Elisabeth erinnerte sich daran, dass Ludwig und Palmer nicht in einem sehr engen, freundschaftlichen Verhaltnis zueinander gestanden hatten, aber Ludwig hatte von seinem Geschaftspartner stets als Ehrenmann gesprochen. Elisabeth nahm sich vor, sich auf die Suche nach ihm zu machen. Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, ging es ihr besser.

In allen sieben Nachten der ermudenden, anstrengenden Reise schlief Heinrich Bonenberg bei seiner kostbaren Fracht. Elisabeth empfand diese Vorsichtsma?nahme als sehr angenehm, denn auf diese Weise blieb sie in den Nachten von ihrem Mann unbehelligt.

Die Reise verlief ohne Zwischenfalle, sodass sie Antwerpen rechtzeitig erreichten. Zuerst wollten die Wachter am Tor die Kolonne aus dem verhansten Koln nicht in die Stadt lassen, doch der Name Rinck, auf dessen Schiff sich Heinrich Bonenberg die Passage gekauft hatte, verschaffte ihnen schlie?lich Einlass. Sie fuhren auf geradem Wege zum Hafen an der Scheide. Mit gro?er Neugier betrachtete Elisabeth die Hauser aus Backstein, die wuchtigen Kirchen und die gro?en Platze. Sie ware gern ein wenig durch die Gassen und uber die Markte geschlendert, doch Heinrich gestattete keinen Aufschub.

Es war schwere Arbeit, die Fasser auf den Kraweel zu verladen, der unter dem Namen »Kolner Freiheit« segelte. Als sich der Wein wohlbehalten an Bord befand, schickte Bonenberg die Wagen zuruck nach Koln; nur er und seine Frau begaben sich auf den Segler. Sie teilten sich eine Kajute.

Kurz nachdem der Kraweel abgelegt hatte, kletterte Heinrich in den Laderaum und sah nach den Fassern. Hoffentlich bleibt er die ganze Zeit uber dort, dachte Elisabeth. Der Gedanke, mit ihrem Mann allein in dieser Kajute zu sein, gefiel ihr nicht. Inzwischen konnte sie nicht mehr behaupten, noch unrein zu sein, denn schlie?lich waren seit seinem Versuch, ihr beizuwohnen, bereits fast zwei Wochen vergangen. Mit bangem Herzen setzte sie sich auf ihr Bett und horchte.

Das Schiff achzte und knarrte, schaukelte und schlingerte. Die Kajute hatte kein Fenster, nirgendwo gab es einen festen Punkt, an den sich das Auge halten konnte. Elisabeth spurte, wie ihr die Ubelkeit in die Kehle kroch.

Die Kajutentur wurde aufgerissen, und Heinrich trat ein. Er rieb sich die Hande. Das Schaukeln des Schiffes schien ihm nicht das Geringste auszumachen. »Alles gut verstaut, keine Gefahr, dass auch nur eines der Fasser leck schlagt, selbst wenn wir in einen Orkan geraten sollten.« Er setzte sich auf das Bett gegenuber von Elisabeth und sah sie an. »Warum?«

»Warum? Warum was?«

»Warum begleitest du mich auf dieser Reise?«

Sie legte die Hande in den Scho? und wich seinem Blick aus. »Weil ich etwas von der Welt sehen mochte.«

»Du wirst nichts von der Welt sehen au?er der Kajute, der Stra?e und dem Stalhof.«

Nun sah sie ihn an. In ihren grunen Augen loderten kleine Feuer. »Willst du mir etwa verbieten, mich in London umzusehen?«, fragte sie scharf.

Er lachelte. »Hast du erwartet, dass ich dir die Erlaubnis gebe, allein durch diese gefahrliche, fremde Stadt zu ziehen?«, fragte er zuruck. »Das schickt sich nicht fur eine ehrbare Frau. Du legst doch sonst so viel Wert auf deine Ehre«, fugte er hinzu. »Auch wenn es dir die Ehre inzwischen nicht mehr verbieten durfte, mir zu Willen zu sein.« Er faltete die Hande vor seinem enormen Bauch.

»Die Ehre vielleicht nicht, soweit es meinen Mond angeht«, erwiderte Elisabeth mit heiserer Stimme, »aber unser Ehevertrag verbietet es weiterhin.«

Heinrich sprang auf und runzelte die Stirn, sodass die dichten, dunklen Brauen zusammenstie?en. »Du bist eine falsche Schlange!«, brauste er auf. »Erinnere dich, dass du mir erlaubt hast, meine Lust an dir zu stillen, nachdem ich dir alles uber deinen Bruder gesagt habe, was du wissen wolltest. Nennst du es etwa Ehrsamkeit, wenn du unsere Abmachung brichst?«

»Ich werde die Abmachung nicht brechen«, beeilte sich Elisabeth zu sagen und dachte fieberhaft nach, wie sie ihn sich weiterhin vom Leibe halten konnte. »Mir… mir ist so ubel.«

»Mir nicht«, entgegnete Heinrich, stand auf und knopfte sich das Wams auf. »Mir ist nur hei?.« Er grinste sie an.

Das Schiff schaukelte immer heftiger. Drau?en schien ein Sturm zu toben. Mit schlingerndem Gang kam Heinrich auf sie zu.

