Honig vermischt, doch er wirkte belebend.
»Darf ich Euch fragen, was Ihr von meinem Mann wunscht?«, wollte Anne Palmer wissen und blickte Elisabeth neugierig, aber offenherzig an.
»Es geht um meinen Bruder«, begann Elisabeth, nachdem sie noch einen Schluck von dem gesu?ten Wein genommen hatte, der ihr sehr gut tat. »Er hat Geschafte mit Eurem Gemahl getatigt und war noch vor einigen Monaten hier. Er ist kurzlich verstorben. Verzeiht, wenn ich offen zu Euch bin, aber das wurde ich lieber mit Eurem Gatten besprechen.«
Anne Palmer sah ihren Gast zweifelnd an. »Es tut mir Leid, aber Edwyn ist vor ein paar Wochen zu einer Reise aufgebrochen. Er wollte in Antwerpen Tuche kaufen. Offenbar ist er erfolgreich gewesen, denn die Lieferung vorhin stammt aus diesen Geschaften. Und danach wollte er nach Koln Weiterreisen und dort einige Zeit bleiben – wohl irgendwelcher anderer Geschafte wegen.«
»Nach Koln?«, fragte Elisabeth unglaubig. War das reiner Zufall? Sie rutschte auf dem unbequemen, knarrenden Stuhl hin und her. Sollte sie dieser Frau vertrauen? »Wann kommt er zuruck?«
Anne Palmer zuckte die Schultern und nahm dann einen tiefen Schluck aus ihrem Becher. »Ich wei? es nicht. Wir fuhren unser kleines Handelshaus zwar grundsatzlich gemeinsam, doch er sagt mir nie, wie lange er wegbleibt. Ich erwarte ihn aber kaum vor dem ubernachsten Monat zuruck.« Sie schaute Elisabeth, die wieder zu zittern begonnen hatte, mitfuhlend an. »Hat Euch der Tod Eures Bruders so erschuttert?«, fragte sie mit milder Stimme.
»Ja, aber das… das ist es nicht allein«, murmelte Elisabeth und trank ihren Becher leer. Bevor sie bemerkte, was sie tat, erzahlte sie dieser fremden Frau die leidvolle Geschichte der letzten Nacht. Als sie damit fertig war, fuhlte sie sich etwas besser. Es tat so gut, mit einer Frau daruber sprechen zu konnen. Welch ein Gluck, dass sie diese Landsmannin gefunden hatte. Ob Gott sie ihr geschickt hatte? Oder Andreas? Auch der Gedanke an ihren bruderlichen Freund tat ihr gut.
Anne Palmer hatte schweigend zugehort. Ihr Blick kundete von gro?em Entsetzen. Und von Verstehen.
»Euch ist Schreckliches widerfahren«, sagte sie schlie?lich mit belegter Stimme. »Ich kenne das nur allzu gut.«
Elisabeth sah sie dankbar an. Hier schien sie eine Freundin im Leid gefunden zu haben – hier in der Fremde, wo sie es niemals vermutet hatte. Und nun berichtete Anne Palmer ihre eigene Geschichte.
Sie stammte aus einem alten, aber verarmten Aachener Tuchhandelshaus und war vor funf Jahren, als sie gerade funfzehn geworden war, von ihrem Vater mit Edwyn Palmer, einem damals noch wichtigen Handelspartner, verheiratet worden. Das erste Jahr der Ehe war noch ertraglich gewesen, doch dann hatte Palmer, der schon immer zu Zornesausbruchen geneigt hatte, zu trinken und zu spielen begonnen, und sein Geschaft hatte stark darunter gelitten. Seinen Unmut lie? er immer ofter an seiner jungen, schonen Frau aus, und auch sie kannte inzwischen die Schrecken des Ehelagers nur allzu gut. »Ich bin froh, dass er weg ist, und wenn es nach mir ginge, brauchte er erst gar nicht wiederzukommen«, sagte sie und brach nun auch in Schluchzen aus. Elisabeth stellte ihren Krug auf dem unsauberen Boden ab, stand auf und nahm Anne in den Arm. Diese spurte, dass geteiltes Leid nur halb so schwer wiegt. Anne Palmer richtete ihren tranenverschleierten Blick auf Elisabeth und sagte: »Es tut mir Leid, dass ich Euch mit meiner Geschichte behellige. Aber es tat gut, mir diese schlimmen Dinge einmal von der Seele zu reden. Dabei ist Edwyn ein so schoner und prachtiger Geselle! Aber gleichzeitig ist er ein Teufel!«
Elisabeth nickte und strich mit der Hand sanft uber die blonden Haare und die Wangen der jungen Frau.
»Darf ich nun doch erfahren, was Ihr mit meinem Gatten bereden wolltet?«, fragte Anne Palmer.
