Schlucker wie Dulcken bei einer so machtigen und reichen Frau wie Euch zu suchen hat. Wie ich horte, hat Euer Mann ihn ruiniert. Werdet Ihr ihm helfen?«

Barbara lachelte. »So kann man es ausdrucken.«

»Und wer war der Mann, der bei ihm war?«

»Bei ihm?« Eine bei?ende Kalte war in Barbara Leyendeckers Stimme gekrochen. »Habt Ihr mir nachgeschnuffelt?«

»Also gebt Ihr zu, dass Dulcken nicht allein bei Euch war. Ja, ich habe gesehen, wie er zusammen mit einem stammigen Mann des Nachts in Euer Haus gegangen ist. Ich war zufallig in der Nahe.«

»Naturlich! Ganz zufallig! Was ist mit dir los, Pfafflein? Du hast mir noch nie behagt. Ich war immer gegen Ludwigs Freundschaft mit dir. Vielleicht hast du ihn ja selbst auf dem Gewissen mit deinen moralischen Reden. Vielleicht willst du nur von eigenen Sunden ablenken, indem du dort Missetaten siehst, wo keine sind, und unschuldige Menschen in Verruf bringst!« Jedes Wort war wie ein Peitschenschlag fur Andreas. Barbara war laut geworden; das Echo des Weinkellers warf ihre Beschuldigungen vielfach zuruck. Die Fasser waren auf einmal wie schlafende, sich im Traum regende Riesen, die jederzeit erwachen und ihn uberrollen konnten. Er sah die Schopfkellen, die wie kleine Arme auf den Fassern lagen oder eher aus ihnen herauszuragen schienen; er sah die Kruge – gleich Warzen oder Geschwuren. Der Wein in den Fassern war zur Essenz boser Traume geworden. Andreas wurde immer kleiner. Er wandte sich zum Gehen und hatte Barbara Leyendecker schon den Rucken zugekehrt, als sie plotzlich sagte: »Du hast Recht, Dulcken war bei mir.«

Andreas drehte sich verblufft um. Die Leyendeckerin grinste ihn an. »Was willst du nun damit anfangen, Pfafflein?«, hohnte sie.

»Nichts, weil ich den Grund fur diesen Besuch noch nicht kenne.«

Das Grinsen der Leyendeckerin wurde noch breiter. »Hast du wirklich geglaubt, dieser Besuch hatte etwas mit Ludwigs Tod zu tun?«

Andreas druckste herum. »Ja, also… nein… das hei?t…«

»Du hast Recht. Es hatte etwas mit Ludwigs Tod zu tun. Sein Ableben war namlich der Grund fur diesen Besuch.«

Nun war es an Andreas, ein fragendes Gesicht zu machen.

Barbara Leyendecker fuhr fort: »Johannes Dulcken will mein Handelshaus ubernehmen. Zwar bin ich nach den Gesetzen unserer Stadt dazu berechtigt, mein Haus allein zu fuhren, aber du hast keine Ahnung, wie schwer es fur eine allein stehende Frau ist, sich im Geschaftsleben zu behaupten. Die Verhandlungen mit den Winzern, die Transporte, der Verkauf der Fasser, die Uberwachung der Handelsgehilfen, die Kontore in London und Brugge – all das wird mir zu viel. Kurz: Ich will verkaufen.«

»An Dulcken?«, wunderte sich Andreas.

»Warum nicht? Er hat gro?e Ahnung vom Weinhandel und allem, was damit zusammenhangt.«

Andreas erinnerte sich an die Kniffe und Schliche, die Dulcken ihm gegenuber erwahnt hatte, um den Wein besser und damit wertvoller zu machen. »Das glaube ich gern. Aber er hat kein Geld. Womit will er zahlen? Euer Haus ist sicherlich eine schone Summe wert.«

»Das will ich meinen!« Barbara Leyendecker stellte sich vor das liegende Fass rechts neben ihr, offnete den kleinen Deckel und schopfte mit der Kelle ein wenig von der kostbaren Flussigkeit in den bereitstehenden Krug. Daraus goss sie sich und Andreas je einen Becher ein. Sie hielt den Becher mit beiden Handen, nickte langsam, schien die Temperatur des kostbaren Saftes als richtig anzusehen. Dann hob sie den Becher an die Nase und schwenkte ihn ein wenig, damit die feinen Dufte aufstiegen. Schlie?lich kostete sie vorsichtig und lachelte. »Versucht ihn. Dann werdet Ihr den Himmel offen sehen.«

»Ich muss doch sehr bitten«, sagte Andreas, als er den Becher entgegennahm und davon probierte. Es war ein wunderbarer Wei?wein, der nie eine Honigwabe oder einen anderen Zusatz sehen musste, um ins Paradies zu fuhren. Welche Harmonie, welche Zartheit und Fruchtigkeit! Er lachelte und hatte Barbara ihre lose Rede bereits verziehen.

»Von dieser Qualitat habe ich einiges hier lagern. Es mag sein, dass Menschen dafur morden wurden. Naturlich haben wir auch den einfachen Wein, aber die Eisweine sind es, in denen ich die Zukunft unserer Zunft sehe. Schon jetzt schlagt man sich um meine besten Tropfen. Daher erwarte ich einen guten Preis fur mein Handelshaus.«

»Und den will Dulcken zahlen?«, fragte Andreas unglaubig und nahm noch einen Schluck. Der su?e, fruchtige Wein kusste seine Zunge und schmeichelte sich die Kehle hinab.

»Ja.«

»Wie?«

»Der Mann, der bei ihm war, will ihm einen Kredit geben. Er wird sein wichtigster Handelspartner in England sein. Edwyn Palmer ist sein Name.«

EINUNDZWANZIG

Elisabeth und Anne hatten in jener Nacht kaum Schlaf gefunden. Noch etliche Paare vergnugten sich nebenan, sodass Elisabeth andauernd an ihr erstes geschlechtliches Erlebnis mit ihrem Gemahl denken musste. Bei Anne schien es etwas anders zu sein, wie man aus ihren Seufzern schlie?en konnte.

Am Morgen waren sie beide so erschopft, als seien sie es gewesen, die in der Nacht im Nachbarzimmer Dienst getan hatten. Mit dunkel umranderten Augen kamen sie in die Schankstube, in der Anton und drei weitere Manner noch schliefen. Beim Eintreten der Frauen regten sie sich und schlugen die Augen auf. Die drei anderen drehten sich sofort wieder um, nur Anton sprang erfreut von der Holzbank hoch und warf das graue Wolllaken weit von sich.

»Ich habe Neuigkeiten«, flusterte er, um die anderen nicht noch mehr zu storen. »Agnes hat dem Wirt gesagt, dass schon ubermorgen ein Zug von Kolner Kaufleuten von hier abgeht. Wir konnten um eine Passage bitten. Vermutlich mussen wir aber etwas bezahlen…«

Anne nickte. Sie sah Anton prufend an. Elisabeth wusste genau, dass sie im Augenblick viel mehr an der Frage interessiert war, wie und wo Anton die letzte Nacht verbracht hatte. Allein die Tatsache, dass er sehr ausgeruht wirkte, sprach gegen sundig verbrachte Stunden. Anne schien das genauso zu sehen und wirkte sehr erleichtert. Elisabeth verkniff sich ein Lacheln.

Sie verlie?en die Herberge und machten sich auf den Weg in die Deventer Straat, wo das Kontor eines der Handelsherren lag, die den Zug nach Koln organisierten. Elisabeth schaute sich neugierig um, als sie durch die engen Stra?en gingen. Hier war alles so anders als in Koln oder gar London. Die Hauser waren viel schmaler und sehr hoch, und die Giebel waren treppenformig, wie man es in Koln nur selten sah. Uberhaupt erstaunte sie die Fulle an Steinhausern. Diese Stadt war zwar klein, aber offenbar nicht arm. Auch die Leute waren gut gekleidet; man sah viele Brokat- und Damaststoffe, und die Hauben der Damen waren reich mit Perlen und Spitze verziert. Das Haus des Kaufmanns war ebenfalls prachtvoll und stand Elisabeths Elternhaus in nichts au?er der Breite nach.

Der Handel war schnell abgeschlossen. Der Kaufmann reiste mit Stoffen nach Koln und hatte einige Kolner Handelsleute um sich geschart, die ihre Waren – vor allem Wein und Metallwaren – in den niederlandischen Provinzen abgesetzt hatten und von dort Seide und Barchent mitbrachten. Als das Wort Wein fiel, horchte Elisabeth auf. Uberall witterte sie inzwischen eine Verbindung zum schrecklichen Schicksal ihres Bruders. Wahrend sich Anton und Jakob van Damme, der Kaufmann, einig wurden, dachte sie an die seltsame Zusammenkunft im Waterstone Inn, von der Anne berichtet hatte. Lag dort der Schlussel zur Losung des Ratsels? Oder hatte Edwyn Palmer ihren Bruder auf dem Gewissen? Oder gab es eine ganz andere Erklarung fur seinen Tod? Elisabeth kam sich wie in einem Labyrinth gefangen vor. Und irgendwo in der Mitte lauerte das Unheil.

Noch zwei sehr laute Nachte verbrachten sie in der verrufenen Herberge, ohne dass ihnen jedoch ein Leid geschehen ware. In der letzten Nacht wachte Elisabeth einmal aus ihrem unruhigen, traumschweren Schlummer auf und bemerkte, dass Anne nicht mehr neben ihr lag. Sie tastete in der dunklen, vom Mondschein schwach erhellten Kammer umher und stellte fest, dass das Bett dort, wo Anne geschlafen hatte, noch warm war. Aber Elisabeth war so mude, dass sie gleich wieder einschlief.

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