gelassen? Bringt Ihr mir Neuigkeiten uber die Todesumstande von Ludwig Leyendecker?«, fragte Heynrici mit seiner sanften, melodischen Stimme. Andreas war froh, hergekommen zu sein. Hier war er richtig. Hier wurde er verstanden.
Heynrici bot ihm einen Stuhl an und setzte sich ihm gegenuber. Andreas sah auf die beeindruckende Anzahl von Buchern und kam sofort zur Sache. Er holte das Buch an seinem Gurtel hervor, band es los und reichte es Heynrici. Dieser schlug es auf, lachelte weise und klappte es sofort wieder zu. »Warum zeigt Ihr mir das?«, fragte er.
»Es hat angeblich Ludwig Leyendecker gehort«, erklarte Andreas.
»Das wundert mich sehr«, bekannte Heynrici und legte die Hande zu einem Dach zusammen. »Ich habe Euch schon bei Eurem letzten Besuch gesagt, dass ich mir Euren Freund nicht als Zaubermeister vorstellen kann. Habt Ihr ubrigens herausgefunden, was Ludwig bei seinem Aufenthalt in London erfahren hat? Das scheint mir sehr viel wichtiger zu sein.«
»Seine Schwester ist nach London gefahren, um genau das herauszufinden«, meinte Andreas und sah den alten Mann neugierig an. »Um was konnte es sich dabei handeln?«
»Er scheint etwas belauscht zu haben«, sagte Heynrici. »Aber das habe ich Euch ja schon damals gesagt. Und es war sicherlich keine Zusammenkunft von Teufelsbundlern.«
Andreas dachte daran, dass Elisabeth nun mitten in der Hohle des Lowen war. Wenn es stimmte, was Heynrici mutma?te, befand sie sich moglicherweise in Gefahr. Ihm wurde ganz anders zumute. Aber vielleicht hatte Heynrici Unrecht. Man musste jeder Spur nachgehen. Andreas lenkte das Gesprach wieder auf die magische Handschrift. »Ich finde dieses Buch bemerkenswert«, sagte er und deutete auf die kleine Handschrift in Heynricis Handen.
»Das ist es auch«, meinte der alte Mann. »Es handelt sich um eines der lacherlichsten und dummsten Werke, das je uber den Verkehr mit der Unterwelt geschrieben wurde.«
»Ihr kennt es?«, fragte Andreas und bemuhte sich, neugierig zu klingen.
»Ich kenne viele dieser Pamphlete«, antwortete Heynrici ausweichend und sah herunter auf den kleinen Band in seinem Scho?. Andreas schaute auf die vielen Bucher in dem kleinen Raum, der ihm plotzlich sehr eng und stickig vorkam. Der weise Mann bemerkte den Blick des Geistlichen und sagte lachelnd: »Nein, hier stehen nur gottesfurchtige Werke. Ich gebe zu, dass ich einmal tiefe Studien auf allen Gebieten des Wissens getrieben habe. Aber alles, was ich fand, waren leere Worte. Nur Jesus hat Worte des ewigen Lebens.« Er faltete die Hande und schaute zur Decke. In diesem Moment sah er aus wie einer der Heiligen auf den vielen wunderbaren Bildern, die Andreas in Bologna und bei seiner kleinen Reise von dort aus nach Florenz gesehen hatte. Trotzdem gefielen ihm die Worte des alten Mannes nicht.
»Sicherlich habt Ihr Recht, aber ist es nicht gotteslasterlich, sich mit dem Teufel abzugeben, auch wenn man ihn schlie?lich verwirft?«
»Ja, das ist es«, sagte der alte Mann langsam und nachdenklich. »Das ist einer der Grunde, warum ich hier bin. Hier kann ich bu?en fur meinen eitlen Wissensdurst. Doch nicht nur die Niederungen der Holle haben mich hergefuhrt, sondern auch die Niederungen der Politik. Glaubt mir, es gibt nichts Schlimmeres als diese Schlangengruben, die man Rat nennt. Ich habe lange genug im Kolner Rat gesessen, um zu wissen, was ich sage. Und ich habe dort viel Schuld auf mich geladen.«
»Wie Ludwig?«, fragte Andreas nach.
»Wie Ludwig. Niemand, der sich mit der Regierungskunst abgibt, bleibt ohne Schuld.«
»Wollt Ihr damit auf Ludwigs Rolle bei der Verhansung Kolns anspielen?«, fragte Andreas.
»Wie ich Euch damals schon sagte, glaube ich nicht, dass dies eine Rolle bei dem unseligen Ableben Eures Freundes gespielt hat, aber je langer ich daruber nachdenke, desto unsicherer werde ich. Ludwig Leyendecker hat all jene Kaufleute gegen sich aufgebracht, die sich der Hanse beugen wollten, und er hat unsere Fraktion mit Bestechungen und anderen fragwurdigen Mitteln zusammengeschmiedet. Ich frage mich, ob er in London nicht zufallig Zeuge einer Verschworung gegen ihn geworden ist. In der Sache hatte Ludwig jedoch Recht. Koln mit seinen alten Handelsbeziehungen zu England hatte nur die Moglichkeit, fur den Fortbestand der Geschafte mit der Insel zu stimmen. Ansonsten hatten wir uns zu sehr von den wetterwendischen Lubschen und ihren Spie?gesellen abhangig gemacht. Ich furchte, mit unserer harten Haltung haben wir einigen Kaufleuten das Leben sehr schwer gemacht. Ich selbst leide unter der Verantwortung, die ich mir damit aufgeburdet habe. Vielleicht ist es Ludwig auch zu viel geworden. Vielleicht hat er tatsachlich Selbstmord begangen, auch wenn ich es mir eigentlich nicht vorstellen kann, denn wie Ihr wisst, war er ein gottesfurchtiger Mann.«
Andreas schwirrte der Kopf. Er hatte gehofft, hier bei Heynrici ein wenig Klarheit in seine eigenen Gedanken zu bringen, doch stattdessen wurde er immer verwirrter. Die Verhansung, die Konkurrenten Ludwigs, von denen er zum Beispiel Dulcken in den Ruin getrieben hatte, eine mogliche Verschworung seiner Gegner oder vielleicht doch Selbstmord, weil er die Schuld nicht mehr ertragen konnte. Schuld? Politik? Ware er doch nicht hergekommen! Andreas bereute seine Reise. Beinahe hatte er deren unmittelbaren Grund vergessen.
»In diesem schrecklichen Zauberbuch gibt es eine seltsame Nachbemerkung, die auf Melaten hindeutet«, sagte er.
Heynrici kniff die Augen zusammen und drehte das Buch in den Handen. Dann schlug er es hinten auf und las die letzten Satze. Ein wehmutiges Lacheln verzerrte seine rosig durch den wei?en Bart schimmernden Lippen. »Wisst Ihr, ich habe so viele derartige Bucher gesehen«, sagte er. »Dieses hier gehorte tatsachlich einmal mir, aber ich habe es bei Ulrich Zell gegen das ›De Officiis‹ von Cicero getauscht. Soll ich es Euch einmal zeigen?«
»Das Buch hat Euch gehort? Habt Ihr es hier auf Melaten gehabt? Die Anmerkung ist von Euch? Aber da steht doch…«
»Nichts steht da!«, brauste Heynrici auf. »Ich habe mich uber dieses Buch geargert.«
»Dort steht, dass Ihr auf Melaten die Beschworungen ausgefuhrt habt, und es ist sicherlich Euer Besitzvermerk, der auf dem Innenspiegel getilgt wurde.« Andreas hatte den Eindruck, als schwimme der Boden unter ihm.
»Das ist nicht richtig. Ich habe nichts ausgefuhrt«, meinte der alte Mann, der nun wieder ruhiger geworden war. »Ich gebe zu, dass ich auf meiner Suche nach Erkenntnis bisweilen seltsame Wege beschritten habe. Wenn Ihr mich jetzt der Inquisition ubergeben wollt, habe ich es wahrscheinlich verdient. Ich gebe auch zu, dass ich Angst vor der Inquisition habe. Ich habe Angst vor Schmerzen. Aus diesem Grund habe ich sehr gezogert, Euch gegenuber meine Versuche zuzugeben. Aber ich hoffe, Ihr werdet mich nicht verraten.« Er warf das Buch angewidert zu Boden, stand erstaunlich rasch auf, trat vor Andreas und ergriff seine Hand. Seine Stimme klang angstlich. »Ich will ehrlich zu Euch sein, denn Ihr habt es verdient. Ich habe mich hierher zuruckgezogen, um meine Sunden zu bu?en. Jeden Tag setze ich mich der Gefahr des Todes aus, nur um den armen Siechen zu helfen. Ich will bu?en, Gott wieder nahe kommen, aber ich will nicht in die Hande der Inquisition fallen.« Er kniete vor Andreas nieder. »Habt Mitleid mit einem verirrten Schaf, das zu seinem Vater zuruckgefunden hat.« Tranen traten in seine Augen. Er zitterte am ganzen Korper.
Andreas zog seine Hand zuruck, der alte Mann lie? sie los. Der Geistliche stand auf und gebot Heynrici, sich zu erheben.
»Seht Euch hier um«, sagte er eifrig. »Ihr werdet kein Buch finden, das der heiligen Mutter Kirche ungefallig ist. Alles Schlimme, Falsche, Kranke habe ich ausgemerzt. Ich wei?, wie mein Ruf in der Welt ist, aber ich habe ihn nicht verdient.
Eigentlich muss der Tod mein Lohn sein, damit Gott mich richten kann. Aber ich habe so gro?e Angst vor den Schmerzen, die mir die Inquisition bereiten wird.« Sein Blick war der eines geschlagenen Hundes.
Andreas wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Da stand er einem Mann gegenuber, den nicht nur er fur heilig hielt, und dieser Mann hatte ihm soeben indirekt gestanden, gotteslasterliche Teufelsbeschworungen durchgefuhrt zu haben. Auf was konnte man sich in dieser Welt noch verlassen? Sprach der Herr nicht durch solche gottergebenen Menschen wie Ulrich Heynrici? Aber wenn dem so war, wie konnte Gott es dann zulassen, dass sich gerade die Geschopfe, die ihm in Demut ergeben waren, der Holle verschrieben? Hie? es nicht, dass man fur alle Zeiten verdammt sei, wenn man ein Bundnis mit dem Teufel errichtet hatte? Und jede Beschworung des Erzfeindes war als Teufelsbundnis zu werten. Das hatte Andreas in Bologna in einer Strafrechtsvorlesung gehort. Wenn das stimmte, dann war Heynrici verdammt. Und Andreas war verpflichtet, ihn der heiligen Inquisition anzuzeigen. Konnte er das wirklich verantworten? Denn jetzt, auf Melaten, tat er Wunderbares, ubermenschlich Gutes.
Er sah Heynrici an. Zweifel zernagten ihn. Sein Gewissen sagte ihm, dass Heynrici schon genug bu?te und an diesem Ort wertvoller fur die Christenheit war als in den Kerkern der Inquisition, aber die heilige Mutter Kirche war