»Nachdem ich Eure Geschichte angehort habe, wei? ich nicht, ob ich uberhaupt noch etwas mit ihm bereden mochte«, meinte Elisabeth und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Sie uberlegte, ob sie auch die Geschichte von Ludwigs Tod dieser armen, unglucklichen Frau anvertrauen sollte. Wenn sie es nicht tat, war sie umsonst hergekommen, denn auf Palmer konnte sie nicht warten. Schlie?lich wusste niemand, wann er zuruckkehren wurde. Au?erdem hatte sie keine Lust mehr, ihm gegenuberzutreten, wo er scheinbar ein solch schrecklicher Mensch war. »Angeblich hat mein Bruder Selbstmord begangen. Ich habe aber den begrundeten Verdacht, dass er ermordet wurde. Ich will die Schmach von ihm und meiner Familie nehmen und ihn rachen. Der wahre Morder soll seiner gerechten Strafe zugefuhrt werden.«
Anne Palmer schien ihre eigenen Schmerzen wieder vergessen zu haben. Die Tranen waren getrocknet, und neugierig sah sie Elisabeth an. Die berichtete, dass ihr Bruder sich angeblich erhangt hatte, und lie? auch das seltsame Zauberbuch nicht unerwahnt. Sie legte ihre Zweifel und die Ergebnisse der gemeinsamen Nachforschungen mit Andreas dar. Anne Palmer horte aufmerksam zu, schuttelte manchmal den Kopf und meinte schlie?lich: »Eine unglaubliche Geschichte. Bestimmt habt Ihr Recht. Das klingt nicht nach Selbstmord. Ihr tut gut daran, den Morder zu jagen. Der Hund soll in der Holle schmoren.«
»Jawohl«, bekraftigte Elisabeth. »Und jeder Makel soll von dem Namen Leyendecker abgewaschen werden.«
Anne Palmer riss die Augen auf. »Leyendecker!«, rief sie. »Wie hei?t Euer Bruder?«
»Ludwig Leyendecker.« Elisabeth sah die blonde Frau verwundert an.
Anne Palmer schnappte nach Luft. Dann brach sie wieder in Tranen aus; Schluchzer schuttelten ihren zarten Korper.
»Ihr kanntet meinen Bruder?«, fragte Elisabeth unglaubig.
Anne Palmer nickte. »Ludwig war mein Liebster«, weinte sie.
VIERZEHN
Das Buch schien in seiner Hand zu brennen. Andreas Bergheim war soeben bei Barbara Leyendecker gewesen und hatte sie uberredet, ihm das Zauberbuch auszuhandigen, mit dessen Hilfe Ludwig angeblich den Teufel beschworen hatte. Er wollte sich den schrecklichen Band noch einmal genau ansehen und vor allem herauszufinden versuchen, ob etwas in dem Grimoire wirklich auf die Eigentumerschaft Ludwigs schlie?en lie?. Etwas anderes blieb ihm wahrend Elisabeths Abwesenheit nicht zu tun. Nun war sie schon acht Tage fort, und Andreas stellte fest, dass er sie vermisste. Er dachte oft an sie und hoffte, dass ihre Reise ohne Zwischenfall blieb.
Vor sich sah er den Turm von Sankt Kolumba, dahinter, auf dem Dach, den Kran, wie ein Buckel. Ein Kramer ging mit seinem Bauchladen an dem jungen Priester vorbei und nuschelte unverstandliche Worte. Bei seinem Anblick musste Andreas an den Weinwurzhandler Dulcken denken, den er auf dem Neumarkt getroffen hatte. War Ludwig tatsachlich ein so kalter Geschaftsmann gewesen? Hatte er tatsachlich mit dem Teufel im Bund gestanden? Andreas hielt das kleine, in knitteriges Leder gebundene Buch hoch. Es war ihm unheimlich. Sollte er tatsachlich darin lesen? Bestand dann nicht die Gefahr, dass er unbeabsichtigt mit der Damonenwelt in Kontakt trat? Aber gab es diese Welt uberhaupt? Pfarrer Hulshout war von ihrer Existenz uberzeugt, und das »Fortalitium Fidei« bekraftigte diese Meinung. Aber…
Andreas hatte den Angreifer nicht kommen sehen; dieser hatte sich von hinten angeschlichen. Plotzlich schlang sich ein Arm um ihn, ihm wurde das Buch aus der Hand gerissen, und schon war der Dieb auf der Flucht.
Andreas war so uberrascht, dass er zunachst reglos auf der Stra?e stehen blieb. Der Dieb warf seinen Bauchladen fort und hastete die Glockengasse in nordlicher Richtung hinunter. Andreas war so benommen, dass er eine Weile brauchte, um ihm nachzusetzen. Mit wehendem Priesterrock rannte er hinter dem Verbrecher her. Die spitzen Giebel der stattlichen Hauser schienen sich zu ihm hinunterzubeugen und ihn still zu beobachten. »Halt!«, rief er. Doch der Dieb scherte sich naturlich nicht um den Befehl. Er rannte bis zum Ende der Glockengasse, bog rechts in die enge Hamergasse ein und war aus Andreas’ Blickfeld verschwunden.
Der junge Geistliche hastete an einem klappernden Fuhrwerk vorbei, das plotzlich aus einer Toreinfahrt herausgerumpelt kam. Der Kutscher schrie ihn an und fluchte, die Pferde scheuten wiehernd, das Stampfen ihrer Hufe hallte von den Hauserwanden wider. Eine Kiste rutschte von der Ladeflache und polterte auf die Stra?e. Andreas nahm all seine Kraft zusammen und lief noch schneller, um dem Zorn des Kutschers zu entkommen.
Schmerzpfeile durchbohrten seine Seite. Er war solche Anstrengungen nicht gewohnt. Als er die Hamergasse endlich erreicht hatte, musste er kurz stehen bleiben. Die kleinen Fachwerkhauser mit den lederbespannten Fenstern und den tiefen Handwerkerbuden der Sattler im Erdgeschoss wirkten wie aufgerissene Munder, die sich