sich sehr verloren und einsam. Sie kannte niemanden hier, niemand wurde ihr zu Hilfe kommen, wenn sie uberfallen werden sollte. Sie konnte sich nicht einmal verstandlich machen. Wurde dieser Palmer sie uberhaupt verstehen? Ihr Bruder hatte flie?end Englisch gesprochen, aber sie hatte keine Ahnung, ob Palmer des Deutschen machtig war.

War es nicht eine gewaltige Dummheit von ihr gewesen, hierher zu kommen? Was erwartete sie von dieser Reise? Mit gesenktem Kopf ging sie voran. Irgendwo hier, entweder im Stalhof oder in dessen Umgebung, hatte Ludwig etwas Schreckliches erfahren. Lag darin uberhaupt der Grund fur seinen Tod? Als sie wieder aufschaute, sah sie knapp vor sich ein gro?es Weinfass an der Fassade eines heruntergekommenen Gebaudes hangen. Kein Schild verriet, wer der Besitzer dieses Hauses war. Die Fenster hatten keine Verglasung, sondern in den oberen Stockwerken nur dunne Lederhaute, die vor die Rahmen genagelt waren. Unrat klebte an den Mauern und lag vor der weit offen stehenden Tur. Von drinnen schallte lautes Grolen und Lachen heraus.

Es musste sich um ein Wirtshaus handeln. Ludwig hatte nichts von einem solchen offentlichen Haus gesagt. Es konnte nicht das Palmer-Haus sein, aber vielleicht erfuhr sie ja drinnen etwas, denn bestimmt kannte der Wirt jeden Weinhandler in der Gegend. Elisabeth fasste sich ein Herz und stieg die wenigen, mit Stroh ubersaten Stufen hinab zum Eingang der Schankstube.

Als sie den dunklen, stinkenden Raum betrat, wurde es leise. Jemand pfiff durch die Zahne, als sie mit zogernden Schritten auf den Wirt zuging, der hinter einem gro?en Weinfass hockte, auf dem etliche zerbeulte Zinnkannen standen. »Edwyn Palmer?«, fragte sie. »Wo kann ich Edwyn Palmer finden?«

Der Wirt erhob sich langsam. Seine lederne Schurze wies etliche dunkelrote Flecken auf. Er wirkte eher wie ein Fleischer.

Er brabbelte etwas, das Elisabeth nicht verstand, es schien kaum eine menschliche Sprache zu sein. Kurz darauf setzte schallendes Gelachter ein.

»Edwyn Palmer?«, fragte Elisabeth noch einmal. Sie kam sich unsagbar lacherlich vor.

Der Wirt grinste sie an, wie ein Kaufer uber eine besonders schone und billige Ware grinst. Er nahm einen der Kruge auf, die offenbar gefullt waren, und streckte ihn ihr entgegen.

Als sie noch uberlegte, wie sie sich verhalten sollte, griff jemand von hinten um ihre Hufte. Sie zuckte zusammen. Der Griff wurde fester. Das Lachen lauter. Sie versuchte sich zu befreien. Sie konnte ihren Angreifer nicht sehen, er stand unmittelbar hinter ihr. Seine Hande wanderten hoher. Stahlen sich unter ihren Mantel. Fuhren grob an ihrem ganzen Korper entlang. Elisabeth war starr vor Entsetzen und Erniedrigung. Sie wollte um Hilfe schreien, doch nur ein Krachzen kam ihr uber die Lippen. »She wants it!«, schrie jemand. »She’ll get it!« Sie verstand die Bedeutung der Worte nicht.

Plotzlich hielten die Hande inne. Versteiften sich. Er hatte es bemerkt. Und begriff.

»O Lord!«, ertonte es dicht hinter ihrem Ohr. Sie wurde weggesto?en. Das Gelachter verstummte. Sie drehte sich um. Sah ihren Angreifer an. Es war ein gro?er, stammiger Mann mit einem zerrissenen Wams, einer gro?en Nase und wunderschonen blauen Augen, die vor schrecklicher Angst geweitet waren. Er hob abwehrend die Hande. »Witch!«, rief er. »Wicked Witch!« Alle Bewegungen in dem dunklen Schankraum erstarben. Entsetzt rannte Elisabeth auf die Tur zu. Niemand hielt sie auf. Sie hastete die Stufen zur Thames Street hoch und lief in Richtung der Guildhall, in die sie sich retten wollte. Mehrfach sah sie sich um, aber niemand folgte ihr. Die Leute auf der Stra?e warfen ihr verstandnislose Blicke zu. Sie zwang sich, etwas langsamer zu gehen, und fuhlte sich erst sicher, als sie an dem gro?en Portal der Guildhall klopfte und ihr der junge, linkische Mann mit dem zu kleinen Wams freundlich offnete. Sofort suchte sie ihr Zimmer auf und verriegelte die Tur von innen. Sie warf sich auf das weiche Bett und weinte.

Das Wort, das der Wustling ihr entgegengeschleudert hatte, war ihr ebenfalls unbekannt, doch es gab fur sie keinen Zweifel, was es bedeutete.

Hexe.