Da geschah es.

Aus dem Bauch des Kraweels ertonte ein schreckliches Knarren wie von berstenden Planken. Heinrich erstarrte. Im nachsten Augenblick war er bereits mit flatterndem, offenem Wams aus der Kajute gesturmt.

Elisabeth atmete auf. Sie hatte einen Aufschub erhalten.

Die Uberfahrt war schrecklich. Es tobte ein furchtbarer Sturm, der das Schiff auf den Wellenkammen hin und her warf. Mehr als einmal bestand die Gefahr, dass der Kraweel kenterte oder einen Mast verlor. Heinrich verbrachte die ganze Zeit im Lagerraum bei seinen Fassern, von denen er mehrfach beinahe erschlagen worden ware.

Nur Elisabeth war fur diesen Sturm dankbar, auch wenn ihr entsetzlich ubel war. Funf Tage spater, knapp hinter der Themsemundung, geriet das Schiff in ruhiges Gewasser. Es war schon Abend, als die »Kolnische Freiheit« bei dem gro?en Kran am Ende der Windgoose Lane festmachte. Doch die Ladung konnte erst am nachsten Morgen geloscht werden, denn die Tore des Stalhofes waren bereits verschlossen. Heinrich vertraute niemandem und verbrachte auch diese Nacht bei seinem Wein, sodass Elisabeth endlich wieder einmal ein ruhiger Schlaf vergonnt war.

Bereits im Morgengrauen wurde der Kraweel entladen. Elisabeth kroch aus ihrer Koje, als sie das Rumpeln und gedampfte Rufen horte, und taumelte uber die schwankende Plankenbrucke von Bord. Heinrich stand am Kai und uberwachte das Ausladen seiner geliebten Fasser. Immer wieder ballte er die Hande zu Fausten, wenn sich ein Fass an den Seilen uber die Reling hob und der Kran es durch die Luft in Richtung des Kais schwenkte.

Zunachst mussten sie zum koniglichen Kammerer neben der Guildhall verbracht werden, der ihren Inhalt uberprufte, bevor sie eingelagert werden konnten. Da dies einige Zeit beanspruchen wurde, befahl Heinrich einem deutschen Mitarbeiter des Stalhofes, er solle Elisabeth ihr Quartier zuweisen. Heinrich wollte sich nach der Prufung des Weins sofort um den Verkauf kummern und brummte Elisabeth zu, er wisse nicht, wann er zuruck sein werde.

Naturlich hatten sie ein gemeinsames Zimmer, wie Elisabeth mit sinkendem Mut feststellen musste, als der junge, etwas linkische Mann in dem viel zu engen, viel zu kurzen Wams ihr die kleine Kammer unter dem Dach der Guildhall aufschloss. Nachdem er ihr Gepack und das ihres Mannes gebracht hatte, verneigte er sich tief vor Elisabeth und lie? sie allein.

Die Gelegenheit war einfach zu gunstig. Elisabeth ruckte ihre Haube zurecht und nahm ihren Mantel, denn in London war es trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit noch empfindlich kuhl, und verlie? das Zimmer. Sie eilte mit leisen Schritten durch die Korridore des gro?en Gebaudes, begegnete vielen Kaufleuten, horte hauptsachlich die rheinische Mundart und hoffte, von niemandem aufgehalten zu werden, der sie moglicherweise kannte. Die meisten Manner waren freundlich zu ihr. Einige zogen das Barett und nickten ihr hoflich zu, doch niemand stellte sich ihr in den Weg.

Sie war froh, als sie endlich die holzgetafelten Gange und Zimmer hinter sich gelassen hatte und auf der Stra?e stand. Sie blickte nach rechts, nach links, wieder nach rechts. Die Thames Street, in der sie sich nun befand, war sehr breit und von Fuhrwerken aller Art verstopft. Ochsengefahrte, Wagen mit edlen Pferden davor und sogar Hundekarren kampften um jede Hand breit Platz. Kutscher riefen verargert Worte, die Elisabeth nicht verstand, Fu?ganger drangten sich uberall dazwischen, wurden angebrullt und brullten zuruck. Pferde schnaubten, Hunde klafften, Schweine grunzten und quiekten auf, wenn sie getreten wurden. Die Hauser wirkten einfacher als in Koln. Sie hatten keine Giebel, sondern sahen wie abgeschnitten aus. Doch ihre Fenster waren gro?, und viele trugen vornehme Verglasungen.

Wie sollte Elisabeth hier Edwyn Palmer finden? Ludwig hatte einmal gesagt, Palmers Haus lage unweit der Guildhall im Schatten von All Hallows, der Kirche des Bezirks. Rechts von ihr sah sie in einiger Entfernung einen Kirchturm uber die Hauser ragen, den keine Spitze zierte – anders, als sie es von den alten spitzbedachten Kirchen in ihrer Heimatstadt gewohnt war, wenn man vom stummelig-unfertigen Dom absah. Sie schritt auf die Kirche zu. Ihre Tracht erregte Aufmerksamkeit. Feindselige Blicke trafen sie, manche waren sogar lustern. Plotzlich fuhlte sie

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату