was moglicherweise geschehen ware, wenn er ihre nackte Haut beruhrt hatte. Uberall…
Aber es machte die Vergewaltigung nicht ungeschehen. Sie schluchzte und weinte.
Noch vor Sonnenaufgang schlich sich Elisabeth aus dem Zimmer. Sie war uber ihren schwer atmenden, in tiefem Schlaf befangenen Gatten hinweggestiegen, hatte benommen im Dunkeln nach ihrem Mantel getastet, sogar ihre Haube gefunden und sich notdurftig angekleidet. Sie wollte nicht langer mit diesem Scheusal von Mann zusammen in einem Zimmer sein; sie wollte sein Erwachen nicht erleben. Bei jedem Schritt loderte zwischen ihren Beinen der Schmerz auf. Sie ertastete mit der Hand verklebtes Blut. Sie ekelte sich vor Heinrich – und vor sich selbst. Wieder dachte sie an Andreas. Irgendetwas in ihr sagte, dass sie bei ihm alles loswerden, ihm alles erzahlen konnte. Was wurde er sagen, wenn er von dieser Untat erfuhr? Ihr kam ein bitterer Gedanke. War es uberhaupt eine Untat? Hatte Heinrich nicht als ihr Gatte das von Gott selbst gewahrte Recht auf den ehelichen Beischlaf? War nicht sie selbst im Unrecht, weil sie im Verbund mit ihrem Bruder diesen gotteswidrigen Ehekontrakt aufgesetzt hatte? Doch ihr Gefuhl sagte etwas anderes: Wenn das, was ihr widerfahren war, Recht war, dann gab es kein wahres Recht und keine Gerechtigkeit mehr.
Sie eilte ziellos durch die Guildhall, deren schweres Portal jedoch noch verschlossen war. Sie fuhlte sich eingesperrt. In den Tiefen dieses Gebaudes lauerte ihr Mann und vielleicht der oder die Morder ihres Bruders, und die Stadt drau?en erschien ihr wie ein sprungbereites Tier. Sie bereute, dass sie hergekommen war. Es war so sinnlos. Was ware, wenn sie den Morder tatsachlich hier fand? Wie sollte sie ihn zur Verantwortung ziehen? Sie seufzte und zupfte an ihrer Haube, von der sie den Eindruck hatte, dass sie zerknittert war.
Allmahlich lie?en die Schmerzen nach. Elisabeth atmete tief durch. Was waren das fur Gedanken? Wo war ihre Entschlossenheit? Sie war ihrem toten Bruder jede Anstrengung schuldig, um seinen Morder ausfindig zu machen. Wieder sehnte sie sich nach Andreas.
Eine verschlafene Wache ruckte an und sperrte das gro?e Portal mit einem gewaltigen eisernen Schlussel auf. Erst als der Mann gahnend das Tor aufzog und ein wenig Morgenlicht hereinfiel, bemerkte er die stille Frau im Schatten. Beinahe ware ihm vor Schreck der Schlusselbund aus der Hand gefallen. »Was macht Ihr hier? Wer seid Ihr?«
Sie nannte ihm nur ihren Namen und war schon an ihm vorubergegangen, als er zu einer weiteren Frage ansetzen wollte.
Auf der Thames Street war es ruhig. Kaum jemand war in dieser fruhen, leicht nebligen Morgenstunde zu sehen. Elisabeth eilte wieder auf die Kirche All Hallows zu, in deren Schatten sich das Kontor von Edwyn Palmer befinden sollte. Sie kam an der Taverne vorbei, in welcher sie gestern nach ihm gefragt hatte. Tur und Fenster waren mit Holzladen verhangt.
Rasch lief sie weiter und schuttelte sich. Sie bog in die Stra?e vor der Kirche ein und lief sie entlang. Nirgendwo gab es an einem Haus das Schild eines Tuch- oder Weinhandlers. Immer wieder warf sie einen Blick auf das gedrungene Gotteshaus inmitten des alten Friedhofes, der ihr wie ein schreckliches Omen erschien.
Allmahlich belebten sich die Stra?en, Fuhrwerke ratterten herbei, Manner mit Handkarren liefen umher, schwenkten Handglocken und riefen allerlei Unverstandliches. Alte Frauen mit gro?en Sacken uber der Schulter schlurften an den dunklen, massigen Hausern entlang. Rauch trieb durch die Stra?en, und Nebelfetzen losten sich unter der kraftiger werdenden Sonne auf. Das Leben kehrte in die Stadt zuruck.
Elisabeth hatte die Kirche auf den an sie grenzenden Stra?en schon beinahe umrundet. Vor sich sah sie wieder die Thames Street. Gerade als sie durch einen Toreingang blickte, horte sie aus dessen Tiefe ein schrilles, quietschendes Gerausch. Sie zuckte zusammen und verkrampfte sich. Was verbarg sich dort in der Finsternis? Elisabeth blieb stehen und lauschte. Dann entspannte sie sich wieder und musste uber ihre Schreckhaftigkeit lacheln. Es konnte nur ein Kontorschild sein, das im aufkommenden Wind schwankte. Sie spahte in den Tordurchgang.
Ein gro?es, dusteres Haus begrenzte den Hof nach hinten. Hing nicht uber seiner Tur das knarrende Schild? Ein kurzer Blick konnte nicht schaden.
Elisabeth raffte ihren Rock und schritt auf Zehenspitzen uber dicken, ausgefegten Mist hinweg. Ihre Schritte klapperten unheimlich in dem tiefen Durchgang. Sie war froh, als sie in dem Innenhof stand.
Das Schild nahm sofort ihren Blick gefangen. Es war ein flaches Schild ein wenig rechts von ihr, auf dem ein Tuchballen und ein Weinfass abgebildet waren. Darunter stand: »Edwyn Palmer. Trader in Best Wines & Wooles«. Sie war am Ziel.
Die Schmerzen zwischen den Beinen setzten wieder ein, und die Erinnerung an den vergangenen Abend uberwaltigte sie.
Gleich einem Tier war Heinrich uber sie hergefallen und hatte sie wie ein lebloses Stuck Fleisch missbraucht. Die Wucht der Empfindungen zwang sie in die Knie. Sie lehnte sich gegen eine schmutzige Backsteinmauer, vergrub das Gesicht in den Handen und weinte. Da wurde plotzlich das Portal des Kontorhauses aufgerissen.
DREIZEHN
Durch einen Tranenschleier sah Elisabeth, wie eine junge, blonde Frau ohne Kopfbedeckung die wenigen Stufen in den Hof hinunterschritt. Dann horte sie ein rumpelndes Gerausch von der Stra?e her. Kurze Zeit spater bog ein Fuhrwerk in die Toreinfahrt und blieb im Hof stehen. Es versperrte Elisabeth die Sicht. Worte wurden zwischen der blonden Frau und dem Kutscher gewechselt. Sie horte weitere Stimmen und viele Schritte, und korperlos scheinende Hande entluden den Wagen von der anderen Seite. Er hatte gro?e Stoffballen geladen, Brokate, Leinen, Damast und Samte. Die Arbeit ging schnell und ohne viel Aufhebens vor sich, und bald hatte der Wagen den Hof wieder verlassen. Nur noch die blonde Frau stand dort und sah dem Fuhrwerk nach. Strahnen ihres Haares hatten sich aus dem Knoten am Hinterkopf gelost und hingen ihr beinahe bis zum Kinn. Sie atmete schwer, sie schien mit angepackt zu haben. Elisabeth hatte nicht die Kraft, aufzustehen oder auch nur aufrecht zu sitzen. Angesichts der Normalitat in diesem Kontorhaus erschien ihr die eigene Vergewaltigung in der vergangenen Nacht umso schrecklicher. Sie presste die Beine zusammen und schaute die junge Frau von unten herauf an.
Sie hatte Elisabeth endlich bemerkt und kam herbeigelaufen. Die rasche Annaherung machte Elisabeth Angst. Unwillkurlich streckte sie die Hande in einer abwehrenden Geste aus. Sie kam sich so schwach vor, so erniedrigt, sie konnte unmoglich mit Edwyn Palmer sprechen. Was hatte sie sich blo? eingebildet? Aber sie war hier und musste das Beste aus dieser Lage machen.
Die junge Frau sagte etwas zu ihr, das sie nicht verstand, und beugte sich zu ihr hinunter, ohne ihr aber zu nahe zu kommen. »Hilfe«, murmelte Elisabeth nur, als sie in die blauen, so sanften Augen der blonden Frau schaute.
»Ihr seid eine Deutsche?«, antwortete die Frau in Elisabeths eigener Sprache. In ihren Worten schwang der melodische Tonfall des Rheinischen mit. Elisabeth sah sie erstaunt an.
Elisabeth nannte ihren Namen und murmelte: »Palmer. Ich suche Edwyn Palmer.« Die Pflicht gegenuber ihrem toten Bruder war doch starker als ihr eigenes Leid.
»Er ist mein Gemahl«, erwiderte die junge Frau. »Ich bin Anne Palmer.«
»Ihr seid keine Englanderin.«
»Nein, ich stamme aus Aachen. Darf ich Euch aufhelfen und ins Haus begleiten?« Sie streckte Elisabeth die Hand entgegen, die sie nun dankbar ergriff.
Anne Palmer fuhrte sie in die Wohnstube, die weitaus armlicher war, als Elisabeth es in einem Handelshaus erwartet hatte. Es gab nur ein paar alte, wackelige Stuhle und eine Truhe aus gerissenem Holz. Nichts au?er einem Kreuz hing an den wei? gekalkten Wanden, und der Boden war nicht sauber ausgefegt.
Anne Palmer bot Elisabeth einen der Stuhle an und sagte: »Ich hole Euch einen guten Rheinwein. Wartet einen Augenblick.« Schon war sie aus dem Zimmer geeilt.
Elisabeth versuchte sich zu beruhigen. Immerhin hatte sie Palmer gefunden. Vielleicht konnte er ihr bei der Suche nach Ludwigs Mordern weiterhelfen und sich heimlich im Stalhof umhoren. Elisabeths Gedanken kreisten unablassig um ihren toten Bruder; es war eine gute Ablenkung.
Anne Palmer kam zuruck und trug auf einem Tablett einen Krug und zwei irdene Becher. Einen davon druckte sie Elisabeth in die Hand und fullte ihn mit trubem Wein. Vorsichtig nippte Elisabeth daran. Der Wein war nur mit