Am Morgen war Anne wieder da. Als sie aufstand und sich umkleidete, tat sie das mit flie?enden, tragen und zufriedenen Bewegungen. Sie summte sogar ein Lied.

Man traf sich vor den Toren der Stadt auf einer kleinen Wiese. Anton und die beiden Pilgerinnen waren unter den Ersten, die eintrafen. Wagen, schwer beladen mit Kisten und Ballen, rumpelten heran, Pferde schnaubten, Kriegsknechte mit Lanzen, Schwertern und glanzenden Brustpanzern stellten sich auf; ihre Reittiere tanzelten nervos. Kaufherren mit wertvollen Manteln und kostbaren Kappen liefen zwischen den Wagen umher, pruften noch einmal die Ladung und ihre Befestigungen, und schlie?lich ging es los.

Elisabeth und Anne fuhren in einem geschlossenen Wagen mit einem Weinhandler aus Koln, der seine Ware gut verkauft hatte und nichts mit in seine Heimatstadt zuruckbrachte. Anton fuhr auf dem Bock mit, denn das Wetter war wunderbar; es ging ein laues Fruhlingsluftchen, die Schwalben schwirrten bereits um die Stadtmauern, und Bussarde und Amseln schossen uber die Felder und Weiden, auf denen Kuhe und Schafe trage ihr unverstandliches Leben lebten.

Elisabeth betrachtete den Weinhandler eine Weile, bevor sie etwas sagte. Er war ihr unbekannt, aber schlie?lich kannte sie sich in diesem Geschaft kaum aus. Ob er Ludwig gekannt hatte? Sicherlich waren sie sich bei den Zusammenkunften der Gaffel Himmelreich schon begegnet. Schlie?lich sprach sie ihn an. »Waren die Geschafte gut, mein Herr?«

Der Kaufmann blinzelte ihr freundlich zu und zog die Kappe vor ihr. »Hans Gartzem, meine ehrenwerte Dame«, stellte er sich vor. »Ja, ich kann nicht klagen. Seit der Verhansung Kolns ist alles sehr schwierig geworden, und man muss sich neue Absatzmarkte schaffen. Fruher habe ich den gro?ten Teil des Weines nach Norden exportiert, aber damit ist jetzt Schluss. Man lasst uns Kolnische nicht einmal mehr in die Stadte der Hanse, geschweige denn lasst man uns dort Handel treiben.«

»Es muss fur viele von Euch sehr schwer sein, noch den Unterhalt zum Leben zu verdienen«, meinte Elisabeth vorsichtig. Der Wagen rumpelte so stark uber eine Unebenheit, dass die Insassen durcheinander gewirbelt wurden. Elisabeth fiel dem Kaufmann auf den Scho?, was diesem sichtliches Behagen bereitete, aber er nutzte die Lage nicht aus. Sofort sprang Elisabeth mit hochrotem Kopf von ihm fort und setzte sich wieder auf die Bank ihm gegenuber.

Jakob Gartzem ruckte sich die verschobene Kappe zurecht, strich genie?erisch an der langen, schillernden Pfauenfeder entlang und sagte: »Ja, manchen hat es im wahrsten Sinne das Genick gebrochen. Es kommt halt darauf an, ob man wendig genug ist, um sich auf die neue Lage einzustellen. Ich zum Beispiel habe meine alten Kontakte wieder aufgefrischt und kann meinen Wein und meine Stoffe nun in den Niederlanden bis hinunter nach Herzogenbosch absetzen. Aber anfangs war ich auch nicht begeistert von der neuen Lage. Wenn ich Mitglied des Rates gewesen ware, hatte ich gegen die offene Konfrontation mit der Hanse gestimmt. Ich finde es heute noch erstaunlich, dass der Rat es gewagt hat, sich gegen die Fischkopfe zu stellen. Zuerst sah es so aus, als wurden die Ratsherren klein beigeben.«

Elisabeth hob die Brauen. Sie erinnerte sich an das, was Heynrici gesagt hatte. Ludwig war eines der Ratsmitglieder gewesen, die die Verhansung vorangetrieben hatten.

»Aber das ist fur Euch als Dame bestimmt sehr langweilig«, fuhr Gartzem fort.

»Ganz und gar nicht«, beeilte sich Elisabeth zu versichern. »Wisst Ihr, welche Rolle Ludwig Leyendecker bei dieser Sache gespielt hat?«

Der Kaufmann runzelte die Stirn. »Leyendecker? Warum fragt Ihr nach ihm?«

Elisabeth rausperte sich. »Ich hatte seinen Namen einmal in diesem Zusammenhang gehort. Ansonsten wei? ich uber solche Dinge nichts.«

»Das ist auch gut so. Ich sage Euch, die Regierungsgeschafte sind wie eine Schlangengrube. Ich bin froh, dass ich nicht im Rat sitze.« Er wischte sich uber die Stirn. »Was Leyendecker angeht, so war er der fuhrende Kopf bei der Befurwortung des Englandhandels, und er war in der Wahl der Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele nicht gerade zimperlich. Doch uber Tote soll man nicht schlecht sprechen. Ihr wisst vielleicht, dass er sich mit dem Teufel verbundet hat und ihm der Erzfeind den Hals gebrochen hat.« Der Kaufmann bekreuzigte sich rasch.

Aha, das redet man also, dachte Elisabeth. Es drehte ihr beinahe den Magen um. Es war so wichtig, den Morder Ludwigs zur Rechenschaft zu ziehen, um diese Geruchte aus der Welt zu schaffen. Der Kaufmann schwieg; er schien alles gesagt zu haben, was er wusste. Nun grinste er Anne ein wenig anzuglich an. Elisabeth versank in ihren Gedanken. Wenn sie nur schon in Koln ware und sich mit Andreas bereden konnte!

Doch die Reise wurde noch eine Weile dauern.

Wahrend der langen Fahrt, die zumeist in der Nahe des Rheins verlief und nur durch die Zollstationen und den Einbruch der Dunkelheit unterbrochen wurde, schienen sich Anton und Anne immer enger anzufreunden. Einmal erwischte Elisabeth die beiden, wie sie hinter einem Wagen an der Grenze des Herzogtums Brabant eng umschlungen standen und sich kussten. Elisabeth freute sich uber die beiden, aber sie wunderte sich, dass Anne nach den schlimmen Erfahrungen mit ihrem Mann und trotz ihres Verdachtes, dass Anton mit offentlichen Frauen umging, eine Beziehung zu ihm einzugehen wagte. Sie schien regelrecht aufzubluhen, und als Elisabeth sie spater, hinter der Grenze, nach Anton fragte, wurde sie rot und antwortete nur einsilbig. Anton hingegen wurde immer redseliger und schwarmte in Elisabeths Gegenwart von Anne wie von einer Heiligen.

Als sie in Kleve anhielten, wo die ubrigen Kaufleute gute Geschafte zu machen hofften, kam Anton eines Abends in das kleine und bescheidene Quartier unweit des Tores. Er wirkte beunruhigt und setzte sich neben Elisabeth, die am Tisch der Schankstube sa?. Anne war bereits in die Kammer gegangen und schlief; die Reise erschopfte sie offenbar sehr.

»Ich habe vorhin den Mann gesehen, der mir schon in Dordrecht aufgefallen ist«, flusterte Anton, der sich immer wieder umsah und in Richtung der niedrigen Tur blickte.

»Glaubst du, wir werden verfolgt?«, fragte Elisabeth.

»Ich kenne diesen Mann«, sagte Anton. »Er ist mir einmal ein guter Freund gewesen, aber das ist lange her. Und er arbeitet fur Euren Gemahl.«

Es war, als habe Elisabeth einen Schlag erhalten. »Er lasst uns verfolgen?«

»Es hat den Anschein. Seht Euch vor. Ich furchte, Euer Mann ist sehr nachtragend.«

An diesem Abend ging Elisabeth mit unguten Gefuhlen zu Bett.

Es geschah hinter Closterkamp. Ein Trupp schwer bewaffneter Reiter griff den Kaufmannszug an. Sie schwangen ihre Schwerter und tauchten sie in Blut. Die Pferde stampften und gingen durch, ein Wagen kippte um, die Soldaten hatten ihre liebe Muhe, der Rauber Herr zu werden. Anton kampfte wie ein Riese. Dann wurde der Wagen angegriffen, in dem Elisabeth, Anne und Jakob Gartzem sa?en. Sie fielen durcheinander und versuchten hinauszukriechen. Gartzem war der Erste. Ein Schwerthieb trennte ihm den Kopf vom Rumpf. Anne schrie auf. Elisabeth schloss die Augen. Anton warf sich vor sie, als das Schwert des gesichtslosen Kampfers wieder niedersauste. Er hatte sich die Waffe eines toten Soldaten genommen. Damit stach der Junge erbarmungslos zu. Blut quoll aus dem Bauch des Angreifers, der furchtbar brullte. Der Helm flog ihm vom Kopf. »Hinnerk!«, schrie Anton.

»Du Narr!«, krachzte der Getroffene. »Nicht auf dich habe ich es abgesehen.« Er kippte hintuber und rochelte, dann lag er still.

»Das wollte ich nicht«, keuchte Anton. Er sah die Axt nicht kommen. Sie spaltete ihm den Schadel.

Anne hatte es mit angesehen. Sie kreischte, tobte, schrie. Die Axt hob sich wieder. Uber Anne. Eiskalt druckte Elisabeth sie aus dem Weg und trat dem Angreifer ins Gemacht. Er gab ein pfeifendes Gerausch von sich und sank in die Knie.

Anne lag wie gelahmt am Boden. Die verbliebenen Rauber lie?en von ihrer Beute ab, die sich als zu machtig fur sie erwiesen hatte, und flohen. Die Soldaten gingen die Reihen ab. Drei ihrer Genossen waren im Kampf gestorben, des Weiteren zwei Kutscher und zwei Kaufleute – und Anton.

Elisabeths Feind war aus seiner Deckung hervorgekommen.

Nachdem die Toten ein christliches Begrabnis erhalten hatten, was zwei Tage in Anspruch nahm, setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Elisabeth und Anne hatten Angst vor der Abgeschlossenheit des Wagens und reisten auf dem Kutschbock. Immer wieder warfen sie angstliche Blicke zuruck. Anne sagte nichts mehr; das Entsetzen und der Verlust der aufkeimenden Liebe hatten sie uberwaltigt. Trauer und Grauen machten den ganzen Zug stumm. Und Elisabeth hatte Angst vor dem dunklen Ziel ihrer Reise.

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