieder, Helmut Axt. Dann wenig spater: »Er wird sterben!«, und danach ein Heulen von Sonnenberg.

Was denn nun, dachte sie verwirrt. Und von wem war uberhaupt die Rede?

Sie konnte durch das Schlusselloch nichts erkennen, da von innen der Schlussel steckte, sie war allein auf diese bruchstuckhaft nach au?en dringenden Satzfetzen angewiesen. Aber bald wurde ihr klar, da? es nur um Tobias gehen konnte, um ihn und noch jemanden, der Michael oder so hie?. Sie hatte Tobias schon seit Wochen nicht mehr gesehen, aber ihr war ein Verdacht gekommen, wo er vielleicht stecken konnte, und was sie jetzt horen mu?te, zeigte ihr, da? sie damit goldrichtig gelegen hatte. Er war offenbar durch die Hohle gefahren, zusammen mit dem anderen, diesem Michael, und als sie dann ein paar Minuten spater das charakteristische Quietschen von Sonnenbergs Schranktur horte, hinter der er alle seine Unterlagen aufbewahrte - der alte Trottel hielt es nicht einmal fur notig, sie abzuschlie?en, so sicher war er sich, da? ihm niemand auf die Schliche kam -, da dammerte ihr, da? der Alte im Begriff war, seinen Besucher in alles einzuweihen und ihm den Weg zur Hohle zu verraten.

Ihr fuhr ein eisiger Schrecken durch die Glieder. Fieberhaft uberlegte sie, was sie tun sollte. Wenn Tobias mit diesem anderen Burschen durch die Hohle gefahren war und Axt ihnen womoglich noch hinterherfuhr - irgendeine innere Stimme sagte ihr, da? es darauf hinauslaufen wurde -, dann war sie in Gefahr, dann ging es ihr

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