ZWOLF

Sie traute sich den ganzen Tag nicht, ihr Zimmer zu verlassen. Nur zum Abendessen ging sie hinunter in den gro?en Speisesaal und war erstaunt uber den Prunk, der hier entfaltet wurde. An den holzgetafelten Wanden hingen Olgemalde und Teppiche mit allegorischen Darstellungen, und das Geschirr auf den Tischen war aus Gold und Silber. Ein alterer, kleiner Mann wies ihr einen Platz an einem der langen Tische an, und sie speiste in Gesellschaft von zwei Kaufleuten aus Koln, die im Eisenhandel tatig waren. Mit ihnen tauschte sie viele Geschichten aus ihrer Heimatstadt aus, wahrend sie von den Schafswursten mit Rosinen, dem Huhnerbraten mit goldrotem Eieruberzug und dem Entenbraten in saurer Rotweinsauce kostete und dazu einen vorzuglichen Hippocras trank. Ihr Gemahl war nirgendwo zu sehen. Vermutlich befand er sich auf der Jagd nach einem Kaufer fur seinen Wein.

Elisabeth vermied es sorgfaltig, den wahren Grund ihres Aufenthaltes zu enthullen, denn selbst diese beiden freundlichen Herren mit ihren guten Manieren und ihrem angenehmen Au?eren konnten am Tod ihres Bruders beteiligt gewesen sein. Sie durfte niemandem trauen. Wie sehr wunschte sie sich, dass Andreas Bergheim hier ware. Sie konnte mit ihm das weitere Vorgehen planen, sie konnte sich mit ihm bereden, er konnte sie trosten und das schreckliche Erlebnis in dem Wirtshaus vergessen machen. Langer, als ihr lieb war, verweilten ihre Gedanken bei ihm. Bei seiner angenehmen Stimme, seiner Zuruckhaltung, seiner Freundlichkeit, dem zart geschnittenen Gesicht mit den lieben Augen, der mannlichen Gestalt… Sie zwang sich dazu, ihren Tischgenossen die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.

Nach dem vorzuglichen Essen begab sie sich wieder in ihre Kammer und wartete. Sie traute sich noch nicht, einen neuen Versuch zur Auffindung Edwyn Palmers zu unternehmen. Mude setzte sie sich auf ihr Bett, dann legte sie sich hin, und schlie?lich war sie eingeschlafen.

Als sie erwachte, war es drau?en bereits dunkel. Das Zimmer lag in tiefer Finsternis, in der kaum die Truhe und die Betten zu erkennen waren. Doch der Schatten, der sich vor ihr erhob, war trotzdem deutlich zu sehen.

Es stank nach Wein. Wie in einem Weinkeller oder einer schlecht gelufteten Schankstube, dachte Elisabeth. Der Schatten stie? einen dumpfen Rulpser aus.

»Elisabeth, mein Eheweib, mir ist nach Feiern zumut!«, grunzte der Schatten. Sie horte, wie er sich auszog. Stoff riss. »Verdammt! Wo ist eine Kerze, Weib?«

Elisabeth gab keine Antwort. Sie zitterte. Nun war es unausweichlich. Sie war ihm ausgeliefert. Fern der Heimat. Auf Hilfe konnte sie nicht rechnen. Wenn doch Andreas hier ware!

Heinrich schwankte hinuber zu ihrem Bett und ruttelte sie durch. »Schlafst du schon, Weib? Dann wach auf. Gleich wirst du die Engel singen horen.«

Sie tat so, als sei sie schlaftrunken. »Lass mich in Ruhe«, stohnte sie mude und walzte sich auf die Seite, der Wand zu.

Mit einem Sprung war er bei ihr im Bett. Fast hatte sie vor Schreck laut aufgeschrien. Er drangte sich an sie; sie spurte seinen dicken Bauch im Rucken und etwas tiefer. Mit seinen breiten, groben Handen hob er ihr den Rock und griff ihr zwischen die Schenkel. Ihre Gedanken rasten. Sollte sie sich wehren? Sollte sie mit der Aufhebung des Ehevertrages drohen? Heinrich war keinen Vernunftgrunden mehr zuganglich. Er tobte und grunzte hinter ihr wie ein brunstiges Tier. Nun konnte sie nur noch beten.

Mit einem einzigen Sto? zerriss er ihre Jungfernschaft. Schmerzpfeile durchrasten sie. Sterne tanzten ihr vor den Augen, und zwischen den Schenkeln schien sie nur noch eine einzige klaffende Wunde zu sein. Sie schrie auf, doch das hielt Heinrich nicht von seiner Raserei ab. Hoffentlich war er schnell fertig. Sie hatte von Frauen gehort, denen das eheliche Beisammensein Vergnugen machte. Wie konnte das nur sein? Vor Pein blieb ihr der Atem weg. Sie konnte nur noch krachzen. Heinrich schien ihre Laute zu missdeuten und lallte: »Macht… macht dir doch Spa?, nicht wahr?« Etwas Hei?es ergoss sich in sie. Seine Bewegungen horten auf, seine schlaff gewordene Rute rutschte aus ihr heraus, er fiel uber die Bettkante und plumpste schwer zu Boden. Dort blieb er liegen und begann laut zu schnarchen.

Elisabeth krummte sich zusammen und wimmerte. Die Schmerzen wollten nicht aufhoren. Nur ein einziger Gedanke gab ihr ein wenig Kraft. Als sie daran dachte, atmete sie wieder gleichma?iger. Nun hatte Heinrich den Ehekontrakt verletzt, und sie konnte es mit ihrer verlorenen Jungfernschaft beweisen. Er war in ihrer Hand.

Und er hatte sie nicht ausgezogen. Es war nicht zum Schlimmsten gekommen. Sie wollte nicht daran denken,

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату