Falsches. Das wusste niemand au?er uns; es war unser geheimes Zeichen, mit dem wir uns uber die Esel im Talar lustig gemacht haben. Dass dieser Satz jetzt in Ludwigs Abschiedsbrief steht, kann kein Zufall sein, es sei denn, er wollte sich uber sich selbst lustig machen – ein letzter Scherz auf seine Kosten.«

»Das war nicht seine Art«, entgegnete Elisabeth. Sie ging zum Stuhl zuruck, setzte sich und strich eine blonde Haarstrahne unter die Haube.

»Ihr habt Recht, aber warum sollte er in diesem Brief eine Botschaft ausgerechnet an mich versteckt haben? Er wusste doch, dass ich in Bologna war.«

»Aber er wusste genauso, dass Ihr bald zuruckkehren solltet – und dass Ihr nicht ruhen wurdet, bis Ihr die Umstande seines Todes aufgeklart hattet.« Elisabeth sah ihn mit ihren grunen Augen flehend an.

Andreas faltete das Pergament wieder zusammen und steckte es weg. Dann setzte er sich Elisabeth gegenuber auf einen Dreifu?. »Ihr wisst, was es bedeutet, wenn wir Recht haben?«, fragte er vorsichtig und beugte sich ein wenig vor.

Elisabeth nickte bedachtig. »Falls der lateinische Satz tatsachlich ein Hinweis auf etwas Falsches ist, dann hei?t das, dass mein Bruder ermordet wurde.«

Andreas senkte den Blick. Der Teppich unter seinen Fu?en zeigte ein Muster aus Rehen, die von Hunden gejagt wurden. Weiter hinten, dort, wo Elisabeth sa?, drehten sich einige der Rehe um und bissen ihrerseits die Hunde; die Rollen waren plotzlich vertauscht. Die Jager im Hintergrund schienen teilnahmslos dabeizustehen.

Ohne den Blick von diesem erstarrten Schauspiel zu heben, sagte Andreas: »Das ist richtig. Und es bedeutet, dass ihn jemand gezwungen hat, den Abschiedsbrief aufzusetzen.«

»Derselbe, der auch den Pakt formuliert und Ludwig zur Unterschrift genotigt hat!«, rief Elisabeth hasserfullt. Andreas sah auf. Die Schwester seines Freundes wirkte plotzlich wie eines der bei?enden Rehe. Mochte Gott dem Hund gnaden, den sie erwischte.

»Das ware moglich«, meinte Andreas vorsichtig. »Doch warum hat sich jemand solche Muhe gemacht, es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen? Ware es nicht leichter gewesen, einen Unfall herbeizufuhren? Und vor allem: Warum sollte jemand Ludwig ermorden wollen? Und wer?«

»Seine Frau naturlich!«, giftete Elisabeth. »Sie war doch immer nur hinter unserem Geld her. Und uber ihren Lebenswandel wollen wir lieber erst gar nicht reden! Jetzt ist sie frei. Wir werden bestimmt bald sehen, was sie mit ihrer Freiheit anfangt. Sie ist die Person, die wir suchen, Andreas Bergheim. Ihr musst sie Euch vornehmen. Sie ist in diese Sache verwickelt. Das rieche ich!«

»Wie wollt Ihr das riechen? Ihr seid doch wohl keine Hexe?«, lachte Andreas, dem dieser Ausdruck recht grotesk vorkam.

Elisabeth verstummte und wurde rot. Sie legte die Hande in den Scho? und wandte den Blick ab. »Ich bin keine Hexe«, sagte sie mit fester Stimme, wahrend die Rote wieder aus ihrem Gesicht wich. »Anstatt haltlose, aber gefahrliche Verdachtigungen auszusprechen, solltet Ihr Euch lieber um Barbara Leyendecker kummern. Geht jetzt. Gleich wird mein Gemahl zuruckkommen. Ich will nicht, dass er mich mit einem Pfaffen sieht.«

Wie ein geschlagener Hund verlie? Andreas das Bonenberg-Haus, ging quer uber den Heumarkt mit seinem quirligen Treiben, den Fleischstanden, dem Getreidemarkt, lief an der erzbischoflichen Munze in der Mitte des Platzes und den sie umstehenden Altruschstanden vorbei und hielt auf das Rathaus zu. Der funfgeschossige Turm mit der hohen Kure, in der die Ratsglocke Sankt Michael hing, war beinahe prachtiger als die Kirchturme in seiner Umgebung und daher vielen Geistlichen ein Dorn im Auge. Als Andreas den Turm passiert hatte und sich im Gewirr der Gassen des alten Judenviertels verlor, wunschte er, er konne sich auch in Ort und Zeit, ja in sich selbst verlieren und so dem Ratsel, das ihn immer enger umschlang und bedruckte, entkommen.

Ein unsinniger Wunsch.

VIER

Das Haus in der Glockengasse brummte und summte vor Geschaftigkeit. Weinfasser wurden von einem gro?en Pritschenwagen, vor den zwei erschopfte Kaltbluter gespannt waren, abgeladen und durch den Hofeingang gerollt, wobei die Knechte mit lauten Rufen ihre Kommandos gaben. Barbara Leyendecker stand in der Hofeinfahrt und uberwachte das Ausladen. Andreas ging zu der Frau seines verstorbenen Freundes hinuber und begru?te sie hoflich.

Sie sah ihn kaum an; der Wein schien ihr wichtiger zu sein. Die Fasser wurden in das Lagergebaude mit den riesigen Gewolben gerollt, von wo aus sie spater auf die Reise nach England gehen wurden.

»Wie ich sehe, kummert Ihr Euch beachtenswert um das Geschaft«, meinte Andreas vorsichtig.

Barbara funkelte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen feindselig an. »Irgendjemand muss sich ja kummern, wenn hier nicht alles vor die Hunde gehen soll«, bemerkte sie schnippisch. Sie und Andreas hatten sich noch nie gemocht. Das schwarze Kleid machte Barbaras blasse Zuge hart und ein wenig grausam; die schone Frau, die sie einmal gewesen war, schien nun wie unter einem leichten Schleier der Trauer verborgen.

»Wo kommt dieser Wein her?«, fragte Andreas, der einfach nicht wusste, was er sagen sollte. Er hatte so viele Fragen an die Witwe, doch keine wollte ihm uber die Lippen kommen.

»Von der Mosel.«

»Um diese Jahreszeit?« Andreas kannte sich mit dem Weinanbau nicht aus, doch immerhin wusste er, dass die Lese erst im Herbst stattfand.

»Wir haben die letzten Reste aus den Kellern der Winzer aufgekauft«, erklarte Barbara, ohne den Blick von den rollenden Fassern abzuwenden, die eines nach dem anderen im Schlund des Lagerhauses verschwanden.

»Gute Geschafte?«, fragte Andreas.

»Seit der Verhansung Kolns gehoren wir zu den wenigen, die den Londoner Stalhof mit deutschem Wein beliefern. Man rei?t ihn uns aus den Handen. Da mussen alle Reserven aufgeboten werden. Im letzten Jahr haben wir uber 700 Fuder Wein ausgefuhrt. Ein paar Kunden sind allerdings abgesprungen. Sie haben von dem Zaubereiverdacht gehort. Ich hoffe, uns gehen nicht noch weitere Abnehmer verloren. Ich habe namlich die gesamten Ertrage von Bernkastel und Karden an der Mosel auf zehn Jahre gekauft.«

Andreas verstand nichts von der gro?en Politik, doch ihm war bekannt, dass vor vier Jahren die Kolner aus dem Bund der Hanse ausgeschlossen worden waren, weil sie sich geweigert hatten, ihren Englandhandel einzustellen, nachdem alle anderen Mitglieder der Hanse wegen des Kaperkrieges gegen die Insel keine Geschafte mehr im Londoner Stalhof und den anderen Hafen machten.

»Fur Euch ist diese Situation offenbar gar nicht so schlecht«, meinte Andreas und schaute Barbara Leyendecker zu, wie sie auf ihrem Wachstafelchen wieder einen Strich machte.

Die Leyendeckerin lachte kurz und schrill auf. »Naturlich! Meine Situation ist ausgezeichnet. Mein Gatte hat Selbstmord verubt, ich stehe als Witwe mit dem Geschaft ohne Hilfe da und habe keine Ahnung, ob Ludwigs Pakt mit dem Teufel mir bald den ganzen Handel verdirbt. Mit meinem Schmerz muss ich allein fertig werden, aber ansonsten geht es mir ganz gro?artig.«

Andreas spurte, dass er rot wurde, und rieb sich linkisch uber das Kinn. »Verzeiht bitte, Leyendeckerin. Ich bin eigentlich hier, um Euch mein aufrichtiges Beileid auszusprechen. Ich bin erst vor kurzem von meinem Aufenthalt in Bologna zuruckgekehrt und war erschuttert, als ich die schreckliche Nachricht vom Tode Eures Gemahls erfuhr.«

Einer der Knechte rief Barbara zu, das letzte Fass sei nun im Gewolbe verstaut. Sie entlie? die Arbeiter mit einem knappen Kopfnicken, zahlte die Striche nach und lachelte.

»Ich danke Euch fur Euer Mitgefuhl«, sagte die Witwe. In ihrem schlichten schwarzen Kleid und ohne den geringsten Schmuck sah sie sehr beeindruckend aus, wie Andreas fand. Ihr schwarzes Haar wurde von der ebenfalls schwarzen Haube kaum gebandigt. Sie schaute hoch in den wolkenverhangenen Himmel, aus dem es zu regnen drohte. Ihr wei?er Hals war wie der eines Schwans. Andreas musste zugeben, dass sie noch immer eine sehr schone Frau war, auch wenn die Ereignisse der letzten Zeit sie nicht unberuhrt gelassen hatten.

»Was fur eine furchtbare Tat«, meinte Andreas, der das Gesprach unbedingt wieder auf Ludwigs Tod lenken wollte, denn deshalb war er schlie?lich hier.

Barbara sah ihn an. Tranen glitzerten in ihren dunklen Augen. Sie schluckte und sagte dann: »Sie war angemessen.«

Ihre Worte wirkten auf Andreas wie ein Schlag mit einem nassen Leinentuch. »Angemessen?«, fragte er

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